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Gentechnik-freie Milch: Eine Nische oder mehr?

Lesezeit: 7 Minuten

D er Weg zur bundesweit ersten konventionell erzeugten Milch ohne Gentechnik war ein ganz steiniger, erklärt Franz-Josef Dohle, Milcherzeuger aus dem Sauerland. Er gehört zu den 45 Bauern der Milcherzeugergemeinschaft Sauerland, die seit April dieses Jahres gentechnik-freie Milch produzieren und vermarkten. Für konventionelle Milch ist dieses Projekt bisher einmalig. Die Futtermittelhändler haben reihenweise abgewunken, als wir gentechnik-freie Futtermittel von ihnen beziehen wollten. Und herauszufinden, welche Medikamente GVO-frei sind, war Schwerstarbeit, beschreibt Dohle, dessen Milch heute in Milchtüten mit dem Label: Ohne Gentechnik im Kühlregal der Supermarktkette tegut zu finden sind. Kein Gentechnik- Nachweis in der Milch Ist gentechnik-freie Milch etwas Besonderes? Ist ein Naturprodukt wie Milch nicht per se gentechnik-frei? Nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft ist eine Veränderung in der Milch durch gentechnisch verändertes Futter nicht nachweisbar. Daher muss die Milch nicht gekennzeichnet werden. Im Umkehrschluss darf die normale Milch aber auch nicht so die EU-Verordnung als Milch ohne Gentechnik ausgelobt werden. Diese unklare Situation ist derzeit Realität in Deutschland und sorgt immer wieder für Streit über die Frage, was als Gen-Milch bezeichnet werden darf und was nicht. Jüngstes Beispiel: Die Auseinandersetzung zwischen Greenpeace und Müller-Milch. Ein Streit, der Gerichte beschäftigt, und das, obwohl die Kennzeichnungspflicht für Gen-Produkte und das Gentechnikgesetz seit 2004 regeln, wie hierzulande mit der grünen Gentechnik umgegangen werden muss: Alle gentechnisch veränderten Lebensmittel und Futtermittel müssen gekennzeichnet werden. Im Klartext: Milchleistungsfutter muss gekennzeichnet werden, wenn es etwa gentechnisch verändertes Sojaschrot enthält. Die Kennzeichnungspflicht greift sogar, wenn die gentechnisch veränderten Substanzen im Endprodukt nicht mehr nachweisbar sind. Ausgenommen von der Kennzeichnungspflicht sind tierische Produkte, wie Milch, Eier und Fleisch. Auch dann, wenn die Tiere mit gentechnisch verändertem Futter gefüttert werden. Nur deshalb tragen Milchtüten in Deutschland keine Kennzeichnung gentechnisch verändert. Bergweide-Trinkmilch in 320 Läden Aber gerade darin sieht die Sauer- länder Milcherzeugergemeinschaft mit 45 konventionell wirtschaftenden Landwirten, die im Schnitt über 300 000 kg Quote verfügen, ihre Chance. Sie haben sich seit April dieses Jahres verpflichtet, bei der Fütterung und Behandlung ihrer Tiere auf gentechnisch veränderte Futtermittel, Vitamine, Mineralsstoffe und Medikamente zu verzichten. Im Moment werden rund 2 Mio. kg Milch als gentechnik-frei von der Upländer Bauernmolkerei verarbeitet und seit Ende Juni über die Vermarktungsfirma Bergweide mit Sitz im hessischen Lichtenfels als Bergweide-Trinkmilch an die Lebensmittelkette tegut verkauft. Da die Milch ohne gentechnisch veränderte Futtermittel, Vitamine, Mineralstoffe und Medikamente erzeugt wurde, darf auf der Tüte der Aufdruck Ohne Gentechnik prangen. Die Milch wird in ca. 320 Läden von Südniedersachsen über Hessen, Thüringen bis nach Bayern verkauft. Das ist bisher in Deutschland einmalig. Knackpunkt: Gentechnik-freie Futtermittel Bis dahin war es ein weiter Weg. Der Vorstand sammelte Informationen zum Thema und holte die Meinung der MEG-Mitglieder ein. Nach einigen Diskussionen wurde schließlich einstimmig beschlossen, das Thema gentechnik-freie Milch anzugehen. Und das, obwohl keiner der Mitglieder biologisch wirtschaftet oder dies in Zukunft tun will. Zuerst musste gentechnik-freies Futter gefunden werden. Deutschlandweit betrat man damit Neuland. Nur von Geflügelmästern und einigen Markenprogrammen für Schweinefleisch war bekannt, dass sie ähnliche Projekte durchführen. Nach viel hin und her fand die MEG schließlich drei Futtermittelhändler in der Region, die bereit waren, entweder Einzelkomponenten oder Mischfuttermittel für die Erzeugung der Milch ohne Gentechnik anzubieten. Knackpunkt bei vielen Milchleistungsfuttermitteln sind die Komponenten Soja, Mais und Baumwollsaaten, die überwiegend aus Amerika kommen, wo gentechnisch verändertes Saatgut schon großflächig genutzt wird. Heute bietet das Liefu Kraftfutterwerk in Rheda-Wiedenbrück sowohl Sojaschrot als auch bis zu acht verschiedene Milchleistungsfutter an. Durch dieses Angebot haben wir einen zusätzlichen Kundenkreis gewonnen, freut sich der Verkaufsleiter des Kraftfutterwerkes Karl Eckstein. Er gibt zu, dass damit auch ein Mehraufwand für den getrennten Einkauf, die Herstellung sowie für Lagerung und Transport verbunden sei, aber den Kunden von der Stange gäbe es eben nicht. Auch die Raiffeisen-Warengenossenschaft Paderborn-Bürener Land gehört zu den Lieferanten der MEG. In Büren ersetzt man die Sojakomponente im Mischfutter größtenteils durch Raps aus heimischer Erzeugung. Vitamine und Mineralstoffe beziehen die Bauern der Bergweide-Milch von Josera und Schaumann. Alle Firmen legen Wert darauf, dass ihre Futtermittel nicht GVO-frei sind, sondern lediglich nicht unter die Kennzeichnungspflicht fallen. Ein feiner, aber sehr wichtiger Unterschied. Ein gentechnisch nicht verändertes Futtermittel würde Nulltoleranz bedeuten. Um aber Lebensmittel oder Futtermittel mit kleinsten Verunreinigungen nicht kennzeichnen zu müssen, wurde in der EU-Verordnung ein Grenzwert von 0,9 % festgelegt. Alle Futtermittel, die unter diesem Grenzwert liegen, müssen nicht gekennzeichnet werden, können aber geringe Mengen gentechnisch veränderte Substanzen enthalten. Tierarzt untersucht die Medikamente Nachdem die Futtermittel-Hürde genommen war, gings an die Medikamente. Im Gegensatz zu unseren Nachbarn in Österreich, die Milch als gentechnikfrei bezeichnen dürfen, wenn die eingesetzten Futtermittel frei sind, müssen in Deutschland auch die Medikamente, die an den Kühen angewandt werden, frei von gentechnischen Veränderungen sein. Nach einiger Recherche fand man das Paul-Ehrlich-Institut in Langen, das sich schon länger mit diesem Thema beschäftigte. Seitdem stehen zwei hierzulande gebräuchliche BHV1-Impfstoffe bei den MEG-Mitgliedern auf der Tabuliste für den Hoftierarzt. Ein von der Molkerei beauftragter Veterinär untersucht alle Neuzulassungen auf eventuelle Spuren von genveränderten Organismen (GVO) und meldet dies den Bauern weiter. Im letzten Schritt musste schließlich ein eigenes Kontrollsystem für die Milch entwickelt werden. Dazu haben sich alle Beteiligten mit einem auf Gentechnik spezialisierten Rechtsanwalt an einen Tisch gesetzt und über Monate gemeinsam getüftelt. Jetzt werden sowohl das Endprodukt als auch die eingesetzten Futtermittel und Medikamente in unangemeldeten Stichproben durch eine staatlich anerkannte Kontrollstelle aus Baden-Württemberg kontrolliert. Um die Kontrollen für die Bauern zu vereinfachen, hat ein Mitglied der Erzeugergemeinschaft einen Ordner entwickelt, mit dem die erforderlichen Unterlagen wie Tierarztbelege und Lieferscheine für Futtermittel einfach und übersichtlich abgelegt werden können. 1,25 Cent mehr für die Milch Der Lohn für so viel Aufwand und Mühe ist ein Zuschlag von 1,25 Cent je Liter. Bei einem Absatz von 5 Mio. kg Milch steigt der Zuschlag bis auf 2,5 Cent je Liter. Diesen Zuschlag brauchen die Bauern auch, denn allein beim Kraftfutter müssen sie zwischen 2 und 5 E mehr je Dezitonne zahlen. Und auch die Dokumentation mit vielen Stunden am Schreibtisch will bezahlt werden. Wer als Kraftfutterkomponenten ho-he Anteile an Getreide, Raps oder Zuckerrübenschnitzel einsetzt, kann schon bei einem derzeitigen Zuschlag von 1,25 Ct/l einen Mehrerlös erzielen. Wer aber größtenteils pelletiertes Kraftfutter vom Händler bezieht, muss schärfer kalkulieren, erklärt Dohle. Bei einer angenommenen Durchschnittsleistung von 7 000 l und einem Kraftfutterbedarf von 22 dt/Kuh kippt die Kalkulation dagegen schon bei einem Mehrpreis für das Kraftfutter von 4 E/dt. Denn vom Mehrerlös müssen nicht nur die erhöhten Kraftfutterkosten sondern auch der Aufwand für die Dokumentation bezahlt werden. Wir wollen mit diesem Projekt zeigen, dass es sowohl für den Verbraucher als auch für konventionelle Bauern, eine Wahlmöglichkeit beim Thema grüne Gentechnik gibt, so die Geschäftsführerin der Firma Bergweide, Karin Artzt-Steinbrink. Sie hofft, dass statt der momentan 20 % schon bald die gesamte Milch der MEG Sauerland (10 Mio. kg) als Bergweide- Milch abgesetzt werden kann. Momentan laufen Gespräche mit weiteren Lebensmittelhändlern, einem Schokoladenhersteller und sogar ein Tiefkühlkostverarbeiter hat Interesse bekundet. Ein Ausblick, den sowohl die Molkerei als auch die Bauern begrüßen würden, denn dann steigt der Zuschlag. Friederike Stahman

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