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Milchpreis-Debakel: Wie Englands Farmer reagieren

Lesezeit: 8 Minuten

Seit Mitte der 90er Jahre ist der britische Milchpreis um gut ein Drittel gesunken (siehe Übersicht 1). Er liegt gegenwärtig bei 18 bis 19 Pence/kg, das sind je nach Umrechnungskurs etwa 24 bis 26 Cent/kg. Damit liegt das Preisniveau im Vereinigten Königreich um bis zu 14 % unter dem der übrigen EU-Staaten. Dies hat zu einem solch starken Rückgang der Milchproduktion geführt, dass die nationale Milchquote momentan nur zu 95 % beliefert wird. Und den Prognosen namhafter Experten zufolge werden Milchpreise und Milcherzeugung in den nächsten Jahren weiter zurückgehen. Preisverfall am freien Markt Dabei war die Welt für die britischen Milcherzeuger gut 60 Jahre lang weitgehend in Ordnung. Denn der Milchpreis wurde durch eine strikte staatliche Marktregulierung effektiv gestützt. Rohmilch durfte seit den 30er Jahren nur über eines der fünf Milk Marketing Boards gehandelt werden. Diese zur Abnahme der gesamten Erzeugermilch verpflichteten Genossenschaften traten in ihren regionalen Zuständigkeitsbereichen als Monopollieferanten der milchverarbeitenden Industrie auf. Zudem handelten sie mit dem Molkereiverband die Milchpreise aus, so dass sich am Markt zwei ungefähr gleichstarke Partner gegenüberstanden. Obwohl das System gut funktionierte, kam es ab Beginn der 90er Jahre aufgrund von Unstimmigkeiten über die Preispolitik und infolge wettbewerbsrechtlicher Bedenken unter Druck. Hinzu kam ein wachsender Einfluss des zunehmend konzentrierten Lebensmittelhandels. Am Ende der Entwicklung standen im Oktober 1994 die Abschaffung der Milk Marketing Boards und der Übergang zu einem freien Milchmarkt ohne staatliche Reglementierungen. Als Konsequenz haben sich die Kräfteverhältnisse am Milchmarkt deutlich zu Ungunsten der Landwirte verschoben. So stehen den zurzeit ca. 19 500 Milcherzeugern vier Großmolkereien gegenüber, die 85 bis 90 % der gesamten Rohmilch verarbeiten (Dairy Crest, Glanbia, Arla Foods, Robert Wiseman Dairies). Hoher Importdruck Zudem wirkte sich in den vergangenen zehn Jahren auch die unausgeglichene Außenhandelsbilanz der britischen Molkereiwirtschaft negativ auf die Erzeugerpreise aus. Zwischen 1994 und 2004 verdoppelte sich der Importüberschuss auf gut 1 Mrd. Euro. Insbesondere die Einfuhr attraktiver Käsesorten sowie von Joghurt und Milchdesserts hat seit 1995 stark zugenommen. Mittlerweile liegt der Selbstversorgungsgrad bei nur noch 80 %, d. h. es werden nur noch 80 % der im Vereinigten Königreich konsumierten Molkereiprodukte auch dort produziert. Nutznießer dieser Entwicklung sind die ausländischen Molkereien neben dem dänischen Molkereikonzern Arla auch deutsche Unternehmen, wie z. B. Müller- Milch. Schwache Molkereien Der Grund für den verstärkten Importdruck liegt darin, dass die britische Milchindustrie zu wenig attraktive Milchprodukte anbietet: Die meisten Molkereien haben zu lange auf die Herstellung von Interventionsware (Butter, Pulver) sowie von einfachem Cheddar-Käse gesetzt und ihre Produktion nur unzureichend an den Bedürfnissen des Marktes ausgerichtet, so Gwyn Jones, Vorsitzender der Erzeugervereinigung National Farmers Union. Der gestiegenen Einfuhr hochwertiger Produkte steht die Ausfuhr gering veredelter Milcherzeugnisse, wie z. B. Trinkmilch, Rahm und Milchpulver, gegenüber. Einen zusätzlichen Preisdruck üben saisonale Angebotsspitzen (Blockabkalbung) und insbesondere die Stärke des britischen Pfunds aus. Diese erleichtern den Import von Milchprodukten und führen im Vergleich zur Eurozone zu niedrigeren nationalen Interventionspreisen (Stützung der Erzeugerpreise), die mittlerweile bis auf 24 Ct/kg gesunken sind. Damit ist die Talsohle nach Einschätzung von David Colman, Professor für landwirtschaftliche Betriebslehre an der Universität Manchester, noch nicht erreicht. Nach seiner Prognose wird der Milchpreis aufgrund der EU-Agrarpolitik weiter sinken und wenn die Molkereien ihre Leistungsfähigkeit nicht verbessern sich nach 2007 auf einem Niveau von 21,5 Cent/kg einpendeln. Viele geben auf Mit den Milchpreisen sind auch die durchschnittlichen Gewinne aus der Milchviehhaltung dramatisch gesunken. Diese belaufen sich nach einer Analyse der Beratungsorganisation ADAS nur noch auf 1 bis 1,5 Cent/kg. Viele Betriebe können solch niedrige Margen und die fehlende Aussicht auf Besserung offensichtlich nicht verkraften. So sind seit 1995 ca. 45 % der britischen Milcherzeuger aus der Produktion ausgeschieden (siehe Übersicht 3). Davon betroffen war selbst jeder dritte der für unsere Verhältnisse großen Betriebe mit 50 bis 99 Kühen. Und nach einer aktuellen Studie haben während der letzten zwei Jahre unerwartet viele Betriebe die Milchproduktion eingestellt, die bislang schwarze Zahlen schrieben. Aufgrund der düsteren Preisprognosen ist auch für die Zukunft mit einer bedeutenden Abnahme der Anzahl aktiver Milcherzeuger zu rechnen. Einer Studie von Prof. Colman zufolge wird sich insbesondere im Osten Englands und in Wales die Zahl der Milchviehfarmen drastisch verringern. Denn die dortigen Betriebe haben aufgrund des erforderlichen Ackerfutterbaus (Ostengland) bzw. ihrer relativ geringen Herdengröße (Wales) höhere Produktionskosten als die Betriebe in den anderen Regionen des Vereinigten Königreichs. Somit wird sich die Milchviehhaltung stärker in den Grünlandregionen Westenglands konzentrieren (siehe Übersicht 2). Als weitere Folge der zu erwartenden Betriebsaufgaben könnte die Unterlieferung der nationalen Milchquote bis zum Jahr 2010 von heute knapp 0,7 Millionen Tonnen auf 1,9 Millionen Tonnen ansteigen. Damit würde die dann gültige Referenzmenge von 14,8 Mio. t nur noch zu gut 87 % beliefert werden. Zurzeit halten die britischen Milchviehbetriebe durchschnittlich 106 Kühe und eine Milchquote von 716 000 kg (Übersicht 3). Die meisten Betriebsleiter sind bestrebt, die Produktionskosten gering zu halten, ohne jedoch ein konsequentes Low-Cost-System nach neuseeländischem Vorbild anzuwenden. Weidehaltung und Blockabkalbung Zwar sind robuste und anspruchslose Kuhrassen (British Frisian bzw. New Zeeland Frisian) sowie Weidehaltung auch in Großbritannien verbreitet. Im Gegensatz zu Neuseeland sind die Weideperioden mit oft nur 7 bis 8 Monaten aber kürzer. Eine Ausnahme bilden hier Wales und die klimatisch begünstigten Regionen im Südwesten Englands. Kraftfuttereinsatz und Milchleistungen sind hingegen mit durchschnittlich 20 dt bzw. 6 700 kg pro Kuh und Jahr höher als in Neuseeland, wo meist kein Kraftfutter eingesetzt und eine Milchleistung von knapp 4 000 kg/Kuh und Jahr erzielt wird. Die britischen Leistungsdaten mögen auf den ersten Blick niedrig erscheinen. Sie spiegeln aber die Einstellung vieler britischer Milchviehhalter wider: Maximaler Gewinn statt maximale Milchleistung. Bei der Maschinen- und Gebäudeausstattung wird erkennbar gespart. Eine sehr populäre Stallform sind die sogenannten Kennels. Dabei handelt es sich um einfach gestaltete Kaltställe mit planbefestigten Laufgängen. Bauhülle und Buchtenabgrenzungen bestehen meist komplett aus Holz, um die Baukosten möglichst gering zu halten. Oft wird auch auf innenliegende Futtertische verzichtet. Selbstfütterung und geringer Maschinenbesatz Das Grundfutter erhalten die Kühe über Winter entweder an einem außenliegenden Futtertrog oder direkt im Fahrsilo (Selbstfütterungssystem). Verbreitet ist eine Winterfutterration aus Mais- und Grassilage sowie Kraftfutter, das meist im Melkstand verabreicht wird. Zum Befüllen der Futtertröge wird häufig ein alter Radlader eingesetzt. Futtermischwagen sind nicht so verbreitet wie bei uns. Auch sonst wird der Maschinenbesatz möglichst gering gehalten. Die Außenarbeiten kann der Lohnunternehmer wesentlich preisgünstiger erledigen als wir, bringt es Tony Hextall aus Staplefield auf den Punkt. Gemolken werden die Kühe zweimal pro Tag. Vorherrschende Melkstandformen sind Fischgrätenmelkstände und Swing-Over-Melkstände. Deren Ausstattung wird, abgesehen von der weit verbreiteten Abnahmeautomatik, möglichst einfach gehalten. Unabhängig von der Melkstandform erzielen die meist nicht zur Inhaberfamilie gehörenden Melker mit 20 bis 26 Melkzeugen eine Melkleistung von 100 bis 110 Kühen pro Person und Stunde. Typisch ist für viele britische Milchviehbetriebe auch die Blockabkalbung, um so Preiszuschläge für Wintermilch zu erzielen (Süd- und Ostengland) bzw. um die hohen Graserträge des Frühjahrs möglichst gut zu nutzen (Südwestengland und Wales). Einen weiteren Vorteil des Verfahrens sehen die Farmer darin, dass die gesamte Herde über 4 bis 6 Wochen trocken steht und somit Zeit für Wartungsarbeiten und Urlaub bleibt. Wachstum als Strategie Nachhaltige Zukunftsperspektiven besitzen Prof. Colman zufolge nur ausreichend große Betriebe. Denn erst in Herden von mehr als 100 Kühen steht den hohen Fix- und Arbeitskosten eine ausreichend große Milchmenge gegenüber (Übersicht 4). Die verbleibenden Milchviehhalter werden daher auf betriebliches Wachstum setzen und somit den Trend der letzten zehn Jahre verstärken (Übersicht 3). Langfristig wird nach Einschätzung des landwirtschaftlichen Unternehmensberaters Tim Brigstocke ein großer Teil der nationalen Milchproduktion in Großbetrieben mit mindestens 500 Kühen erfolgen. Ein ähnlicher Trend ist in den USA zu beobachten. Die Möglichkeit zu betrieblichem Wachstum ist zurzeit günstig. Denn Milchquoten sind infolge der zurückgehenden Produktion ausreichend verfügbar. Die Kauf- bzw. Pachtpreise liegen bei ca. 7 bzw. 1,5 Cent/kg. Entsprechend gering schätzen die meisten Landwirte die Bedeutung der Quotenregelung ein. Und ginge es nach der britischen Regierung, würde die europäische Mengenkontingentierung umgehend aufgehoben. Stärker um den Markt kümmern Neben dem betriebsindividuellen Wachstum durch Herdenaufstockung und Leistungssteigerung sehen die von top agrar befragten Gesprächspartner in folgenden Punkte weitere Perspektiven für die britischen Milchviehhalter: Ausrichtung der Milchproduktion an den Bedürfnissen des Abnehmers (z. B. Milch mit hohem Kaseingehalt für Käsereien), um Erlöse oberhalb des üblichen Rohstoffpreisniveaus zu erzielen. Zusätzliche Wertschöpfung im eigenen Betrieb, z. B. durch regionalen Absatz oder Produktion von Spezialitäten bzw. Nischenprodukten. Höhere Wertschöpfung innerhalb der britischen Molkereiwirtschaft durch verstärkte Herstellung hochwertiger Produkte für den Inlandsmarkt, wie Käse und Joghurt. Und dadurch auch höhere Milchauszahlungspreise. Stärkere Kontrolle von Milchverarbeitung und -absatz durch landwirtschaftliche Erzeugergemeinschaften, z. B. durch den Kauf von Molkereien und Vertriebsnetzen. Ziel dieser vertikalen Integration der Milchwirtschaft ist ein zunehmender Einfluss der Milchviehhalter auf den Erzeugerpreis. Dr. Dirk Hömberg

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