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Schneller Alleskönner oder teurer Modetrend?

Lesezeit: 9 Minuten

Swing Over-Melkstände stehen für schnelles Melken mit einfacher Technik, geringen Kosten und hohem Ausmelkgrad. Die Realität sieht jedoch oft ganz anders aus. Eine Analyse von Melktechnikberater Dr. Dirk Hömberg, Münster.


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Traut man einigen Verkäufern und Beratern, sind Swing Over-Melkanlagen „einfach genial“ und ihren Konkurrenten meilenweit überlegen. Denn angeblich vereinen sie die Vorteile der anderen Melkstände, ohne deren Nachteile aufzuweisen. So soll Swing Over ähnlich hohe Durchsätze wie Melkkarusselle erzielen. Und das zu Kosten von Gruppenmelkständen (Fischgräte, Side-by-Side). Denen sollen sie nicht nur durch schnelleres, sondern auch schonenderes Melken mit vollständiger Euterleerung überlegen sein.


Doch stimmen diese vollmundigen Versprechen?


Mehr Kühe pro Melkzeug:

Der augenfälligste Unterschied von Swing Over zu herkömmlichen Melkstandanlagen besteht darin, dass sich zwei gegenüberliegende Melkplätze ein Melkzeug teilen. Dieses wird abwechselnd auf beiden Seiten der Melkgrube genutzt. Im einfachsten Fall sind die Melkzeuge lediglich über Schlauchstutzen mit der mittig über der Melkgrube angebrachten Melkleitung verbunden und werden zwischen den gegenüberliegenden Standplätzen hin und her „geschaukelt“ (daher der Name Swing Over).


In Deutschland und den Nachbarländern sind Swing Over-Anlagen jedoch meist mit speziellen Schwenkarmen ausgerüstet. Diese tragen die Melkzeuge und sollen zudem verhindern, dass die langen Milchschläuche die Sammelstücke und somit die Melkbecher nach unten ziehen oder verdrehen. Das gelingt aber oft nicht, sodass einzelne Euterviertel wesentlich langsamer und unvollständiger ausgemolken werden.


Wesentlicher Vorteil der beidseitigen Nutzung der Melkzeuge ist die höhere Auslastung. So können bei Swing Over ca. 6,0 Kühe pro Melkzeug und Stunde gemolken werden, während es in herkömmlichen Fischgräten-Melkständen nur ca. 5,0 und in Karussellen je nach Drehgeschwindigkeit bzw. „Totraum“ (Ein- und Ausgang) sogar nur 4,0 bis 4,5 Kühe pro Melkzeug und Stunde sind. Die höhere Auslastung bedeutet wiederum, dass (bei jeweils gleich schneller Arbeitsroutine) in Swing Over-Anlagen weniger Melkzeuge benötigt werden als in konventionellen Melkständen. Daraus ergibt sich zunächst ein Kostenvorteil von 20 % und mehr.


Größerer Platzbedarf:

Diesem steht jedoch ein gewaltiger Nachteil gegenüber: Im Vergleich zu herkömmlichen Gruppenmelkständen ist der Platzbedarf je Melkzeug doppelt so hoch. Das hat zur Folge, dass ein Swing Over-Melkstand zwangsläufig deutlich größer sein muss als ein Gruppenmelkstand mit gleicher Durchsatzleistung.


Geht man z. B. davon aus, dass für einen Durchsatz von ca. 80 Kühen pro Stunde in einem Swing Over-Melk-stand 13 Melkzeuge benötigt wer-den, bedeutet dies, dass der Melkstand 26 Plätze aufweisen muss. Der herkömmliche Fischgrätenmelkstand benötigt für diesen Durchsatz zwar 16 Melkzeuge, allerdings auch nur 16 Plätze.


Im klimatisch milden Ursprungsgebiet der Swing Over-Anlagen (Neuseeland, Irland, Südwestengland) oder in gut erhaltenen Altgebäuden mag der unterschiedliche Platzbedarf von untergeordneter Bedeutung sein. In den meisten mitteleuropäischen Ländern hat er jedoch zur Folge, dass die theoretischen Kostenvorteile von Swing Over nicht nur aufgezehrt, sondern ins Gegenteil gedreht werden. Dies gilt insbesondere, wenn man die hohen Kosten für das zusätzliche Melkstandgerüst und die bei uns üblichen Schwenkarme berücksichtigt (Übersicht). Zwar sollten auch herkömmliche Melkstandanlagen mit Schlauchführungsarmen ausgestattet sein. Doch deren Gesamtkosten liegen trotz der höheren Anzahl an Melkzeugen wegen des wesentlich einfacheren Aufbaus deutlich unter denen für Schwenkarme.


Kaum schnelleres Melken:

Eine weitere Eigenart von Swing Over ist deren angeblich besonders zeitsparender Arbeitsablauf.


Pro Person und Stunde lassen sich demnach bequem mindestens 100 Kühe melken. Begründet wird dies im Wesentlichen damit, dass die Kühe den Melkstand, ähnlich wie in Melkkarussellen, absolut selbstständig betreten und verlassen würden. Hingegen sei bei konventionellen Gruppenständen stets zeitraubendes Antreiben notwendig.


Diese Argumentation verkennt jedoch, dass der größte „Zeitfresser“ beim Melken nicht das Antreiben von Kühen im Melkstand ist, sondern das Hereinholen von Kühen. Und dieses lässt sich auch in Betrieben mit konventionellen Melkständen durch einen Vorwarteraum mit Treiber automatisieren (vgl. top agrar 11/2013). Rüstet man einen solchen Melkstand zudem mit beweglichen Brustrohren („Schnellaustrieb“) aus, fällt der Arbeitszeitbedarf für den Tierwechsel kaum noch ins Gewicht.


Ein weiteres Argument für das vermeintlich schnellere Melken ist, dass in Swing Over-Anlagen alle Euter auf einer Seite des Melkstands schon einmal in einer zügigen „Fließband-Routine“ vorbereitet werden können, während die Melkzeuge noch auf der gegenüberliegenden Seite im Einsatz sind. Eine solche Verfahrensweise ist jedoch auch in konventionellen Melkanlagen möglich.


Und zudem lässt sich sogar Arbeitszeit sparen, wenn man die Kühe nicht zweimal aufsucht, sondern Eutervorbereitung und Ansetzen direkt nacheinander erledigt. Bei vollwertigen (zeitgesteuerten) Stimulationsautomaten ist dies auch ohne negative Auswirkungen auf die Milchabgabe möglich (siehe Kasten auf Seite R 32).


Unter dem Strich bestehen also hinsichtlich des Arbeitszeitbedarfs zwischen Swing Over-Anlagen und konventionellen Melkstandanlagen keine gravierenden Unterschiede. Das zeigte sich u. a. auch in wissenschaftlichen Vergleichsstudien.


Diese ergaben für britische Fischgräten- und Swing Over-Anlagen einen annähernd gleichen Arbeitszeitbedarf von 39,6 bzw. 37,2 Sekunden pro Kuh. Der Leistungsunterschied betrug demnach nur etwas mehr als 6 %.


Über fünfmal so hoch waren hingegen die Unterschiede zu deutschen Swing Over-Anlagen. Den dort üblichen Arbeitszeitbedarf unterboten die britischen Betriebe um ca. ein Drittel. Und das nicht nur wegen des in Britannien geringeren Leerlaufs, sondern insbesondere auch wegen des annähernd vollständigen Verzichts auf die in Deutschland praktizierte Eutervorbereitung und Ausmelkkontrolle.


Die betriebsspezifischen Rahmenbedingungen und Arbeitsweisen haben also für den Zeitbedarf wesentlich größere Bedeutung als die Anlagenvariante. Studien der Landesforschungsanstalt Mecklenburg-Vorpommern bestätigen das.


Dass in der Praxis oft ein anderer Eindruck entsteht, liegt daran, dass unterschiedliche Melkanlagen häufig auch mit unterschiedlichen Rahmenbedingungen verbunden sind. Nicht selten werden hier „Äpfel mit Birnen“ verglichen, z. B. der alte, direkt im verwinkelten Stall gelegene Melkstand mit dem neuen Melkstand, dessen hohe Leistung erst durch Vorwarteraum, automatischen Kuhtreiber und gerade Laufwege ermöglicht wird.


Noch deutlicher weichen Versprechen und Realität bei der Einleitung und Vollständigkeit der Milchabgabe voneinander ab.


Anrüsten wichtig:

Die Hersteller erzählen oft, dass in Swing Over-Anlagen auf jegliche Stimulation verzichtet werden könne. Ursache sei, dass die Euter schon vorbereitet werden können, während die Melkzeuge noch auf der gegenüberliegenden Melkstandseite im Einsatz sind. Und die Wartezeit bis zum Freiwerden der Melkzeuge vollende dann das Anrüsten.


Missachtet wird dabei, dass die Ausschüttung des für die Milchabgabe unverzichtbaren Hormons Oxytocin nicht durch Warten, sondern ausschließlich durch Berührungsreize an den Zitzenspitzen erfolgt. Zudem haben übermäßig lange Wartezeiten äußerst negative Einflüsse auf die Milchabgabe (vgl. Kasten unten).


Diese Wartezeiten treten auf, wenn die Melkdauer der Milchkühe einer Gruppe stark variiert. Dies ist in Deutschland eher der Fall als in Neuseeland und Irland. Denn dort sind Milchleistung und Melkdauer in der Herde wegen der saisonalen Blockabkalbung homogener.


Dementsprechend weisen Studien aus Bayern und Mecklenburg-Vorpommern für Swing Over-Anlagen vermehrt die untrüglichen Anzeichen unzureichender Stimulation nach, sogenannte „Bimodalitäten“. In Bayern trat ein solcher Einbruch der Milchflusskurve nach Abmelken der Zisternenmilch besonders bei potenziell leichtmelkenden Kühen auf. Hier war der Anteil sichtbarer Stimulationsmängel knapp 1,5-mal so hoch wie in konventionellen Melkständen.


Milchfluss und Ausmelkgrad:

Ebenfalls falsch ist die häufig zu hörende Behauptung, dass der Ausmelkgrad bei Swing Over generell besser sei als in konventionellen Melkanlagen. Verantwortlich für diesen angeblichen Vorteil sei im Wesentlichen die Gleichtaktpulsation in vielen Swing Over-Anlagen.


Die Gleichtaktpulsation ist in Melkanlagen mit obenliegender Milchleitung zwar tatsächlich grundsätzlich vorteilhaft. Denn im Normalfall bewirkt sie, dass die im Melkzeug während der Saugphasen auftretenden „milchflussabhängigen Vakuumverluste“ deutlich geringer sind als bei Wechseltaktpulsation (vgl. top agrar 2/2006). Und das ist wiederum eine unverzichtbare Voraussetzung für zügiges Melken und damit auch für eine vollständige Milchejektion, also vollständige Entleerung des Milchbildungsgewebes.


Trotzdem sind in vielen Swing Over-Melkanlagen die Euter nicht besser, sondern teils sogar schlechter ausgemolken als in Melkanlagen mit untenliegenden Milchleitungen. Denn häufig werden die potenziellen Vorteile des Systems durch gravierende Fehler bei dessen Ausgestaltung und Montage zunichte gemacht. Nicht selten sind die Vakuumverhältnisse bei Swing Over sogar deutlich schlechter als in alten Anbindeställen!


Das behindert den Milchfluss zwischen Euter und Milchleitung. Das hat wiederum zur Folge, dass die für Melkgeschwindigkeit und Ausmelkgrad so schädlichen „milchflussabhängigen Vakuumverluste“ kaum noch geringer sind als bei Wechseltaktpulsation und wesentlich höher als möglich. Die häufigsten Fehler sind:


  • Übermäßig lange Milchschläuche (mehr als 3 m) wegen zu breiter Melk-standgruben.
  • Scharfe Bögen (mehr als 45°) der an den Schwenkarmen angebrachten „Milchrohre“.
  • Strömungstechnisch schlecht konstruierte Milchmengen-Messgeräte mit Engstellen und/oder stark geboge-nem Ein- beziehungsweise Auslauf.
  • Zu geringer Innendurchmesser der langen Milchschläuche (mehr als 16 mm).
  • Zu kleine oder auch zu große Sammelstücke (weniger als 200 bzw. mehr als 300 ml).
  • Milchleitung zu weit oben oder sogar oberhalb der Milchmengenmessgeräte angebracht.


Wie stark solche Fehler die Milchabgabe beeinträchtigen, haben umfangreiche Studien der LfL Bayern nachgewiesen. Diese ergaben für Swing Over-Anlagen im Vergleich zu konventionellen Melkständen einen signifikant geringeren Spitzen- und Durchschnittsmilchfluss samt entsprechend längerer Melkdauer. Auch hier litten die potenziell leichtmelkenden bzw. hochleistenden Kühe (über 7 000 kg/Jahr) mit einem Rückgang von knapp 10 bzw. gut 7 % am meisten.


Nachgemelke bleiben.

Zusätzlich zum unvollständig ausgemolkenen Milchbildungsgewebe sind auch bei Swing Over oft genug beachtliche Nachgemelke festzustellen. Deren Menge ist vielfach weit höher als anatomisch begründet (max. ca. 1 kg) und für Milchleistung und Eutergesundheit unkritisch (0,3 bis 0,5 kg).


Es gibt viele Gründe für dieses Manko. Neben unzureichender Stimulation bzw. zu langen Wartezeiten, zu engen oder zu weiten Zitzengummis und ungenügender Führung der langen Milchschläuche kommt hier erneut das Melkzeugvakuum ins Spiel. Dieses steigt bei nachlassendem Milchfluss oft auf deutlich über 40 kPa, da das Anlagenvakuum zum vermeintlichen Ausgleich hoher milchflussabhängiger Vakuumverluste auf bis zu 50 kPa erhöht wurde.


Das somit am Ende des Melkens überhöhte Melkzeugvakuum hat nicht nur eine Schädigung des Zitzengewebes zur Folge. Es führt zudem trotz teilweise schwerer Melkzeuge dazu, dass sich die Melkbecher verfrüht an den Zitzen nach oben saugen und diese regelrecht einschnüren. Häufig saugen sich die Melkbecher derart stark am Euterboden fest, dass ein maschinelles Nachmel-ken (Hinunterdrücken der Melkzeuge) kaum bzw. nur noch mit sehr großer Anstrengung möglich ist. Weil der Milchfluss ausbleibt, denkt man, dass die Euter leer seien. Tatsächlich ent-halten sie jedoch noch reichlich Milch. Das Versiegen des Milchflusses ist so-mit nicht immer gleichbedeutend mit leeren Eutern!

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