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Die Gänse fressen das Grünland kahl

Lesezeit: 9 Minuten

Ostfriesland gehört zu den größten Milchviehregionen. Doch den Betrieben machen die immer stärkeren Bewirtschaftungsauflagen und die Wildgänse arg zu schaffen.


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Der Wind fegt über das Land, die Windräder scheinen sich in Höchstgeschwindigkeit zu drehen. Auf einigen grünen Flächen steht noch das Wasser vom letzten Regen. Diese typischen Merkmale kennzeichnen eine der milchviehstärksten Regionen in Deutschland. In Ostfriesland produzieren 1 800 Milchviehbetriebe knapp 1,1 Mio. t Milch. Das sind 17 % der gesamten niedersächsischen und rund 3,5 % der deutschen Milch.


Die Milch-Region liegt an der Nordseeküste Niedersachsens. Sie umfasst die Landkreise Aurich, Leer, Wittmund und die kreisfreie Stadt Emden (Karte).


7 % Wachstum in der Krise!

Im Schnitt stehen hier 83 Kühe im Stall. Rund 33 % der ostfriesischen Milchbauern halten bis zu 60 Kühe in ihren Ställen, knapp 39 % der Betriebe haben eine Herdengröße zwischen 60 und 100 Kühen und 28 % der Milchviehhalter melken mehr als 100 Kühe. Die durchschnittliche Herdenleistung beträgt 8 582 kg Milch. Das sind 361 kg mehr als die Kühe im Bundesdurchschnitt geben.


Viele Betriebe sind auf die Milch spezialisiert. Weitere Betriebszweige durch den Ackerbau, Biogas oder Windkraft sind mehr die Ausnahme als die Regel.


Den größten Wachstumsschub haben die Ostfriesen von 2009 auf 2010 hingelegt – also mitten in der Milchkrise. In diesem Zeitraum haben sie die Milchmenge um 7,4 % gesteigert. Das war fast doppelt so viel wie in Niedersachsen gesamt.


Dr. Werner Rüther, Geschäftsführer der Landesvereinigung der Milchwirtschaft Niedersachsen, führt das auf zwei Punkte zurück: „Die Milcherzeuger in Ostfriesland vertrauen zum einen in den freien Markt. Zum anderen ist es die Strategie einiger Landwirte, antizyklisch zu handeln.“ Dabei hat das damals noch attraktive Agrarinvestitionsförderungsprogramm (AFP) zusätzliche Anreize zum Bauen gegeben.


Mittlerweile haben sich die Wachstumsraten wieder normalisiert. In Ostfriesland lag der jährliche Milch-Zuwachs zuletzt bei 1,6 %.


Doch was ist das Geheimnis der Ostfriesen, dieses Wachstum zu leisten?


Ostfrieslands Stärke:

Ostfrieslands größtes Plus sind die familienstarken Betriebe. „Von Jung bis Alt packen alle mit an. Denn sie sind Familienbetriebe und wollen es bleiben“, sagt Uwe Herzog, Berater im Spezialberatungsring für Rinderhaltung und Futterbau e.V. in Aurich. Nur vereinzelt findet man Betriebe mit Arbeitskräften auf 400 €-Basis und noch seltener Festangestellte. „Der Verzicht auf Fremdarbeitskräfte hat den Vorteil, dass man in mageren Zeiten den Gürtel enger schnallen kann, aber den Nachteil, dass man nicht so leicht abkömmlich ist“, gibt Herzog zu denken. Hinzu kommt ein gut ausgebautes Netz an Lohnunternehmern, auf die die Landwirte für ihre Außenarbeiten zurückgreifen können.


Zweites großes Plus der Region: Die Ostfriesen kalkulieren ihre Wachstumsschritte ganz genau. „Überlieferung nehmen sie in Kauf, Fläche hingegen wird nicht zu jedem Preis gepachtet. Und eine Betriebserweiterung, die nur mit Fremdarbeitskräften zu bewerkstelligen ist, steht der Betriebsphilosophie der meisten ostfriesischen Milchbauern entgegen“, sagt Siebend Peters vom Beratungsring Leer e.V.


Ostfriesen sind vorsichtige Unternehmertypen, die garantiert nicht wachsen, um mit dem allgemeinen Trend mitzuhalten. Deshalb setzen die Betriebe vor allem auf Automatisierung in der Stalltechnik, wie z. B. durch den Einsatz von Melkrobotern. „Sie sind extrem offen für neue Entwicklungen und Technologien“, sagt Herzog.


Dr. Rüther führt ein weiteres Argument an: „In Ostfriesland gibt es viel Grünland. An solchen Standorten ist Milchproduktion die einzige rentable Nutzungsmöglichkeit. Die Quote ist in den letzten Jahren in diejenigen Regionen Nordwestdeutschlands gewandert, in denen es viel Grünland gibt.“


Marsch, Moor und Geest:

Doch die Region Ostfriesland hat auch ihre besondere Herausforderung.


Die Vielfalt an Landschaften und Bodenarten macht die Region heterogen. Während die Küste durch Marschland geprägt ist, wechseln sich landeinwärts Niedermoor, Geest und Hochmoor ab.


Im Landkreis Leer macht die Marsch einen Großteil der Bodens aus. 75 % beträgt hier der Anteil Grünland an der landwirtschaftlichen Nutzfläche. In Aurich und Wittmund, wo Moor und Geest die Bodenart dominieren, liegt der Grünlandanteil zwischen 54 % und 60 %.


„Einige Betriebe haben von allem etwas: Marsch, Moor und Geest. Das stellt unterschiedliche Anforderungen an die Bewirtschaftung“, erklärt Peters.


Charakteristisch für die Region ist außerdem die kleinparzellierte Flächenstruktur. „Zwischen 0,5 und 3,0 ha sind die Schläge groß. Viele Flächen betragen 1 Dimt. Das ist das ostfriesische Flächenmaß und entspricht 0,5 ha. Ein kleines Andenken an die Zeit des ostfriesischen Fürstentums 1464 bis 1744“, sagt Peters.


Ein Nachteil in dieser Flächenstruktur ist die oft relativ geringe Breite der Schläge von 50 m. Das entspricht oftmals nur 1,5 Arbeitsbreiten der Maschinen und erhöht den Arbeitsaufwand bei der Feldbestellung. Die Parzellen werden durch Entwässerungsgräben, kleine Grübben und Wallhecken, die vor Wind­erosion schützen sollen, „unüberwindbar“ voneinander getrennt.


Darüber hinaus gibt es in Ostfriesland vergleichsweise viele Waldflächen und natürliche Niedermoorseen, die einprägsame Namen wie „Ewiges Meer“ oder „Großes Meer“ haben.


Wasser überall:

Ostfriesland liegt stellenweise 1 bis 2 m unter NN. Eine durchschnittliche Niederschlagsmenge von 800 mm/Jahr sowie der hohe Anteil an Marschflächen und Moorwiesen haben viele nasse Flächen zur Folge. „Im Frühjahr und Herbst haben viele Landwirte ein massives Problem auf die Flächen zu kommen“, erläutert Peters. „Der erste Schnitt, die Beweidung und die Gülleausbringung können mancherorts erst zwei bis drei Wochen später erfolgen. Und der vierte Schnitt kann oftmals nur unter erschwerten Bedingungen eingefahren werden.“ Und das, obwohl es gut aufgestellte Wasser- und Bodenverbände gibt. Sie sind für die Pflege der Entwässerungsgräben und Drainagesysteme zuständig.


Flächenknappheit und steigende Pachtpreise machen auch in Ostfriesland nicht halt. „Zwischen 400 und 600 € zahlen die Landwirte hier pro Hektar Grünland. Für den Hektar Ackerland liegen die Preise zwischen 400 und 700 €“, sagt Peters. Der Pachtflächenanteil der ostfriesischen Milchviehbetriebe liegt zwischen 40 und 50 %.


Verschiedene Faktoren haben in der Vergangenheit zum knappen Angebot und zu den üppigen Preisen geführt:


Es entstehen zunehmend Wohn- und Gewerbegebiete im Auricher Raum. „Man kann regelrecht von einer Zersiedlung des ländlichen Raumes sprechen“, schimpft Herzog. „Darüber hinaus führen Lärm und Geruch in eng besiedelten Gebieten zwangsläufig zu Konflikten und verschärften Kontrollen von Seiten der Ämter“, fügt Peters hinzu. Das mache das Wirtschaften in der Region nicht einfacher und das Wachsen schwieriger. Über Dritte seien die Flächen verkauft und als Baugebiete ausgewiesen worden.


Zu einer Landverknappung führt auch die Emsvertiefung. Damit große Schiffe bei der nahe gelegenen Meyerwerft in Papenburg ein- und auslaufen können, wird die Ems zu gegebenen Zeiten ausgebaggert. Der hochgeholte Schlick wird auf den umliegenden Flächen abgelagert. „Schlick ist ein sehr nährstoffreicher Boden. Hat er sich nach Jahren gesetzt, sind dort sehr fruchtbare Böden entstanden, die nicht selten 90 Bodenpunkte haben. Jedoch sind sie in den ersten Jahren nicht zu bewirtschaften und erhöhen den Druck auf den Flächenmarkt“, erklärt Herzog.


Obwohl es in Ostfriesland wenig Biogasanlagen gibt, haben sie zu einer Verschärfung der Flächenkonkurrenz beigetragen. Davon ist Herzog überzeugt: „Zu Beginn des Biogasbooms haben die Anlagen das überschüssige Futter in der Region verwertet. Daraufhin haben diese Landkreise mehr Anlagen genehmigt und diese drücken auf den Pachtmarkt.“


Schärfere Auflagen!

Und nicht zuletzt haben die Ostfriesen mit schärferen Bewirtschaftungsauflagen zu kämpfen, die das Wachstum ausbremsen.


Die schmerzlichste von ihnen: Das Landwirtschaftsministerium plant ein Umbruchverbot für Grünland in Natura-2000-Gebieten (also FFH-Gebiete und/oder Vogelschutzgebiete). Es soll bundesweit pauschal als umweltsensibles Grünland gelten, obwohl die EU diese Einstufung nur für bestimmte Flächen vorsieht. Das würde ein generelles Umbruchverbot bedeuten. Erich Hinrichs, Präsident des landwirtschaftlichen Hauptvereins in Ostfriesland fürchtet deshalb ernsthafte Konsequenzen für Ostfriesland: „Eine Neuansaat zur Narbenerhaltung oder ein Flächentausch (Acker gegen Grünland) wären nicht mehr möglich!“


In Ostfriesland sind von dem Verbot 38 000 ha landwirtschaftliche Nutzfläche (überwiegend Grünland) betroffen. Viele der Milcherzeuger setzen wenig Kraftfutter und Mais ein. Die Rationen bestehen teilweise sogar aus 85 % Grassilage. Sie sind daher auf einen guten ersten Schnitt angewiesen. Dafür ist von Zeit zu Zeit eine Neuansaat notwendig.


Gänse fressen die Weide kahl!

Dazu kommt der starke Druck durch die Gänse an der Küste. Die Wildgänse weiden die Flächen im Winter radikal ab, sodass eine Neuansaat nötig wird. Der ständige Kahlfraß und die Verkotung schaden der Grasnarbe. Selbst die Betriebe weiter im Hinterland merken schon, dass die Vögel näher kommen.


275 € pro Hektar und Jahr zahlt das Umweltministerium, wenn die Landwirte am Gänseschutzprogramm teilnehmen. Sie dürfen auf bestimmten Grünlandflächen vor dem 31. 03. keine Gülle ausbringen, Walzen oder Striegeln. Mähen dürfen sie erst ab dem 20. 05. „Die Teilnahme ist zwar freiwillig, jedoch sehen sich die Landwirte gezwungen, beim Programm mitzumachen“, erklärt Peters. „Denn durch das Landschaftsschutzgebiet gelten ohnehin scharfe Auflagen. Durch die Förderung kann der durch die Gänse verursachte Schaden zumindest teilweise kompensiert werden“, erklärt Peters.


Zusätzlich sollen ab nächstem Jahr 10 % der Fläche, die zum Gänseschutzprogramm gehören, als Wiesenvogelschutzprogramm ausgewiesen werden. Das bedeutet noch schärfere Auflagen. Sie dürften nicht vor dem 06. 06. gemäht und müssten zudem bewässert werden. Das Umweltministerium fordert vom Kreis Leer, 600 ha für das Wiesenvogelschutzprogramm auszuweisen. „Das und der Gänsefraß schränken die Grünlandnutzung massiv ein“, sagt Peters.


Damit aber nicht genug. Viele sensible Biotope befinden sich in unmittelbarer Nähe zu landwirtschaftlichen Betrieben. In einem Umkreis von 300 m um das Biotop herum dürfen nicht mehr als 5 kg Stickstoff pro Hektar ausgebracht werden.


Bisher hatten erst wenige Betriebe die Ausnahmeregelung, 230 kg organischen Stickstoff auf Grünlandflächen ausbringen zu dürfen, genutzt. „Die meisten Landwirte haben die Gülle an Nachbarn oder über die Güllebörse abgegeben“, erklären die Berater. Aus dem Raum Cloppenburg wird die Gülle sogar containerweise an die ostfriesische Küste gefahren. Viele Milcherzeuger hatten jedoch bereits mit der Derogation geliebäugelt, da die anfallende Gülle auf ihren Betrieben mehr wird. Doch mit dem Wegfall der Ausnahmeregelung ist das passé. Die 170 kg N-Grenze könnte für einige Betriebe zukünftig ein limitierender Faktor sein.


Was kommt 2015?

Der Quotenausstieg ist für die ostfriesischen Milcherzeuger längst kein Blick in die Glaskugel mehr. Die meisten haben 2009 und 2010 ihre Wachstumsschritte vollzogen. „Die Milchschwemme wird in Ostfriesland ausbleiben“, ist sich Dr. Rüther sicher.


Neben der Flächenknappheit werden das Greening und die Düngeverordnung Bremsklötze in der betrieblichen Weiterentwicklung sein. Auch das AFP wird keine neuen Anreize mehr zum Bauen schaffen. Die dafür zu erfüllenden Auflagen sind teilweise höher als die im ökologischen Landbau. Das ist für viele Landwirte uninteressant.


Dr. Rüther rechnet in Ostfriesland mit einem moderaten Wachstum von 2 bis 3 % pro Jahr. Svenja Pein

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