Einen mit teilweise provokanten Aussagen bzw. Fragen gespickten Weckruf richtete Peter Stahl, Vorsitzender des Milchindustrie-Verbandes (MIV), an die über 500 Teilnehmer des Berliner Milchforums.
In seinem Grußwort am Freitagmorgen ging er zunächst auf das Thema Branchenkommunikation ein. Für Stahl braucht es dafür ein Thema bzw. ein Alleinstellungsmerkmal, bei dem die Branche geschlossen auftreten kann. Die Milchbranche in Irland habe das beispielsweise mit der Weide gefunden. Für Deutschland hält er das Thema Nachhaltigkeit für prädestiniert. „Ich bin aber überrascht und enttäuscht, auf wie wenig Resonanz das Thema bei einigen Molkereien und Milcherzeugern stößt. Dabei bin ich überzeugt: Wer heute nicht daran arbeitet, wird morgen nicht mehr dabei sein“, sagte Stahl in aller Deutlichkeit.
Für Fortschritt entschuldigen?
Ihn ärgert, dass sich die Branche stattdessen mit unnötigen Diskussionen aufhalte. Als Beispiel nannte er die Debatte um die ganzjährige Anbindehaltung von Kühen: „Diese ist gesellschaftlich nicht mehr akzeptiert – und wird es auch nie wieder. Darüber brauchen wir nicht mehr zu reden, sondern lieber relevante Themen diskutieren.“
Zudem ärgert er sich darüber, dass Molkereien und Milcherzeuger, die bei Themen wie Nachhaltigkeit, Tierwohl oder Umweltschutz eine Vorreiterrolle einnehmen, in der eigenen Branche in Kritik stehen. „Müssen wir uns etwa für Fortschritt entschuldigen?“, fragte der der MIV-Vorsitzende provokant in das Plenum.
Kritik an Klöckner
Auch die politischen Vertreter bekamen ihr Fett weg. Zum einen ging Stahl auf die Kritik von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner ein, das Erarbeiten der Sektorstrategie Milch ginge nicht schnell genug. „Wir haben mit Beginn der Diskussion im Januar 2018 bis jetzt einen konkreten Fahrplan aufgestellt, den wir in den kommenden Monaten weitergehen – das ist gar nicht so schlecht. Nur zum Vergleich: Die Politik arbeitet seit sieben Jahren an der Überarbeitung der Milchgüte-Verordnung, was den deutschen Molkereien aktuell immer noch einen Wettbewerbsnachteil bereitet.“
Zum anderen ging Stahl auf die Forderung von Bundesministerin Klöckner ein, die Milchbranche krisenfester aufzustellen. „Ich wünsche mir realistische Forderungen, diese gehört nicht dazu. Denn in einer sozialen Marktwirtschaft gehören Preisschwankungen zum Ausgleich von Angebot und Nachfrage dazu.“
Soja importieren und Magermilchpulver exportieren?
Zum Thema Export lieferte der MIV-Vorsitzende den Teilnehmern des Berliner Milchforums ebenfalls einige Denkanstöße. Stahl befürwortet Ausfuhren von Milchprodukten in Länder, die selbst keine Milchproduktion aufbauen können, z.B. aufgrund des Klimas. Und er befürwortet den Export von Milchprodukten in Länder, in denen die Molkereien perspektivisch eine Vor-Ort-Produktion aufbauen wollen. Für alle Ausfuhren gelte, dass sie die Wertschöpfung steigern müssen. „Aber die deutsche Milchbranche muss sich ernsthaft fragen, ob es sinnvoll ist, Soja zu importieren, um damit Milch zu produzieren, die auf dem überversorgten Binnenmarkt keinen Abnehmer findet und somit als Massenprodukt wie Magermilchpulver in den Export geht – und durch die Produktion die deutsche Umwelt beispielsweise durch den Nährstoffanfall noch belastet hat“, sagte Stahl. Zudem hole sich die Branche mit dieser Strategie die Schwankungen des Weltmarktes auch auf den eigenen Markt.