Bekanntlich plant das Bundeslandwirtschaftsministerium zur Stärkung der Milcherzeuger eine Umsetzung des Artikels 148 GMO. Die vorgesehenen Maßnahmen - unter anderem Lieferverträge mit festgelegten Mengen und Preisen für 80 % der Liefermenge - stieß auf heftige Kritik von Seiten der Molkereien, aber auch Teilen der Landwirtschaft. Mitunter wurden deutliche Zweifel geäußert, ob mit den geplanten Regeln tatsächlich stabilere Preise und eine Stärkung der Erzeuger möglich sind. Eine Studie von Prof. Holger Thiele vom ife-Institut für Ernährung und Ernährungswirtschaft in Kiel sowie Prof. Torben Tiedemann von der Fachhochschule Kiel zu den Effekten von Milchliefervertragsänderungen kommt zu ziemlich klaren Resultaten.
Preisabsicherung kostet viel Geld
Nach den Ergebnissen der Analyse von Thiele und Tiedemann können die mit der Verordnungsänderung verfolgten Ziele so nicht erreicht werden.
Die Umsetzung des Artikels 148 GMO bringe keine Stärkung der Position der Milcherzeuger. Vielmehr würde die notwendige Preisabsicherung erhebliche Kosten verursachen: je nach Szenario von mehr als 100 Mio. €. Diese müssten letztlich von der Wertschöpfungskette Milch getragen werden. Auch würde es in der Kontraktlaufzeit zu systematisch geringeren Milcherzeugerpreisen und damit zu einer Liquiditätsschwächung der Milcherzeugungsbetriebe kommen. Die Autoren erwarten außerdem höhere Nachzahlungen von Milchpreisen. Zu ähnlichen Ergebnissen waren die Autoren schon im Frühjahr gelangt.
Migende: 148 GMO schwächt die Erzeuger
Für den Hauptgeschäftsführer des Deutsche Raiffeisenverband (DRV), Jörg Migende, zeigt das Ergebnis der Wissenschaftler eindeutig, dass die nationale Umsetzung des Artikels 148 die gesamte Wertschöpfungskette Milch und insbesondere auch die Erzeugerinnen und Erzeuger schwächen würde, statt sie zu stärken. Sie hätten mit erheblichen finanziellen Einbußen zu rechnen. „Dazu darf es nicht kommen“, warnt Migende. Die Pläne zur nationalen Umsetzung des Artikels 148 müssten endgültig vom Tisch, so wie es der DRV und auch viele Politikerinnen und Politiker schon lange fordern.
Milchpreis würde effektiv sinken
Die Kieler Forscher analysieren in ihrer Studie zwei mögliche Festpreismodelle: Festpreise ohne und mit Termingeschäften. Prognosebasierte Festpreise ohne Absicherung, so die Fachleute, würden zwangsläufig einen Preisabschlag erfordern. Die Simulationsrechnungen zeigen, dass für das Jahr 2024 ein Milchpreis von 42 Cent/kg erwartet werden kann. Aufgrund der Unsicherheit der Prognose müssten Molkereien aber einen Risikoabschlag von 7 Cent berücksichtigen, die Milcherzeuger würden also nur 35 Cent pro Kilogramm erhalten. Betrüge der Milchpreis später tatsächlich 42 Cent, bekämen die Milcherzeuger den Differenzbetrag nach Ablauf der Preisbindung erstattet.
„Laut unserer Analyse könnten diese Nachzahlungen in Deutschland insgesamt etwa 881 Mio. € Euro betragen“, erklärt Prof. Tiedemann. „Zudem könnten auf die Milcherzeuger durch den Preisabschlag zusätzliche Zinskosten von rund 24 Mio. € zukommen. Der effektive Milchpreis würde also weiter sinken.“
Auch Festpreisangebote keine Lösung
Wären also Festpreisangebote, die allein auf Terminmarktgeschäften basieren, eine Lösung? Nein, sagen die Autor. Denn die Analyse zeigt, dass deren Folgekosten oft unterschätzt würden. Würden Festpreise für 80 % der gelieferten Milch angeboten, könnten Absicherungskosten zwischen 63 und 151 Mio. € entstehen. Im Durchschnitt könnten also etwa 100 Mio. € zusätzliche Kosten auf die Branche zukommen. In ihrer Analyse gehen die Studienautoren davon aus, dass diese nicht an die Konsumenten weitergegeben werden.
„Die Konsumenten sind sehr preissensibel und akzeptieren Preisaufschläge nur in geringem Maß, selbst bei mehr Tierwohl“, erklärt Prof. Thiele von der FH Kiel. „Wir müssen also davon ausgehen, dass die höheren Kosten zu niedrigeren Grundpreisen für die Rohmilch führen, die Milcherzeuger also weniger Geld für ihre Milch erhalten.“
Mögliche Auswirkungen auf Molkereien und den Strukturwandel
Insgesamt zeigt die Analyse, dass eine Festlegung von Preisen zu erheblichen Abschlägen führen würde, entweder durch Risikopreise oder durch die Kosten für die Absicherung an den Märkten. Anstelle einer Stärkung der Milcherzeuger könnten die Pläne des BMEL in ihrer jetzigen Form also zu einer Verschlechterung der Situation der Erzeuger führen, so die Autoren.
Neben den finanziellen Belastungen könnte die Neuregelung einen Strukturwandel bei den Molkereien verstärken. Besonders kleinere und abgelegene Betriebe, die auf solidarische Genossenschaftsmodelle angewiesen sind, könnten durch individuelle Festpreise benachteiligt werden. „Auf Basis unserer bisherigen Ergebnisse plädieren wir dafür, von umfangreichen Verpflichtungen zu Festpreisverträgen mit festen Liefermengen Abstand zu nehmen und stattdessen marktorientierte Eigenlösungen im Risikomanagement zu fördern“, rät Thiele.
Staatliche Eingriffe nicht gerechtfertigt
Thiele und Tiedemann können auch keine ausreichenden Marktversagenstatbestände erkennen, die den staatlichen Eingriff in die Vertragsbeziehungen rechtfertigt. Trotz der hohen Preisvolatilität gibt es aus ihrer Sicht keine hinreichend guten Gründe auf marktwirtschaftliche Eigenlösungen zu verzichten. Die Marktexperten warnen vielmehr vor dem Risiko eines Politik- oder Regierungsversagens bei Umsetzung dieser Neuregelungen.
Auf den Rohstoff- und Beschaffungsmärkten dürften die Neuregelungen zudem zu einem erhöhten Strukturwandel der Molkereien beitragen, warnen die Autoren. Im Gegensatz zu den Zielsetzungen des Referentenentwurfs könne es dann aber statt zu einer Besserstellung zu einer Schlechterstellung von Milcherzeugern in der Wertschöpfungskette Milch kommen.
Besser brancheninternes Risikomanagement stärken
Vor dem Hintergrund der möglichen Effekte der Neuregelungen kommt die Studie zu dem Schluss, dass die politischen Entscheidungsträger von umfangreichen Verpflichtungen zu Festpreisverträgen mit fester Mengenfestschreibung Abstand nehmen und stärker die prinzipiell vorhandenen Eigenlösungen im Bereich des Risikomanagements in der Branche unterstützen sollten.
Die vorhandenen und neuen marktorientieren Preissicherungsinstrumente können sowohl durch Forschungen als auch durch finanzielle Unterstützung zum Beispiel von zu zahlenden Sicherheitsleistungen gefördert werden. Auch könnten Optionsprämien, wie es in den USA erfolgte, finanziell unterstützt werden. Bevor staatliche Eingriffe feste Preis- und Mengenangebote in Lieferverträgen vorsehen, sollten eher die Rahmenbedingungen zur besseren Eigenverantwortung in der Milchpreisabsicherung und Nutzung von Terminmärkten durch die milcherzeugenden Betriebe selbst verbessert werden. Außerdem können die bestehenden freiwillig durch Molkereien angebotenen börsenbasierte Festpreissysteme durch Unterstützung der Finanzierung von Sicherheitsleistungen oder Vergabe von Bürgschaften gefördert werden.