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Züchter bleiben außen vor

Lesezeit: 9 Minuten

Bei der genomischen Zuchtwertschätzung bekommen nur die Verbände die Zuchtwerte von Holstein-Bullen. Das ärgert viele Züchter. Warum halten die Verbände den Deckel darauf?


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In der Zuchtbranche gibt es neuen Zündstoff: Holstein-Züchter kommen nicht an die Zuchtwerte der eigenen Bullen. Einige sprechen deshalb von einer Entmündigung und finanziellen Schädigung durch die Verbände.


Besonders ärgerlich: Die Fleckvieh- und Braunviehzüchter stehen deutlich besser dar. Sie können jederzeit Zuchtwerte von Bullenkälbern schätzen lassen und die Kälber mit diesen Informationen auf Auktionen vermarkten.


Das macht die Holstein-Züchter besonders sauer: „Wenn wir unsere Bullen auch frei anbieten könnten, würden wir höhere Preise erzielen!“, ist sich Hagen Stark sicher (siehe Kasten Seite R9).


Auch Karl Heinrich Göpel kritisiert das scharf. Mit einer Unterschriften-Aktion auf der Euro-Tier und der Initiative „Freie Zugänglichkeit zur genomischen Zuchtwertschätzung in Deutschland“ geht der Besitzer einer privaten Besamungsstation in Hessen in die Offensive. Er wirft den Holstein-Verbänden vor, dass das Zurückhalten der genomischen Zuchtwerte keine rechtliche Grundlagen hat.


Ausgangslage:

Kernpunkt der Aufregung ist, dass Züchter die genomischen Werte der weiblichen Nachzucht erhalten. Bei Bullen aber können die Verbände die Untersuchung ablehnen, nur einzelne Zuchtwerte herausgeben und so die Vermarktung der Bullen beeinflussen. Wie ist das möglich?


Einen Antrag zur Ermittlung eines genomischen Zuchtwertes können Landwirte in Deutschland nur über den eigenen Verband stellen. Und: Nur Mitgliedsorganisationen des Deutschen Holstein Verbandes (DHV) sind dazu berechtigt, die Schätzung eines genomischen Zuchtwertes beim Rechenzentrum vit zu beantragen. Somit haben alleine die Verbände die Entscheidung in der Hand, welche Tiere sie vom vit schätzen lassen.


Die Verbände entscheiden, ob sie einen Bullen genomisch untersuchen lassen. Entscheidend ist, ob er für das Zuchtprogramm des Verbandes interessant wäre. „Das entscheiden wir individuell aufgrund des Pedigree-Index, der Anzahl der Verwandten in unserem Programm und der Abstammung des Bullen, wie zum Beispiel einer exzellenten Mutterlinie“, erklärt Dr. Josef Pott, Geschäftsführer der Masterrind.


Für Züchter heißt das: Wenn der Erwartungszuchtwert zu niedrig ist oder der Verband schon einen Vollbruder im Programm hat, kann der Verband die Schätzung des Zuchtwertes ablehnen.


Außerdem räumt sich der Verband ein Vorkaufsrecht ein, wenn er ein Bullenkalb für einen Landwirt untersucht. Weil es die Zuchtwerte aber nur über den Verband gibt, führt das automatisch dazu, dass keine Holstein-Bullen frei vermarktet werden können.


Hinzu kommt: Will der Verband den Bullen nach der Untersuchung nicht kaufen, bekommt der Besitzer des Bullen nicht alle ermittelten Zuchtdaten. Der Verband gibt ausschließlich die Sammelzuchtwerte (RZG, RZM, RZN, RZE, RZR und RZS) heraus. Das komplette lineare Profil mit Einzelmerkmalen, wie Kalbeverlauf oder Melkbarkeit, veröffentlichen die Verbände nicht.


Gegen das Gesetz?

Diese Regelungen kritisieren nicht nur Göpel, sondern auch viele Züchter scharf.


Erster Kritikpunkt: „Laut Tierzuchtgesetz sind die Verbände dazu verpflichtet, alle verfügbaren Zuchtwerte von geprüften Bullen zu veröffentlichen“, erklärt Göpel. Dabei bezieht er sich auf einen bestimmten Satz im Tierzuchtgesetz: „Zur Information der Abnehmer von Zuchtprodukten sind die Ergebnisse der Zuchtwertschätzung aus dem Prüf-einsatz von den Zuchtorganisationen zu veröffentlichen.“ (§ 7, Absatz 2)


Außerdem würden verschiedene Richtlinien des europäischen Rates vorschreiben, dass die Vermarktung reinrassiger Tiere ungehindert möglich sein muss. Dies sieht Göpel mit dem Vorkaufsrecht der Verbände und der Nicht-Freigabe der Zuchtwerte von Bullen nicht erfüllt.


Er bemängelt außerdem, dass z. B. auf Auktionen Bullen vermarktet werden, deren Zuchtwerte nicht veröffentlicht werden. Mit der Geheimhaltung würden die Verbände, die Vermarktung von Bullen gezielt behindern.


Geschlossenes System:

Diese Kritik weisen die Verbände entschieden zurück. Dr. Egbert Feddersen, Geschäftsführer des DHV, stellt klar: „Von abgelehnten Bullen geben wir die Zuchtwerte ­weiter, die auch im Abstammungsschein stehen und somit gesetzlich verpflichtend sind. Das sind die Sammelzuchtwerte.“


Er weist darauf hin, dass der DHV damit bereits über die vertraglichen Vereinbarungen der EuroGenomics-Partnern hinausgeht. Diese Vereinbarungen haben die Partner getroffen, weil die Einführung der genomischen Zuchtwertschätzung nur mit dem ­EuroGenomics-Verbund möglich war.


Dort haben sich sieben europäische Genossenschaften zusammengeschlossen. Die EuroGenomics-Partner haben Genom-Daten ausgetauscht und so die größte Referenzpopulation weltweit erstellt, womit eine sichere Zuchtwertschätzung möglich ist.


Wer hat’s bezahlt?

Weil diese Investitionen viel Geld gekostet haben, wollen die europäischen Partner die Informationen nicht für Dritte frei verfügbar machen. „Dieser Wissensvorsprung ist hart erarbeitet und hat viel Geld gekostet. Das haben wir aus eigener Tasche bezahlt. Deshalb wäre es nicht gerecht, wenn Dritte von diesem System profitieren, ohne selbst dazu beizutragen“, macht Dr. Feddersen deutlich.


Daher haben die Partner nach Aussagen des DHV vertraglich festgelegt, dass keine Zuchtwerte von abgelehnten Bullen veröffentlicht werden dürfen. In den anderen Partner-Ländern, z. B. den Niederlanden, bekommen die Züchter deshalb grundsätzlich keine Infos über die eigenen Bullen, wenn diese von einer Zuchtorganisation abgelehnt wurden.


Das sieht Göpel anders: Seinen Recherchen zufolge haben die Verbände nur einen geringen Teil zur Entwicklung beigetragen. Das wissenschaftliche Projekt „GenoTrack“, das die genomische Zuchtwertschätzung initiierte, sei zu 90 % staatlich gefördert. „Daher sollten alle Züchter diese Informationen nutzen dürfen und nicht nur die Verbände“, meint Göpel. Dem widerspricht der DHV energisch. „Die Rechnung von Herrn Göpel stimmt nicht“, sagt Dr. Feddersen.


Prof. Georg Thaller von der Uni Kiel war Projektleiter von „GenoTrack“. Er hält die Aussage von Göpel nur für teilweise richtig: „Richtig ist, dass in das 1,8 Mio. €-Projekt, das noch weitere Teilprojekte mitfinanzierte, nur zu einem kleinen Teil Wirtschaftsgelder der Verbände und zum Großteil staatliche Förderungen geflossen sind.“


Gleichzeitig macht er aber deutlich: „Die Ergebnisse des Projektes wurden zwar zum Aufbau der genomischen Zuchtwertschätzung genutzt. Doch alleine mit diesen Daten wäre die praktische Umsetzung nicht möglich gewesen. Dazu umfasste das Projekt eine zu geringe Anzahl typisierter Bullen.“


Dr. Bianca Lind, Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Rinderzüchter (ADR), war auch in das Projekt involviert. Sie bestätigt, dass das praxisreife System viel Geld gekostet hat. „Neben der Typisierung zahlreicher Tiere, dem Aufbau von Laboren und der Anerkennung der Zuchtwertschätzung durch Interbull mussten die Verbände viele weitere Kosten übernehmen.“


Göpel hält dagegen: Diese Investitionen hätten die Verbände längst wieder heraus. Mit der Abschaffung der Wartebullenhaltung und einer reduzierten Anzahl jährlich angekaufter Bullen hätten die Verbände viel Geld gespart.


Dr. Jürgen Hartmann, Geschäftsführer der RUW, gibt zu bedenken, dass die genomische Zuchtwertschätzung auch heute noch enorm teuer ist. „Um einen Top-Bullen zu finden, müssen wir viele weitere testen. Und wir müssen das Schätzsystem am Laufen halten, indem wir konstant Daten nachliefern“, erklärt Dr. Hartmann. Die Typisierung tausender Bullen und die Erfassung der Nachkommen-Leistungen müssten finanziert werden. Ein einsatzfähiger Bulle koste daher rund 6 000 bis 8 000 €. Dr. Hartmann meint: „Wer Zugang zum deutschen Genomsystem verlangt, muss auch diese laufenden Kosten mittragen.“


Wie die Finanzierung anders geregelt werden kann, zeigt ein Blick in die amerikanische Holstein-Zucht (vgl. Kasten „Die Amerikaner machen es vor“).


Genossenschaften?

Zudem kritisieren Göpel und die Züchter, dass die genossenschaftlich strukturierten Verbände nicht im Sinne ihrer Mitglieder handeln.


Göpel verweist auf das Genossenschaftsgesetz. Das lege fest, dass eine Genossenschaft die Wirtschaft der Mitglieder durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb fördern müsse. „Aktuell handeln die Verbände aber ausschließlich aus Eigeninteresse. Mit dem Vorkaufsrecht können sie Spitzenbullen zu eigenen Konditionen kaufen. Und indem sie die Zuchtwertschätzung der für sie uninteressanten Bullen verweigern, verhindern sie, dass andere Stationen potenzielle Konkurrenz-Bullen kaufen“, kritisiert Göpel.


Doch diese Kritik weisen die Verbände zurück. Die Übernahme der Typisierung sei mit einem hohen Kostenaufwand und Risiko verbunden. Das sichern sie sich mit dem Vorkaufsrecht ab. Dr. Hartmann fügt hinzu: „Wir zahlen den Landwirten häufig eine Unterstützung für Embryo-Transfer oder andere Maßnahmen. Dann wollen wir auch die entsprechende Sicherheit haben, dass sich unser Aufwand rentiert.“


Außerdem würden die Verbände ihre Mitglieder bei der Vermarktung der abgelehnten Bullen unterstützen. Die Bullen würden anderen Verbänden oder im Ausland angeboten.


Dr. Feddersen ergänzt: „Gerade weil wir genossenschaftliches Geld in den Aufbau der genomischen Zuchtwertschätzung gesteckt haben, stellen wir dieses Wissen ausschließlich den Genossenschaften zur Verfügung und keinen Privatpersonen. Damit handeln wir im Sinne unserer Mitglieder.“


Schöne Fleckvieh-Welt:

Dass die Freigabe der Zuchtwerte zu hohen Verkaufspreisen für Bullen führt, sehen Züchter mit einem Blick nach Bayern.


Die Fleckvieh- und Braunvieh-Züchter erhalten für weibliche und männliche Tiere vollen Zugang zu den Zuchtwerten. Eine Beschränkung der Veröffentlichung oder der Vermarktung gibt es dort nicht. „Weil die Käufer dort auf den Auktionen, um die besten Tiere bieten müssen, erzielen die Bullen Spitzenpreise“, ist sich Göpel sicher und verweist auf die Zahlen der Eliteauktion im Oktober in Miesbach. Dort lag der Spitzenpreis für einen reinerbigen Hornlos-Vererber bei 98 000 €.


Doch Dr. Lind gibt zu Bedenken, dass die Fleckvieh- und Braunviehzucht anders strukturiert ist. Dort kaufen Besamungsstationen Bullen auf Auktionen. Die Zuchtvereinigungen sind für Herdbuch und Zuchtprogramm zuständig.


Außerdem beauftragt das Bundesland Bayern die Zuchtwertschätzung. Diese Aufgabe fällt in den meisten anderen Bundesländern mit dem Tierzuchtgesetz von 2006 in die Hand der Zuchtverbände.


Hinzu kommt, dass die Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) die Zuchtwertschätzung durchführt und zum bayerischen Ministerium gehört. Bei der Einführung der Zuchtwertschätzung hat man daher entschieden, die Daten uneingeschränkt freizugeben.


„Zudem haben hier alle Zucht- und Besamungsorganisationen zur Finanzierung beigetragen. Unbeteiligte Unternehmen gibt es nicht. Daher entsteht auch keine Konkurrenz zwischen einem Zuchtverband, der alles bezahlt hat, und einem Dritten, der nur aus dem System profitieren will“, sagt Prof. Kay-Uwe Götz, Leiter des Instituts Tierzucht des LfL.


Fazit:

Göpel und die Holstein-Züchter fordern:


  • Jeder Landwirt sollte die Zuchtwerte seiner Bullen selbst anfordern können – ohne die Entscheidung des Verbandes abzuwarten.
  • Für faire Preisverhandlungen sollten Landwirte den vollständigen genomischen Zuchtwert der eigenen Tiere bekommen.
  • Bullen sollten frei vermarktet werden dürfen. Es darf kein Vorkaufsrecht für die Verbände geben.

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