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Der Branchen-Primus in schwerem Fahrwasser

Lesezeit: 9 Minuten

E igentlich könnten sich die Milch-viehhalter in Schleswig-Holstein glück-lich schätzen. Der durchschnittliche Milchpreis lag im vergangenen Jahr mit rund 64,5 Pfennig pro kg Milch bundes-weit vorn. Im November zahlten einige Molkereien sogar bis 75 Pfennig (3,7% Fett;3,4%Eiweiß ohneMwst).ZumVer-gleich: ImSüden undimWestenDeutsch-lands bekamen die Milchviehhalter im gleichen Zeitraum für einen Liter Milch bis zu 15 Pfennig weniger. Trotzdem hat in Schleswig-Holstein und in Niedersachsen eine enorme Milch-wanderung eingesetzt. Die norddeut-schen Molkereien jagen sich gegenseitig die Lieferanten ab. Was ist passiert? Extremer Auszahlungs-wettbewerb Im vergangenen Jahr ist die Nachfra-ge nach Milchpulver und Konzentraten weltweit stark gestiegen. Von dem An-stieg der Notierungen für Milchpulver, Kasein und Butter profitieren derzeit vor allem die so genannten Versand-Mol-kereien. Diese Unternehmen haben sich auf die Herstellung und den Weiter-verkauf von Rohstoffen bzw. Standard-produkten spezialisiert. Sie erwirtschaf-ten zurzeit hohe Gewinne. Völlig anders sieht es dagegen bei den Markt-Molkereien aus, die über-wiegend Käse und Frischprodukte pro-duzieren. Nach wie vor sehen sich diese Molkereien einem massiven Preisdruck des Lebensmittelhandels ausgesetzt, auch wenn sie zum Jahresende geringe Preisanhebungen durchsetzen konnten. Bedingt durch die guten Einnahmen aus dem Versandhandel haben einige Versand-Molkereien seit dem Frühsom-mer 2000 ihre Auszahlungspreise erheblich angehoben. Die Markt-Molkereien konnten da nicht mithalten. Das hat zu einem extremen Auszahlungswettbewerb unter den Molkereien geführt, mit Preisdifferenzen von bis zu 12 Pfennig pro kg Milch. Die großen Preisunterschiede und die freien Verarbeitungskapazitäten vieler Molkereien haben in den vergangenen Monaten eine enorme Milchwanderung ausgelöst. Um die Rohstoffbasis zu si-chern, jagen die Molkereien sich gegen-seitig die Milchlieferanten ab. Da einige Molkereien jetzt plötzlich zu viel Geld haben, bekommen andere erhebliche Probleme, fasst ein Molkerei-Ge-schäftsführer die aktuelle Situation zu-sammen. Marktbeobachter gehen davon aus, dass die Nachfrage nach Milch bestehen bleiben wird, solange das Eindampfen und der Verkauf von Konzentraten eine äußerst Gewinn bringende Verwertung erlaubt. Im Moment suchen alle Unter-nehmen Milch, berichtet Klaus Kreye, Vorstand der Molkerei Ammerland im niedersächsischen Dringenburg. Nordmilch verliert fast 10 % der Anlieferung Die Gewinner in diesem Milchpoker sind vor allem die kleineren Molkereien, großer Verlierer ist die Nordmilch in Bremen, die etwa 3,5 Milliarden kg Milch in Norddeutschland erfasst. Im vergan-genen Jahr wurden rund 300 Millionen kg Milch gekündigt, das sind knapp zehn Prozent der gesamten Milchmenge der Molkerei. Aber auch bei der Adelbyer Molkerei in Nordhackstedt sowie der Hansa-Milch Mecklenburg-Holstein in Upahl und Leeze sind größere Mengen an Milch gekündigt. Teilweise sind die Milchlieferanten sogar schon zu anderen Molkereien ab-gewandert. Den größten Teil, rund 180 Millionen kg, hat die Nordmilch in Schleswig-Holstein verloren. Hinzu kommt noch der Verlust von weiteren 60 Millionen kg Milch, die bislang von der Molkerei Ammerland an die Nordmilch geliefert wurden. Die Molkerei Ammer-land hat die Geschäftsbeziehungen zur Nordmilch zum 31.12.2000 eingestellt. Den Ausschlag für die Kündigungs-welle bei der Nordmilch gab der niedrige Auszahlungspreis im vergangenen Jahr. Viele Milchviehhalter sind vom neuen Molkereiriesen enttäuscht. Bei der Fu-sion zur neuen Nordmilch, die aus vier großen Molkereien entstanden ist (MZO, Nordmilch, Molkerei Bremer-land, Hansano-Milchhof), ist man vor zwei Jahren angetreten, um die Wettbe-werbsposition gegenüber den Mitbewer-bern zu erhöhen. Wir wollen mit dem Zusammenschluss unsere Marktstellung verbessern, erklärte damals Dr. Man-fred Tag, der Vorsitzende der Geschäfts-führung. Das sollte sich vor allem in den Milchauszahlungspreisen niederschla-gen. Bis zum Frühjahr 2000 wollte man die Auszahlungspreise der kleinen Mol-kereien erreicht haben. Dieses Ziel hat der Molkereiriese allerdings weit ver-fehlt. Im vergangenen Herbst zahlte die Nordmilch einige Monate lang bis zu 10 Pf weniger aus. Die aktuelle Marktlage stellt alles auf den Kopf Die Nordmilch verarbeitet in 16 Wer-ken 4,1 Milliarden kg Milch, davon 3,5 Milliarden kg Eigenmilch. Das Sortiment umfasst neben Konzentraten, Milchpul-ver und Sahne vor allem Käse und Frisch-produkte (Marken: Milram, Hansano, Oldenburger). Im Jahr 2000 erreichte der Molkerei-konzern mit 57,8 Pfennig (Basispreis) nicht einmal den Durchschnitt im Aus-zahlungsvergleich der Molkereien in Schleswig-Holstein (58,7 Pf/kg). Ein ähn-liches Bild ergibt sich auch bei den beiden anderen Markt-Molkereien, der Adelbyer und der Hansa-Milch. Hat die Nordmilch in ihrer Produk-tionsausrichtung auf das falsche Pferd ge-setzt? Muss die Molkerei ihre strategi-sche Ausrichtung ändern? Wie sind die niedrigeren Auszahlungspreise im Ver-gleich zu den kleinen Molkereien zu er-klären? Die aktuelle Marktlage stellt alles auf den Kopf, erklärt Geschäftsführer Harald Schomacker. Er ist sich sicher, dass langfristig nur die Molkereien stabi-le Milchpreise auszahlen können, die ih-re Produkte am Markt platzieren. Das Hauptaugenmerk der Molkerei gelte deshalb dem Markt und nicht dem Roh-stoffhandel. Schomacker: Wir werden unsere Produktionsausrichtung nicht än-dern. Eine Umstellung der Produktion,weg von den Frischprodukten und hin zur Herstellung von Magermilchpulver und Konzentrat, würde den Milcherzeu-gern nur kurzfristig Vorteile bringen. Der Wechsel wäre vielmehr mit der Auf-gabe von Marktanteilen verbunden, die später mit erheblichem Aufwand wieder zurückerobert werden müssten.Wenn man die Zukunftsperspektiven der verschiedenen Molkereien betrachte, so gebe es keinen Grund, die Nordmilch zu verlassen und sich einer anderen Mol-kerei anzuschließen, so Schomacker. Die Vorteile der Fusion seien ja bisher noch nicht zum Tragen gekommen. Insider beziffern die fusionsbedingten Einsparungen auf maximal drei bis fünf Pfennig pro kg Milch, sofern alle Ratio-nalisierungsmaßnahmen ausgeschöpft werden. Das würde gerade ausreichen, um das Preisniveau der Konkurrenz zu erreichen. Wir haben ein umfangreiches Rationalisierungsprogramm beschlos-sen, das in den kommenden Jahren jähr-liche Einsparungen von 52 Millionen DM erlaubt. Noch in diesem Jahr werden drei Werke geschlossen, erklärt Scho-macker. Fusion mit Adelby geplant Doch bei der Umsetzung der Fusion hapert es nach Meinung vieler Landwir-te noch erheblich. Sie befürchten, dass einige Führungskräfte, die bereits für die wirtschaftlichen Schwierigkeiten bei der MZO und für die MGN-Pleite verant-wortlich waren, die neue Nordmilch auch nicht zum Laufen bringen werden. Sie kritisieren, dass in den beiden vergange-nen Jahren immer noch kräftig in Stand-orte investiert wurde, die jetzt geschlos-sen würden. Außerdem sei der Personal-besatz des Unternehmens noch viel zu hoch. Der Personalaufwand liegt bei 85 DM pro 1 000 kg verarbeitete Milch. Zum Vergleich: Bei der Molkerei Am-merland ist er mit 36 DM pro 1 000 kg nicht einmal halb so hoch. Einige Kritiker befürchten zudem, dass die Nordmilch für die spätestens im Jahr 2005 geplante Fusion mit der ange-schlagenen Adelbyer Molkerei zu tief in die Tasche greifen muss. In Nordhack-stedt sollen bisher rund 60 Millionen DM Fremdkapital aufgelaufen sein. Schon jetzt garantiert die Nordmilch den Adel-byer Erzeugern den gleichen Milchpreis. Die Nordmilch erhofft sich durch die Kooperation bzw. die für spätestens 2005 geplante Fusion mit der Adelbyer Mol-kerei eine deutliche Stärkung im Käse-sektor. Insider werten die Entscheidung als strategisch richtig, da die Nordmilch damit ihre Kapazitäten beim Aufschnitt-käse um 25 000 Tonnen ausweiten kann. Im vergangenen Jahr konnte die Molke-rei etliche Lieferverpflichtungen nicht erfüllen. Deshalb wurde auf Druck der Nordmilch in Nordhackstedt bereits die gesamte Produktion auf Käse umgestellt. Unter dem Strich rechnet sich die Zu-sammenarbeit für uns, versichert Ha-rald Schomacker, immer vorausgesetzt, die Milch bleibt in Nordhackstedt. Die Nordmilch werde hier aber keine unlieb-same Überraschung erleben. Denn die Milchlieferanten, die im Rahmen einer fusionsbedingten Sonderkündigung die Molkerei verlassen wollen, müssten dies auf der Generalversammlung erklären. Wenn zu viel Milch abwandere, dann wäre die Fusion schwer zu begründen, so Schomacker. Kopfzerbrechen bereitet den Nord-milchManagern dagegen die Koopera-tion der Hansa-Milch in Upahl mit dem Wettbewerber Humana Milchunion, Everswinkel. Die Hansa-Milch und die Nordmilch halten jeweils 50 Prozent der Anteile an der attraktiven Marke Han-sano. Wie es künftig mit dieser Marke weitergeht, ist noch ungewiss. Man wer-de aber keinesfalls die eigenen Hansano-Anteile an die Humana-Gruppe verkau-fen, ist aus Bremen zu vernehmen. Von der Humana wiederum ist zu erfahren, dass die Marke Hansano zunächst nicht von der Kooperation betroffen sei. Ein Friedensabkommen zumindest auf Zeit? Nordmilch kommt großen Betrieben entgegen Es sind vor allem größere Betriebe, die jetzt die Nordmilch verlassen wollen. Bei einer Quote von 800 000 kg Milch machen fünf Pfennig Preisdifferenz pro Liter Milch im Jahr rund 40 000 DM aus, erklärt ein Milchlieferant der Nordmilch, da muss ich nicht lange über einen Mol-kereiwechsel nachdenken. Besonders die jungen Milchviehhal-ter, denen in der Ausbildung und im Stu-dium immer wieder unternehmerisches Handeln gepredigt wird, legen kaum noch Wert auf die traditionellen Bindun-gen zum Milchwerk bzw. zur Genossen-schaft. Im Zuge der Betriebsübergabe wechseln sie immer öfter sofort die Mol-kerei, ohne die zweijährige Kündigungs-frist abzuwarten. Der Vorstand der Nordmilch hat jetzt drastische Maßnahmen beschlossen, um die Abwanderung zu stoppen: Die Geschäftsguthaben werden neu geregelt, es wurden eine Staffelung und eine Obergrenze eingeführt. Grundkosten-und Stoppkosten wer-den angepasst. Neu eingeführt werden Staffelpreise. Am Monatsende wird eine Ab-schlagszahlung von 50 Prozent des Milch-geldes ausgezahlt. Die Erzeugerberatung wird neu orga-nisiert. Hier will die Molkerei einen zu-sätzlichen Service für ihre Erzeuger ein-richten. Das Unternehmen will seine Informa-tionspolitik verbessern. Was man bei der Nordmilch offiziell als eine Neuordnung der Mitgliederbe-ziehungen bezeichnet, werten Branchen-kenner als eine deutliche Abkehr vom genossenschaftlichen Geschäftsprinzip. Noch vor einem Jahr hat der Vorstand der Molkerei die Forderungen der Bre-merhavener Gruppe, Staffelpreise ein-zuführen, vehement zurückgewiesen. Daraufhin wanderten etwa 30 Mio. kg aus dieser Region zu privaten Molke-reien ab. Weitere 40 Mio. kg Milch wur-den gekündigt. 25 % der Lieferanten liefern 50 % der Milch Mit der Staffelung der Geschäftsgut-haben und der Auszahlungspreise will die Nordmilch vor allem größeren Be-trieben eine Perspektive bieten. Privat geführte Unternehmen haben bereits seit längerem Staffelpreise eingeführt und verzichten auf die Einzahlung von Geschäftsguthaben. Der Verzicht auf die Zeichnung von Geschäftsanteilen kommt bei diesen Molkereien einer Milchpreiserhöhung um 0,5 bis 0,8 Pfen-nig pro Kilo Milch gleich. Hinzu kommen Staffelzuschläge von bis zu vier Pfennig pro Kilo. Diesem Wettbewerb müsse man sich stellen, begründet Nordmilch-Geschäfts-führer Schomacker den plötzlichen Sin-neswandel seines Unternehmens. Außer-dem habe sich durch die Einführung der Quotenbörse die Erzeugerstruktur dra-matisch verändert. Im letzten Jahr ha-ben 16 Prozent unserer Lieferanten die Milchproduktion eingestellt. Das hat da-zu geführt, dass jetzt rund 25 Prozent un-serer Lieferanten 50 Prozent der gesam-ten Milchmenge anliefern. Dem müssen wir Rechnung tragen.

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