Bei vielen Milchbauern in Nordrhein-Westfalen liegen in diesen Tagen die Abgabenbescheide des Zollamtes zur Superabgabe in der Post. Allein in diesem Bundesland haben bis März über 1.700 Landwirte ihre Quote überliefert, das ist mehr als die Hälfte der Milchbauern. Sie alle haben vom Zoll die Zahlungsaufforderung bekommen. Doch angesichts des derzeitigen Milchpreises ist das für viele Höfe eine neue Hiobsbotschaft. Der WDR hat einige Landwirte besucht. Die Forderungen gehen nicht selten in den sechsstelligen Bereich (Beispiel Betrieb in Heek mit 450 Kühen: 219.000 Euro)
Jetzt mag der ein oder andere sagen, dass die Bauern selbst schuld sind, wenn sie überliefern. Laut dem WDR gestaltet sich die Praxis aber völlig anders: Mit Blick auf die auslaufende Milchquote im Frühjahr 2015 wurde diese jährlich um 1 % erhöht. Mehr Milch war demnach erlaubt, weil politisch und vom Markt gewollt.
Auch wurde mehrfach von der "sanften Landung" gesprochen – weg vom dem Mengenbegrenzungssystem hin zur freien Milchwirtschaft, und das ohne größere Nebenwirkungen. Der Exportboom tat sein Übriges, um den Ruf nach mehr Milch immer lauter werden zu lassen. Die Ware wurde knapp, der Preis stieg ordentlich - die Quote als solche war somit für viele nur noch eine Randerscheinung: es wurde investiert, um dem baldigen freien Markt gewachsen zu sein, und es wurde gemolken, was geht. Nicht zu vergessen das Verrechnungssystem: auch, wenn der eine oder andere Landwirt seine Quote überlieferte, so gab es immer andere, die ihre Menge unterschritten – die Bilanz war somit unterm Strich sauber.
Doch der Markt hat die Reißleine gezogen – das System wurde glatt überschwemmt, hinzu kam der Exportstopp nach Russland, so der WDR weiter. Diese Entwicklung sorgte dafür, dass ein Mengenausgleich nicht mehr möglich war und die Quote vollends zum Tragen kam. Der WDR kritisiert hierbei auch die Haltung des Bauernverbandes. Dieser habe stets „emotionslos“ erklärt, man stehe den Bauern beratend zur Seite. Es habe aber jedem klar sein müssen, dass das auch mal schief gehen kann.
Landwirte setzen auf Verordnungslücke
Viele Milchbauern wollen sich nun wehren und haben beim Hauptzollamt Einspruch gegen die Abgabe eingelegt. Bundesweit sind es nach Informationen des Senders allein bis Anfang September schon 3.700 Landwirte. Laut einem Fachanwalt sollen die Aussichten auf Erfolg gar nicht so gering sein. Schließlich basierten die Überschussabgaben auf einer Verordnung, die im EU-Recht schlicht nicht mehr existiert, so die Argumentation.
Zur Erklärung: Im Dezember 2013 hat die EU die Verordnung für landwirtschaftliche Erzeugnisse neu geregelt. Darin steht auch, dass "das System der Milchproduktionsregulierung" nur noch bis zum 31. März 2015 gilt. Von einer Übergangsregelung liest man hier nichts. Und genau da wollen die Anwälte anpacken. Selbst im Bundeslandwirtschaftsministerium ist schon Anfang 2014 aufgefallen, dass hier vielleicht Nachbesserungsbedarf besteht. Zumindest hat das Ministerium damals die Europäische Kommission schriftlich auf diese mögliche Verordnungslücke hingewiesen. Dort aber sah man das anders, entsprechend blieb es beim ursprünglichen Entwurf.
Lesen Sie dazu auch unseren Beitrag aus der top agrar 7/2015:
Erfolgsaussichten sind umstritten
Durch eine Klage die Superabgabe irgendwann zurück zu erhalten, ist natürlich eine verlockende Option – vor allem für Betriebe mit hoher Zahllast. Viele Experten rechnen aber nicht mit einem Erfolg vor Gericht: