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Botulismus: Viele Tierärzte sind ratlos

Lesezeit: 9 Minuten

Den Mai 2001 wird Milchviehhalter Hermann Bormann aus Nienburg in Niedersachsen wohl nie mehr vergessen. Seitdem hat sich mein Leben komplett verändert. In meinem Betrieb sind bisher fast 100 Kühe und weit über 150 Kälber an viszeralem Botulismus eingegangen. Außerdem leide ich selbst massiv unter der Krankheit, erklärt Bormann, der einen Betrieb mit 130 Kühen plus Nachzucht führt. Über 1 300 Betriebe betroffen Damals kam es nach der Verfütterung einer neuen Kraftfuttercharge zu massiven Gesundheitsproblemen im Bestand. Vor allem die frischmelkenden Kühe wirkten apathisch, sie konnten sich kaum noch bewegen und verendeten schließlich. Die bisher hohe Leistung der Kühe brach drastisch ein, obwohl die Futteraufnahme erhalten blieb. Klinische Stoffwechselstörungen und Durchfall häuften sich, die Tiere wurden nicht mehr trächtig. Es kam vermehrt zu Totgeburten und lebensschwachen Kälbern. Bis heute treten diese Probleme immer wieder schubweise auf, klagt Bormann.Bormann ist kein Einzelfall. Mittlerweile sind mehr als 1 300 Betriebe mit dieser Krankheit bekannt, berichtet Professor Helge Böhnel von der Universität Göttingen, bei dem bundesweit viele Informationen zu Botulimus zusammen laufen. Die meisten Fälle wurden bisher aus Niedersachsen gemeldet, was jedoch nach Ansicht des Wissenschaftlers nicht heißt, dass die Krankheit nur auf diese Regionen beschränkt ist. Im Beratungsring von Hermann Bormann ist viszeraler Botulismus seit Jahren ein latentes Problem. Seit dem Jahr 2000 sind nach Aussage des Beraters ca. 200 Tiere daran verendet. In Mecklenburg-Vorpommern verzeichneten die Behörden innerhalb kurzer Zeit 21 Betriebe. Allein im Jahr 2003 verendeten dort rund 300 Tiere an ähnlichen Krankheitssymptomen wie im Betrieb Bormann. Viszeraler Botulismus: Was ist das? Beim viszeralen Botulismus handelt es sich um eine neue Variante der Krankheit Botulismus, die durch Kadaver-Gifte verursacht wird: Beim klassischen Botulismus wird das Gift über das Futter aufgenommen. Bei der viszeralen Form wird das Gift erst im Darm des Tieres gebildet (viszeral = Eingeweide). Verursacher ist in beiden Fällen das Bakterium Clostridium botulinum. Mit dem klassischen Krankheitsbild sind die meisten Tierärzte vertraut: Die Zungen- sowie Kau- und Schluckmuskulatur der Tiere sind gelähmt, der Gang ist schwankend, die Tiere liegen fest. Betroffene Tiere verenden innerhalb von nur wenigen Tagen. Demgegenüber ist vielen Tierärzten das sehr unspezifische Krankheitsbild des viszeralen Botulismus, das meist chronisch ist, noch neu, so dass der Schaden auf den Betrieben oft immens ansteigt, bis endlich eine Diagnose gestellt wird. Beim klassischen Fall stellen häufig Tierkadaver (Katzen, Nagetiere, Wildgeflügel) bzw. Erde, die beim Silieren ins Futter geraten und den Krankheitserreger tragen, die Giftquelle und damit die Ursache der Erkrankung dar. Dabei keimen die Sporen des Clostridium botulinum- Bakteriums unter Luftabschluss, hohen Temperaturen, pH-Werten über 4,5 und unter feuchten Bedingungen im Silo aus.Demgegenüber werden beim viszeralen Botulismus keine Tierkadaver gefunden. Es ist eine schleichende Darminfektion, die Monate dauern kann. Dabei werden kleinste Mengen des Erregers über eine längere Zeit aufgenommen. Das Futter ist meist völlig unverdächtig. Zudem ist der direkte Nachweis des Giftes im Blut oder Pansensaft beim viszeralen Botulismus schwieriger, weil das Gift an die Nervenzellen gebunden ist. Oft ist es ein reines Glückspiel, wenn man den Erreger findet, erklärt Prof. Böhnel. Auch bei antibiotisch vorbehandelten Tieren gelingt der Toxinnachweis nicht. Das erschwert die Diagnose zusätzlich. Neben dem Gift treten im Blut auch erhöhte Endotoxinwerte sowie erhöhte Mykotoxingehalte in der Silage auf. In Mecklenburg-Vorpommern wurden auch in der Biestmilch erhöhte Endotoxinwerte gefunden. Nicht selten werden zusätzlich Keime des Bakteriums Clostridium perfringens im Kot gefunden. Die Milch bleibt aber unbeeinflusst. Meist sind mehrere Tiere im Bestand gleichzeitig davon betroffen, da sie dasselbe Futter erhalten haben. In einzelnen Fällen wird die Erkrankung vom Muttertier auf das Kalb übertragen. Im Betrieb Bormann konnte das bei einem totgeborenen und positiv auf Botulismus getesteten Kalb nachgewiesen werden. Der Speichel der Tiere kann für den Menschen hochtoxisch sein. Deshalb ist im Umgang mit diesen Tieren höchste Hygiene angesagt. Das Gift ist bereits in einer Konzentration von etwa 0,1 bis 1 Mikrogramm für den Menschen tödlich. Die Tierärzte sind sich einig, dass es sich angesichts der unspezifischen Symptome beim viszeralen Botulismus um eine Faktorenkrankheit handelt. Alle Symptome liegen gleichzeitig auch als Einzelerkrankung vor, berichtet Prof. Böhnel. Eine hohe Clostridienbelastung wird dennoch als Hauptursache angenommen. Liegen gleichzeitig Hygienemängel sowie Haltungs- und Fütterungsfehler vor, fördern sie die Erkrankung zusätzlich. Die endgültige Abklärung der Ursachen ist oft sehr schwierig. Auch die möglichen Eintragsquellen für die Clostridien sind genauso vielfältig wie die Symptome. Viele Eintragsquellen sind möglich Möglich ist der Eintrag über: Kot von Wildgeflügel oder Düngung mit Hühnermist, Futtermittel z. B. Grassilage, Biertreber, Eiweißvormischungen, Sojaschrot, Lagergetreide. Bei einigen Fällen in Mecklenburg-Vorpommern im Jahr 2004 haben alle betroffenen Betriebe Grassilage von Dauergrünland und Überflutungsflächen verfüttert. Siliermittel, Emissionen, Anwehung von Sporen, höhere Schmutzanteile in Silagen, Tränkewasser aus eigenem Brunnen, offenen Gräben, Wasserpfützen auf der Weide oder um Tränkestellen, Eintrag über organische Reststoffe, z. B. Biokompost oder Gärrückstände aus Biogasanlagen. Auch Melasse ist ein guter Nährboden für Clostridien. Hilfreich für die Abklärung der jeweils verantwortlichen Ursache ist ein Diagnoseschema, das vom Ministerium in Mecklenburg-Vorpommern in Auftrag gegeben wurde, und im Internet zu finden ist (www.mv-regierung.de/lm/doku/ LL_251104.pdf). Eine eindeutige Diagnose ist nach Ansicht der Deutschen Veterinärmedizinischen Gesellschaft aber nur möglich, wenn neben spezifischen Ausfallerscheinungen (z. B. Lähmung) gleichzeitig der Nachweis des Giftes sowie des Erregers gelingt. Allerdings sind solche Untersuchungen sehr aufwändig und teuer. Welche Therapie wird empfohlen? Eine wirksame Therapie bei Botulismus, auch bei der viszeralen Form, ist bisher praktisch nicht möglich. Festliegende Rinder sollten auf jeden Fall zuerst in Tiefstreu gebracht werden. Wenn die Toxinquelle nicht eindeutig ausfindig gemacht werden kann, muss ein kompletter Futterwechsel erfolgen. Eine Behandlung mit Antibiotika ist nicht ratsam, da die Symptome sogar noch verstärkt werden können. Die einzige Möglichkeit, das Problem in den Griff zu bekommen, ist eine vorbeugende Impfung. Sie bringt bei der klassischen Erkrankung gegen die Toxintypen C und D gute Erfolge, bei der viszeralen Verlaufsform ist das nach den Erfahrungen der Tierärzte nicht immer der Fall. Die Impfung macht aber generell nur Sinn, wenn der Toxintyp nachgewiesen ist. Die Toxinquelle sollte wenn möglich identifiziert und beseitigt werden. Außerdem dürfen nur gesunde Tiere geimpft werden. Der einzige verfügbare Botulismus- Impfstoff kommt aus Südafrika und kann mit Ausnahmegenehmigung von der Veterinärbehörde eingesetzt werden. Dieser Impfstoff wirkt gegen die Botulismus-Typen C und D. Zur Grundimmunisierung müssen die Tiere zweimal im Abstand von sechs Wochen geimpft werden. Der Preis liegt bei ca. 20 E pro 10 Impfdosen. In Nordrhein-Westfalen gibt es sogar ein spezielles Impfstoffdepot. Dort wird der Impfstoff kostenlos abgegeben. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit mit einem bestandsspezifischen Impfstoff zu impfen. Bestandsvakzine machen dann Sinn, wenn als Erreger andere Clostridien-Typen außer C und D vorliegen. Mit der Herstellung von Bestandsvakzinen hat das Labor von Prof.Helge Böhnel an der Universität Göttingen bereits in mehreren Fällen gute Erfahrungen gesammelt. Wie kann man vorbeugen? Die wirksamste Vorbeugemaßnahme gegen Botulismus ist ein sorgfältiges Siliermanagement, so dass wenig Erde oder gar Tiere ins Futter gelangen können. Denn nach Aussage von Professor Böhnel kann ein einmal kontaminierter Boden über Jahre hinaus Ausgangspunkt für weitere Erkrankungen sein, da das Bakterium in Form von Sporen überdauern kann. Wird das Gras ausreichend angewelkt und gut verdichtet, rutscht der pH-Wert schnell unter 4,5. Damit wird die Giftbildung unterbunden. Angeblich sollen durch Nitrit-haltige Siliermittel Fehlgärungen eingeschränkt und das Clostridienwachstum gehemmt werden. Im Kraftfutterlager muss auf Hygiene geachtet werden. Eine Schadnagerbekämpfung ist zur Prophylaxe unverzichtbar. Eine wichtige Eintragsquelle in die Betriebe ist zudem der Zukauf von Futter und Tieren. Hygiene und Quarantänemaßnahmen sind daher unerlässlich. Keine Biogas-Rückstände auf Grünland Die Wissenschaftler empfehlen außerdem, keine Gärrückstände aus Biogasanlagen auf Grünland auszubringen. Neue Untersuchungen aus Leipzig haben gezeigt, dass Gärrückstände oftmals stark mit Botulinum-Gift belastet sind: In Gärrückständen haben wir regelmäßig hohe Sporen-Konzentrationen von Clostridien und aeroben Sporenbildnern gefunden. Im Toxinanreicherungsverfahren konnte in diesen Proben auch ein hohes Potenzial zur Toxinbildung nachgewiesen werden, erklärt Dr. Monika Krüger von der Universität Leipzig. Werden diese Rückstände auf Weiden ausgebracht, geht eine Gefahr für die Tiergesundheit aus. Sie plädiert dafür, Gärrückstände deshalb nur auf Ackerflächen auszubringen. Über diese Zusammenhänge wissen wir aber noch zu wenig. Und zur Untersuchung dieser Fragestellungen erhalten wir im Moment kein Geld, beklagt Professor Böhnel. Was tun im akuten Fall? Wenn Tiere aus unerklärlichen Gründen festliegen, sollten sie sofort separiert werden. Da viszeraler Botulismus ein Bestandsproblem ist, werden zwar auch Tiere ohne Krankheitsanzeichen Erreger ausscheiden, trotzdem ist es besser, erkennbar erkrankte Tiere zunächst von der Herde zu trennen. Besteht der Verdacht, dass das Futter vergiftet ist, muss davon eine Rückstellprobe gezogen werden, um die Toxinquelle eindeutig identifizieren zu können. Das gilt besonders bei zugekauftem Futter. Außerdem dient die Probe der rechtlichen Absicherung gegenüber der Versicherung. Bei Verdacht sollten Serumblut- und Kotproben genommen werden. Pro zehn Herdentiere ist eine Probe nötig. Die Proben sind auf Toxingehalt und Antikörper zu untersuchen. Bei verendeten Tieren ist eine amtliche Sektion und die entsprechende Untersuchung zu veranlassen. Im akuten Fall sollte nicht nur die Quelle des Giftes gesucht werden, sondern das ganze Management genau durchleuchtet werden. Wichtig ist, die genaue Abgangsursache verendeter Tiere zu erfahren, um vermeiden zu können, dass sich das Problem im Bestand ausbreitet. S. Lehnert

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