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Die Wölfe kommen zurück

Lesezeit: 9 Minuten

In Deutschland breiten sich die Wölfe rasant aus. Während Naturschützer jubeln, fordern Weidetierhalter rasches Einschreiten gegen das Raubtier. Der Wolf ist längst ein Politikum geworden.


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Wie jeden Morgen kontrolliert Manfred Kohn auch am 18. Juli seine Mutterkuhherde. Der Landwirt aus Waddekath bei Salzwedel in Sachsen-Anhalt hält 40 Rinder der Rassen Charolais und Fleckvieh – normalerweise sehr ruhige und umgängliche Tiere.


Doch an diesem Morgen laufen die Tiere panisch auf der Weide im Kreis herum. Er versucht sie zu beruhigen, aber sie nehmen ihn gar nicht wahr, nur mit einem beherzten Hechtsprung kann er sich retten. In ihrer Panik achten die Mütter nicht mehr auf ihre Kälber, eines wird hochgeschleudert und gerät unter die stampfende Herde. Es überlebt die Stampede nicht. Später findet Kohn nahe der Weide ein riesiges Trittsiegel. Ein Jäger bestätigt ihm: „Das war ein Wolf.“


Wolf breitet sich aus:

Erlebnisse wie diese haben Landwirte heute fast täglich. Seit der Grenzöffnung im Jahr 1990 breiten sich Wölfe von Sachsen rasch in Richtung Nord-Westen aus (siehe Kasten, Seite R 8). Mit über 33 offiziell festgestellten Rudeln sind heute rund 300 Wölfe wieder heimisch.


Naturschützer jubeln. „Die Zahl der Tier- und Pflanzenarten ist permanent rückläufig, wir sollten froh sein, wenn eine Art freiwillig zurückkehrt“, betont Dr. Reinhard Löhmer, stellvertretender Vorsitzender im BUND-Landesverband Niedersachsen. „So etwas können sich nur Stadtmenschen ausdenken, die die Sorgen von uns auf dem Land nicht kennen“, entgegnet Jochen Studtmann, der in Amelinghausen in der Lüneburger Heide unter anderem einen Pferdehof für Feriengäste betreibt. Wie viele seiner Berufskollegen hat er natürlich auch nichts gegen Artenvielfalt. „Aber müssen wir in unserer dicht besiedelten Gegend die Rückkehr eines Großraubtiers forcieren, ohne das wir 150 Jahre gut ausgekommen sind?“


Existenzangst nimmt zu:

Viele Landwirte haben Existenzangst. Zwar ernährt sich das Raubtier hauptsächlich von Wildtieren. Doch in Sachsen haben Wölfe seit dem Jahr 2002 offiziell 443 Nutztiere gerissen (Übersicht 1), in Brandenburg von 2007 bis heute rund 450, in Niedersachsen seit 2008 etwa 170. Selbst an der schleswig-holsteinischen Westküste hat ein durchziehender Wolf Schafe getötet.


Mit Weidetieren haben sie eine leichte Beute, vor allem bei Schafen, Ziegen und Damwild, die dem bis zu 90 cm großen und über 50 kg schweren Raubtier nichts entgegensetzen können. Auch machen Wölfe vor 200 kg schweren Rindern nicht halt.


Davon kann Frank Groba ein Lied singen. Der Landwirt aus Schwarzkollm bei Hoyerswerda (Sachsen) hält rund 250 Mutterkühe der Rassen Fleckvieh, Limousin und Blonde d’Aquitaine. Seit 2002 stellt er immer wieder tote Kälber auf oder neben den Weiden fest, von denen große Teile weggefressen waren. Aber auch Bissspuren am Hals der Rinder, die er im Außenstall hält, hat er schon beobachtet.


Das Land Sachsen entschädigt zwar seit einigen Jahren Nutztierrisse offiziell. Dafür muss aber eindeutig feststehen, dass ein Wolf das Tier getötet hat. „Bei mir haben die Wolfsgutachter meistens einen streunenden Hund verantwortlich gemacht“, ärgert er sich. In den letzten zwölf Jahren hat er daher nur für ein Rind eine Entschädigung in Höhe des Zuchtwertes erhalten.


Tiere werden aggressiver:

Doch die Landwirte bleiben nicht nur auf den Verlusten sitzen. „Die Tiere werden auch aggressiv, wenn der Wolf in der Nähe ist“, sagt Groba. Ein Beispiel dafür ist, dass einige Kühe ein junges Wildschwein auf der Weide getötet haben. Und kürzlich hat eine der Kühe einen Vater mit seinem Kind attackiert, weil beide ein frisch geborenes Kalb am Zaun streicheln wollten.


Auch andere Tierhalter beobachten das Verhalten. „Wenn die Tiere morgens im Kreis stehen und die Kälber in ihre Mitte genommen haben, wissen wir, dass der Wolf nachts da war“, berichtet Rudolf Michaelis, Landwirt aus Rätzlingen bei Uelzen und Vorsitzender der Interessengemeinschaft Weidetierhalter Nord-Ost-Niedersachsen.


Angst vor Folgeschäden:

Vor den Schäden, die aggressive oder ausgebrochene Tiere verursachen könnten, haben viele Landwirte Angst. Denn nicht jede Versicherung übernimmt diese automatisch. Schäden, die durch den Ausbruch von Herden aus gesicherten Weiden in Wolfsregionen entstehen, soll die Landesregierung übernehmen, fordert die „Arbeitsgruppe Tierhalter Niedersachsen“. Denn zurzeit gibt es für die Entschädigung keinen Rechtsanspruch, sie ist freiwillig (weitere Forderungen haben wir für Sie unter www.topagrar.com, Rubrik „Heft +“ aufgeführt).


Die Angriffe sind aber auch belastend für die Tierhalter. „Es ist ein Schock, wenn man morgens zur Weide kommt und da stehen hilflose, schreiende Tiere, denen der Wolf große Stücke Fleisch rausgerissen hat. Sie verenden qualvoll“, schildert zum Beispiel Schäfer Kay Krogmann aus Nordholz (Niedersachsen). In seinem Betrieb hat der Wolf in den vergangenen zwei ­Jahren sechsmal zugeschlagen. Folge: Zwölf tote und 20 schwer verletzte Tiere, dazu zahlreiche Fehl- und Totgeburten.


Auf den Wolf einstellen:

Die „Wolfsmanagementpläne“, die es inzwischen in den meisten Bundesländern gibt, empfehlen Schutzmaßnahmen ­gegen den Wolf. „Unserer Erfahrung nach gehen die Übergriffe auf Nutztiere in den Gebieten zurück, wo sich die Landwirte auf den Wolf eingestellt haben“, erklärt Projektleiterin Vanessa Ludwig vom sächsischen Kontaktbüro „Wolfsregion Lausitz“ in Rietschen.


Die Statistik gibt ihr recht. Denn obwohl die Zahl der Rudel in Sachsen zunimmt, gab es in den vergangenen Jahren weniger Risse.


Der sächsische Wolfsmanagementplan empfiehlt als Mindestschutz bei Schafen und Ziegen einen Zaun in Höhe von 90 cm (Flexizaun bzw. fünf stromführende Litzen) mit mindestens 2 000 Volt elektrischer Spannung.


Ein fester Zaun sollte dagegen 1,20 m hoch sein. Der bodennahe Abschluss bzw. ein Eingraben des Zauns bei fester Umzäunung bzw. ein maximaler Abstand von 20 cm zwischen Boden und der untersten stromführenden Litze ist wichtig. „Denn Wölfe versuchen eher, unter einem Zaun hindurch zu graben als über den Zaun zu springen“, weiß Ludwig.


Enorme Kosten:

Gerade der Unterwühlschutz bereitet Tierhaltern große Kopfschmerzen. „Wenn die unterste Litze 20 cm vom Boden entfernt sein soll, muss ich ja im Sommer wöchentlich das Gras unterm Zaun mähen. Die Zeit habe ich nicht“, urteilt Landwirt Groba.


Genauso praxisfern ist es, feste Zäune in die Erde einzugraben. „Viele Tierhalter haben vor dem Zaun als Sichtschutz Bäume und Sträucher pflanzen müssen“, berichtet Joachim Strampe vom Verband der landwirtschaftlichen Wildtierhalter. Ein Unterwühlschutz bedeutet daher in den meisten Fällen einen kompletten Neubau des Zauns.


Jochen Studtmann rüstet gerade seine 30 ha Pferdeweiden nach den Empfehlungen um. Dafür errichtet er Zäune mit fünf stromführenden Litzen. „Das kostet mich bei rund 1 500 € je ha über 45 000 €“, rechnet er vor.


Anschaffungen für Präventivmaßnahmen wie Zäune will Niedersachsen künftig wie die Vorbilder Sachsen und Brandenburg fördern. Aber daran glaubt Studtmann nicht: „Wenn wir Niedersachsen wolfsicher einzäunen wollen, kostet das Millionen. Das Geld werden wir niemals sehen!“ Schon heute lässt eine entsprechende Richtlinie zur Entschädigung in Niedersachsen seit über drei Jahren auf sich warten.


Zaun hilft nur bedingt:

Bereits heute haben erste kleinere Betriebe in Wolfsregionen die Tierhaltung aufgegeben. „Sie haben es bei hohen Flächen- und Pachtpreisen ohnehin schwer, ausreichend Deckungsbeiträge zu erzielen“, sagt Friedrich Averbeck (Masterrind). „Will die Gesellschaft, dass freilebende Rinder und Schafe als Landschaftspfleger aus der Kulturlandschaft verschwinden?“, fragen sich viele betroffene Landwirte.


Dazu kommt, dass diese Schutzmaßnahmen keinen hundertprozentigen Schutz bieten. So ist zu erklären, dass es 279 der 449 Wolfsrisse in Sachsen bei geschützten Herden gab. Und in Eimke (Niedersachsen) hat ein Wolf z. B. mitten im Ort einen 1,50 m hohen Zaun übersprungen, zwei Heidschnucken getötet und das Gehege auf dem gleichen Wege wieder verlassen.


„Wie sollen wir den Verbrauchern klarmachen, dass unsere Weiden in Zukunft aussehen wie Hochsicherheits­trakte?“, fragt sich nicht nur Milchviehhalter Heinz Korte, Vorsitzender des Kreislandvolkverbandes Bremervörde (Niedersachsen). Gerade weil Landwirte das Jungvieh in Grünlandregionen meist auf der Weide halten und diese – anders, als bei Mutterkühen – nicht durch wehrhafte Alttiere geschützt sind, bliebe den Landwirten daher nur eine Konsequenz: ganzjährige Stallhaltung. „Das steht völlig im Widerspruch zu dem Wunsch der Politik, mehr Kühe auf der Weide sehen zu wollen“, ärgert er sich.


Immer mehr Wölfe:

Nach einer Studie der Veterinärmedizinischen Universität Wien hätten in Deutschland theoretisch 441 Rudel Platz, wenn man von einem Platzbedarf von 220 km2 pro Rudel ausgeht. Für die meisten Weidetierhalter in Wolfsregionen ist die Zahl der Raubtiere heute schon zu hoch.


Dem Naturschutz reicht das dagegen noch nicht. Denn laut europäischer FFH- Richtlinie (Flora-Fauna-Habitat), unter die der Wolfsschutz fällt, müssen in einer zusammenhängenden Population mindestens 1 000 geschlechtsreife Tiere leben. Erst dann bliebe die Art dauerhaft erhalten. 1 000 Tiere bezieht sich auf die mitteleuropäische Population, zu der Deutschland und Polen gehören. Erst wenn diese 1 000 Tiere erreicht wären, ist theoretisch eine Bejagung denkbar. Dafür müssten aber alle EU-Staaten einer Änderung der FFH-Richtliche zustimmen. Die politischen Hürden dazu sind hoch.


Eine unselektive Bejagung könne das soziale Gefüge eines Rudels stören, befürchtet der NABU Deutschland. Junge Wölfe könnten aus Hunger noch mehr Schäden unter Nutztieren anrichten.


„Bei der Bejagung geht es jedoch nicht darum, den Wolf auszurotten, sondern maßvoll eine bestimmte Quote aus dem Bestand zu entnehmen“, erklärt Frank Fass vom Wolfcenter Dörverden, der selbst auch Jäger ist.


Sollten Wölfe in Zukunft mehr in der Nähe von Siedlungen und Höfen anzutreffen sein, könnte eine Bejagung dazu führen, dass die natürliche Scheu des Wolfs vor dem Menschen weiter zunimmt. Genauso müsse man jetzt diskutieren, bestimmte Regionen per Bejagung wolfsfrei zu halten – z. B. die Grünlandregionen in Nordwest-Niedersachsen mit wenig Wald und intensiver Weidehaltung.


Beim Konflikt zwischen Wolf und Landwirtschaft dürfe jedenfalls nicht mit zweierlei Maß gemessen werden, fordert die Interessengemeinschaft Weidetierhalter Nord-Ost-Niedersachsen, der inzwischen über 100 Landwirte angehören: Auch Nutztiere haben ein Lebensrecht. Darum wollen sie sich jetzt mit juristischem Beistand gegen die Bedrohung Wolf wehren. Hinrich Neumann

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