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Vollweide statt Vollgas?

Lesezeit: 11 Minuten

In Bayern haben mehrere Milchviehhalter auf Vollweide mit Blockabkalbung umgestellt, um Futter­kosten und Arbeit zu sparen. Eine Bilanz nach drei Jahren.


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Die Vollweide mit Blockabkalbung ist genau das Richtige für unseren Betrieb. Die Kühe geben zwar weniger Milch, aber wir haben weniger Arbeit und geringere Kosten, weil die Tiere gesünder sind“, beschreibt Josef Berger, der im oberbayerischen Landkreis Traunstein einen Betrieb mit 60 Kühen führt.


Berger ist einer der sechs Milchviehbetriebe, die sich seit 2006 am Pilotprojekt „Vollweide mit Winterabkalbung“ des Instituts für Tierernährung und Futterwirtschaft der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) in Grub beteiligen. Davon wirtschaften drei konventionell und drei biologisch. Daneben sind noch zwei Mutterkuhbetriebe in das Projekt integriert. „Unser Ziel ist es, in den Pilotbetrieben unter den Standortbedingungen des Grünlandgürtels in Oberbayern möglichst viel Milch aus Gras zu erzeugen“, erklärt Projektleiter Siegfried Steinberger von der LfL den Ansatz.


Das Gras „wächst ins Maul“


Eine möglichst hohe Futteraufnahme aus Gras soll durch das System der Kurzrasenweide (intensive Standweide) sichergestellt werden. Dabei werden die Gräser stets kurz gehalten, um den Kühen immer junges, qualitativ hochwertiges Futter anzubieten. In der Hauptwachstumsphase der Weiden von April bis Juni wird eine Aufwuchshöhe von 5 bis 6 cm angestrebt, ab Juli sind es 5 bis 7 cm. Damit wird gewährleistet, dass die Tiere nur wenig selektieren können und der Anteil überständiger Geilstellen gering bleibt.


Durch den Tritt der Tiere und den laufenden Verbiss der Gräser kommt es zu einer starken Bestockung und damit bereits im zweiten Jahr der Umstellung auf das Weidesystem zu einer sehr dichten Grasnarbe, die mehr Tritt verträgt.


Wichtig ist ein sehr früher Austrieb. Der Zeitpunkt richtet sich dabei nach dem Vegetationsbeginn und nach der Witterung, nicht nach dem Datum! Die Besatzstärke muss regelmäßig angepasst werden, nur so kann der Aufwuchs immer die gleiche Höhe haben. Damit im Frühjahr der starke Aufwuchs gefressen wird, ist von etwa Ende April bis Ende Mai ein Besatz von 5 bis 7 GV/ha nötig. Wenn das Wachstum nachlässt, reichen 3 bis 5 GV/ha.


Mit der Kurzrasenweide steht den Tieren stets eine hohe Futterqualität zur Verfügung. Das ist bei der Portionsweide anders. Hier besteht eine größere Gefahr von Trittschäden und Narbenverletzungen, da die Besatzstärke durch den Auftrieb auf weidereife Flächen oft bis zu 60 bis 100 GV/ha betragen muss.


Blockabkalbung im Winter


Weil in Bayern – im Gegensatz zu den typischen Weideländern wie Neuseeland oder Irland – die effektive Vegetationsdauer maximal fünf bis sieben Monate beträgt, kann nur in einem kurzen Zeitfenster Milch aus Gras produziert werden.


Deshalb wurde der Abkalbezeitraum im Projekt bewusst nicht an den Vegetationsbeginn gelegt, sondern in die Wintermonate Dezember bis Februar vorgezogen. Dadurch sollen die Vorteile der Vollweide genutzt werden, ohne dass die Milchleistung unter der geringeren oder schwankenden Futteraufnahme zu sehr zurück geht. Außerdem kann mit der Winter-Blockabkalbung die Laktationsspitze durch die Ergänzungsfütterung im Stall besser ausgefüttert werden. Hochleistungskühe fallen somit im ersten Laktationsdrittel nicht so stark in ein Energiedefizit. Denn im Idealfall sinkt die Laktationskurve der gesamten Herde bei Weideaustrieb bereits wieder ab (Übersicht 1). Energieaufnahme und Milchleistung der Herden laufen annähernd parallel. Zum Abtrieb beginnt dann bereits die Trockenstellphase der Herde.


Ein weiterer Vorteil der Blockabkalbung im Winter ist, dass die künstliche Besamung einfacher ist, weil die Tiere ja zumindest in der Nacht noch im Stall sind. Zudem herrscht später auf der Weide mehr Ruhe, da weniger Kühe in Brunst sind.


Keine Zufütterung


Zu Beginn der Weideperiode wird die Winterration zunächst wie gewohnt im Stall weitergefüttert. Die tägliche Kraftfuttermenge wird um 2 bis 3 kg/Kuh und Tag reduziert. Wenn genug Gras vorhanden ist und die Hauptbestandsbildner verstärkt wachsen, wird die Beifütterung im Stall ganz eingestellt und auf Vollweide umgestellt. Die Erfahrung zeigt, dass die Kühe erst richtig auf Futtersuche gehen, wenn sie Tag und Nacht auf der Weide sind. Diese Umstellungsphase ist in der Regel nach zwei bis drei Wochen abgeschlossen. Für lange Heiß-Wetter- oder extreme Schlechtwetter-Perioden sollten aber trotzdem immer ausreichend Futterreserven vorhanden sein. Das wird in der Regel über Ballensi-lage, die vom Futterüberschuss im Monat Mai gewonnen wurde, abgesichert.


Die Zufütterung von Heu und Silage ist tabu, weil sie das kostengünstige Gras verdrängen würde, insgesamt würde die Energiedichte der gefressenen Ration sinken. Untersuchungen der Weideaufwüchse zeigten, dass im zeitigen Frühjahr April/Mai Energiekonzentrationen von bis zu 7,0 MJ NEL je kg TM erreicht werden! Bei Kühen mit sehr hohen Leistungen (> 30 kg Tagesmilchmenge) oder bei Frischmelkern kann es trotzdem vor allem in der Umstellungsphase aufgrund der negativen Energiebilanz Probleme geben.


Bei Vollweide ohne Zufütterung kann im Frühjahr von einer Futteraufnahme rein aus Gras von etwa 16 bis 18 kg TM ausgegangen werden. Die Energieaufnahme reicht in diesem Zeitraum für etwa 26 bis 28 kg Milch. Im Laufe des Sommers gehen diese Werte zurück. Aufgrund der Winterabkalbung befindet sich die gesamte Herde im annähernd gleichen Lakta-tionsstadium. Da auf der Weide eine energiereiche Ausgleichsfütterung mit Kraftfutter fehlt, steigen die Milchharnstoffwerte stetig. In der Anlieferungsmilch sind ab etwa Juni durchaus Werte von über 40 mg/100 ml festzustellen. Da die Tiere dann aber meist schon belegt sind, hat das keine negativen Einflüsse auf die Fruchtbarkeit. Trotz der hohen Harnstoffwerte in der Milch konnte mit Kurzrasenweide eine wesentliche Verbesserung der Klauengesundheit erzielt werden. Erste Betriebe kommen bereits mit einer einmal jährlichen Klauenpflege im Frühwinter aus!


Die ersten Ergebnisse


Nach rund drei Jahren Laufzeit ist das Fazit in den Betrieben überwiegend positiv. Die ersten Erfahrungen im Detail:


? Weidemanagement: Die größte Herausforderung für die Betriebe war die optimale Weideführung. Durch den frühen Austrieb und die konsequente Einhaltung der Aufwuchshöhen konnten die Grasbestände aber bereits im zweiten Jahr deutlich verbessert werden. Die Wiesenrispe breitete sich aus und trug dazu bei, dass der Bestand sehr dicht wurde. Zusammen mit dem Deutschen Weidelgras war es bestandsbildend. Obergräser wie Fuchsschwanz und Knaulgras wurden verdrängt, ebenso Unkräuter. Auch der Stumpfblättrige Ampfer wurde durch den hohen Weidedruck zu Vegetationsbeginn verdrängt. Nach zwei Weideperioden sahen problematische Flächen wieder gut aus.


Die regelmäßige Kontrolle des Aufwuchses ist aufwändig, aber für Anfänger unverzichtbar. Als praktikables Hilfsmittel hat sich die so genannte Deckelmethode erwiesen. Dabei wird ein Deckel, der in der Mitte eine Öffnung für einen Zollstock hat, auf den Aufwuchs gelegt und die Höhe der Gräser gemessen.


Diese Messung wird einmal wöchentlich an mehreren Punkten in der Fläche (Abstand ca. 10 m) auf einer gedachten Linie vorgenommen. Wichtig ist, dass dazu immer die gleiche Fläche herangezogen wird. Pro Fläche sollten mindestens 40 Messungen durchgeführt werden. Die Werte werden summiert und durch die Anzahl der Messpunkte dividiert. Weicht dieser Wert von der Zielgröße ab, muss die Besatzstärke angepasst werden.


Nach den bisherigen Erfahrungen ist vier- bis sechsmal im Jahr eine Anpassung nötig. Wenn aufgrund zu großzügiger Flächenzuteilung zu viel und überständige Geilstellen auftreten, hat sich eine Nachmahd bewährt. Das Gras bleibt liegen und wird trocken gern gefressen.


? Blockabkalbung: Entgegen der Befürchtungen kamen die Betriebe bereits im zweiten Jahr sehr gut mit der saisonalen Abkalbung zurecht. Bereits im Winter 2007/08 fanden über 90 % der Abkalbungen einschließlich Färsen in den Monaten November bis März statt.


Nach der Weideperiode befanden sich die meisten Kühe mit einem BCS von 3,25 bis 3,75 in einer optimalen Körperkondition. Durch eine restriktive Fütterung in der Trockenstehzeit konnte die Kondition im Optimum gehalten werden. So ist zu erklären, dass von den 267 Abkalbungen 80 % ohne Hilfe verliefen, bei 15 % war eine leichte Zughilfe nötig.


? Tiergesundheit: Die saisonale Kalbung hat sich positiv auf die Kälbergesundheit ausgewirkt. Der Keimdruck im Sommer wurde gesenkt. Bei knapp 10 % der Kälber wurde Durchfall festgestellt, der Anteil grippekranker Kälber lag bei unter 1 %. Die geringe Zahl kranker Tiere kann auf die intensive und konzentrierte Betreuung zurückgeführt werden. Da kurzzeitig der Platzbedarf für die Kälber steigt, wurden zusätzliche Stallplätze oft unter Außenklimabedingungen geschaffen.


Die bereinigte Remontierungsrate sank von 26,8 % auf 21,8 %. Die Nutzungsdauer der Kühe verlängerte sich im Schnitt um ein dreiviertel Jahr. Da sich die Kühe immer in einem ähnlichen Laktationsstadium befanden, konnte das Grobfutter gezielter nach Qualität zugeteilt werden. Dadurch konnte auch der Kraftfuttereinsatz moderat gehalten werden. Fruchtbarkeitsprobleme hielten sich in Grenzen. Nur etwa 5 bis 8 % der im Winter abkalbenden Kühe mussten wegen Unfruchtbarkeit den Betrieb verlassen. Bei Tieren, die zu spät im Frühjahr kalbten, gab es mehr Probleme, weil sie zu Laktationsbeginn auf der Weide oft energetisch unterversorgt waren. Sie bauten Körpersubstanz ab, zum Teil bis zu einem BCS von 2,25.


? Milchleistung: Im Schnitt sank die Leistung in den Betrieben während der Umstellung um ca. 200 kg, von 6 116 auf 5 917 kg ECM/Kuh. Dabei sank die Grobfutterleistung (während Weideperiode nur Gras) von 4 460 auf 4 032 kg ECM pro Kuh. Mittelfristige Einbrüche waren zu erwarten, da es durch Blockabkalbung zu längeren Zwischenkalbezeiten kam. Auch die Inhaltsstoffe sanken zum Teil deutlich. Die Flächenleistung schwankte in den Pilotbetrieben von ca. 5 800 bis 15 200 kg ECM/ha. Der Schnitt lag bei 10 500 kg/ha.


? Kraftfutteraufwand: Der Kraftfutteraufwand lag im Schnitt der Betriebe unter 200 g/kg ECM. Allerdings gab es große Unterschiede. Zum Teil wurde vor der Umstellung zu wenig Kraftfutter gefüttert, so dass der Aufwand danach anstieg.


? Arbeitsaufwand/Produktivität: Von entscheidender Bedeutung war die Verbesserung der Arbeitswirtschaft und der Produktivität. Pro AKh werden im Schnitt jetzt 79,9 kg ECM statt 76,0 kg erzielt. Der Aufwand pro Tier beträgt nur noch 82 AKh statt 93 AKh. Der Vergleich mit ähnlich strukturierten Betrieben (Übers. 2) lässt vermuten, dass sich diese Werte nach Etablierung des Systems weiter verbessern. Die Pilotbetriebe berichten von einer höheren Lebensqualität durch die Arbeitsentlastung im Sommer. Vor allem durch die Blockabkalbung können Arbeitsabläufe und Kontrollen rationeller durchgeführt werden.


Die psychische Belastung für die Betriebsleiter sei allerdings nicht zu unterschätzen: „Viele Betriebsleiter glaubten zu Anfang, dass ihre Tiere auf dem kurzen Gras „verhungern“. Dieses Gefühl wurde von Passanten und Berufskollegen oft noch verstärkt. Zudem fiel einigen der Einstieg in die Blockabkalbung schwer“, berichtet Siegfried Steinberger.


Rechnet sich das System?


Bisher liegen zur Wirtschaftlichkeit des Vollweidesystems aufgrund der geringen Zahl der Betriebe keine abgesicherten und damit übertragbaren Daten vor. Zudem befanden sich die Betriebe für den Zeitraum der vorliegenden Betriebszweigauswertung 2006/07 und 2007/08 noch in der Umstellungsphase. Schwer vergleichbar sind die Ergebnisse der Biobetriebe mit konventionellen. Eine erste Erhebung nach zwei Jahren Projektlaufzeit von Dr. Gerhard Dorfner von der LfL in München ergab zunächst, dass zwischen den Betrieben sehr große Unterschiede in der Rentabilität vor und während der Umstellung bestehen (Übers. 3). Festzuhalten ist:


? Die Grobfutterkosten sind in den Betrieben in der Tendenz trotz gestiegener Energiekosten gefallen, von 22 Ct/kg ECM auf 20,9 Ct/kg ECM. Durch die intensivere Nutzung der Aufwüchse sank die nötige Fläche pro Kuh um rund 0,1 ha.


? Vollkosten: Die Produktionskosten stiegen durch die allgemeine Kostensteigerung zwar an, der Anstieg konnte im Vergleich zu anderen Betrieben aber im Rahmen gehalten werden. Alle Betriebe verbesserten ihr kalkulatorisches Betriebszweigergebnis, auch wenn die Vollkosten nicht gedeckt waren. Damit übersteigt die Verbesserung des kalk. BZE um knapp 11 Ct/kg ECM die Markteffekte des Jahres 2007/08 deutlich und spricht für die Wettbewerbsstärkung dieser Betriebe.


Auf Gewinnebene vor Entlohnung der Faktorkosten waren die Betriebe im Schnitt bereits vor der Umstellung hoch rentabel und konnten dieses Niveau stabilisieren. Die Gewinne waren bei den Biobetrieben deutlich höher als bei den konventionellen Betrieben. Der Gewinnbeitrag bewegte sich zwischen 500 und 2 000 € pro Kuh – ein Indiz für die enormen einzelbetrieblichen Möglichkeiten zur Verbesserung des Ergebnisses.


Natürlich passt das System nicht in jeden Betrieb. Wesentliche Voraussetzung sind genügend arrondierte Weideflächen (mind. 1 ha/3 Kühe). Außerdem ist für den erfolgreichen Einstieg in die Vollweide Geduld nötig: „Das System erfordert ein sensibles aber konsequentes Vorgehen“, so Steinberger. Die Betriebsleiter müssen hinter dem System stehen: „Denn Rückschläge wird es geben.“ Gerade Be­triebe, die neu mit der Weidehaltung beginnen, brauchen deshalb eine begleitende Beratung und einen mehrjährigen Zeitplan.


Konsequent Low-Cost


Rentabel ist das System vor allem, wenn die Low-Cost-Strategie den gesamten Betrieb umfasst, von der Intensität der Flächenbewirtschaftung bis zur Vermarktung reicht. Die Reduzierung der Futterkosten und eine hohe Arbeitsproduktivität sind die wichtigsten Schlüssel für die künftige Milchproduktion. Kurzrasenweide ist damit nach Ansicht von Dr. Gerhard Dorfner von der LfL ein erfolgversprechender Ansatz. Er muss aber zur gesamten Betriebsstrategie passen, in die auch andere Einflussfaktoren wie die Milchleistung pro Kuh einfließen. S. Lehnert

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