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Baywa in Insolvenzgefahr Ernte 2024 Afrikanische Schweinepest

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Qualität statt Masse: Ist das die Zukunft?

Lesezeit: 6 Minuten

Die Preise stehen unter Druck. Kommt die Wende vor ­Weihnachten? Müssen wir in der Produktion künftig umdenken? top agrar sprach mit Dr. Albert ­Hortmann-Scholten, Marktexperte bei der LWK Niedersachsen.


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Schlachtschweinepreise um 1,40 € je kg Schlachtgewicht, Ferkelpreise von unter 35 € für ein 25-kg-Ferkel. Was ist los am Schweinemarkt?


Hortmann-Scholten: Das anhaltend hohe Angebot bei sinkender Nachfrage drückt die Preise. Wir produzieren momentan zu viel Fleisch! In Deutschland wurden allein in den ersten sechs Monaten dieses Jahres 2,8 % mehr Tiere geschlachtet als im Vorjahreszeitraum. In der EU fiel das Plus mit durchschnittlich mehr als 4 % sogar noch größer aus. Spitzenreiter ist Spanien mit einem Plus von fast 8 %!


Für zusätzlichen Druck sorgt die sinkende Nachfrage. Der Fleischkonsum verlagert sich immer mehr in Richtung Rind- und Geflügelfleisch. Der LEH hat allein im ersten Quartal dieses Jahres 5 % weniger Schweinefleisch geordert. Und aufgrund des demogra-phischen Wandels wird der Schweinefleischverbrauch künftig weiter sinken.


Wie lange hält der Druck an?


Hortmann-Scholten: Die Schlachtzahlen liegen in Deutschland bei über 1 Mio. Tiere pro Woche. In den nächsten Wochen bleibt der Preisspielraum deshalb nach oben begrenzt. Die Preise für ein 25-kg-­Ferkel dürften nach meiner Einschätzung erst zum Jahresende hin wieder deutlich über 40 € klettern, bei den Schlachtschweinen rechne ich frühestens Anfang nächsten Jahres mit einer spürbaren Entspannung. In diesem Jahr werden wir die Marke von 1,50 € je kg Schlachtgewicht wahrscheinlich nicht mehr überspringen. Die private Lagerhaltung wird daran nichts ändern.


Warum stützt der Export die Preise nicht stärker?


Hortmann-Scholten: Das Exportgeschäft läuft viel schlechter als in der Vergangenheit. Der russische Markt bleibt gesperrt, im Juni hat der Kreml das Importverbot aufgrund der Wirtschaftssanktionen des Westens sogar bis August 2016 verlängert. Auch die immer wieder auftretende Afrikanische Schweinepest in mehreren östlichen EU-Ländern nutzen die Russen als Argument für die Marktabschottung.


Wie sieht es in China aus, dem größten Absatzmarkt für EU-Ware?


Hortmann-Scholten: Hier bin ich optimistischer, denn der chinesische Schweinebestand ist in den letzten 18 Monaten um 81 Mio. Tiere gesunken, ein Minus von 17 %. Ursache sind u. a. massive PRRS- und PED-Probleme. Die Anzahl der Sauen ging sogar um 20 % auf nur noch 39 Mio. Tiere zurück. Das hat zur Folge, dass die Erzeugung kurzfristig nicht wieder ansteigt. Der Importbedarf dürfte im nächsten Jahr auf über 2 Mio. t anwachsen.


Branchenorganisationen wie die ISN fordern schon länger eine Exportoffensive seitens der Politik. Hat die ISN recht?


Hortmann-Scholten: Die Forderung der ISN ist richtig. Die Bundesregierung muss deutlich mehr tun. Mithilfe der Politik hätten wir auf den Weltmärkten gute Chancen, denn deutsches Schweinefleisch genießt wegen seiner hohen Qualitätsstandards international einen sehr guten Ruf.


Dass sich mehr Engagement seitens der Politik lohnt, zeigen die Beispiele Spaniens und der Niederlande. Die Niederländer haben im Frühjahr mit Indien eine neue Vereinbarung zur Lieferung von Schweinefleisch getroffen. Und Spanien konnte seine Ausfuhren dank der Unterstützung der Behörden in den letzten Jahren deutlich steigern.


Namhafte Wursthersteller wie Rügenwalder-Mühle produzieren jetzt vegetarische Wurst. Bis Ende 2016 will man 30 % des Gesamtumsatzes mit Veggie-Produkten erzielen. Wird die „richtige“ Wurst zum Auslaufmodell?


Hortmann-Scholten: Ganz eindeutig nein! Ernährungstrends, wie der augenblickliche Hype zum Vegetarismus und Veganertum sind meistens nur Modeerscheinungen. Extreme Ernährungsgewohnheiten kehren sich häufig rasch um, wie das Beispiel der Low-Carb-­Diät zeigt.


Im Übrigen ergab eine aktuelle Forsa­-Umfrage aus dem Januar dieses Jahres, dass mehr als zwei Drittel der Bundesbürger mehrfach pro Woche Fleisch oder Wurst essen. Nur 4 % verzichten aktuell vollständig auf Fleisch und Wurst. Und von dieser vergleichsweise kleinen Gruppe ernährten sich laut Forsa-Umfrage nur 11 % vegan.


Brauchen wir in Zukunft noch so viele Schweine wie heute?


Hortmann-Scholten: Weltweit gesehen ja, denn der Schweinefleischverbrauch steigt jährlich um 2 bis 3 %. Allerdings wird Deutschland von diesem Wachstum kaum profitieren, weil die Produktionskosten im internationalen Wettbewerb mittlerweile deutlich aus dem Ruder laufen. Insofern werden die Zuchtschweinebestände bei uns in den nächsten Jahren deutlich sinken.


Ich rechne damit, dass zum Beispiel die Zahl der Sauen von aktuell 2,03 Mio. auf 1,7 bis 1,9 Mio. Tiere schrumpft. Das heißt aber nicht, dass das Angebot an Ferkeln und Mastschweinen künftig spürbar sinkt. Denn moderne Produktionseinheiten, die insolvent sind, scheiden nicht aus dem Markt aus, ­sondern werden in der Regel von expandierenden Schweinehaltern übernommen und mit einer noch höheren Produktivität weitergeführt. Der Schweinezyklus läuft dadurch viel langsamer als früher.


Bundesagrarminister Christian Schmidt strebt gemeinsam mit Holland und Dänemark eine Vorreiterrolle beim Thema Tierwohl an. Können wir uns solche Alleingänge leisten?


Hortmann-Scholten: Beim Thema Tierwohl stecken wir in einem Dilemma. Wir müssen den Tierschutz weiterentwickeln, weil die Gesellschaft das will. Bewegen wir uns nicht, verlieren wir an Akzeptanz und es drohen schärfere gesetzliche Vorgaben. Unser Problem sind die steigenden Kosten. Dadurch wächst die Gefahr, dass Produktionsanteile ins Ausland abwandern. Wir müssen den Tierschutz deshalb mit Augenmaß vorantreiben.


EU und USA verhandeln über das TTIP-Handelsabkommen. Überrollen uns die Amerikaner demnächst mit billiger US-Ware?


Hortmann-Scholten: Kurzfristig nicht. Denn Rind- und Schweine­fleisch werden von der EU-­Kommission als sogenannte sensible Sektoren eingestuft, für die eine allgemeine Absenkung der Zölle zunächst nicht vorgesehen ist. Dennoch werden sich die zoll-freien Mengenkontingente mittelfristig erhöhen. Auch die zwischen der EU und den USA vereinbarten Kontin-gente mit derzeit unterschiedlichen Zollsätzen je Teilstückart (von 233 bis 434 € pro t) sollen auf Dauer einheitlich zollfrei werden.


Sollte es langfristig zu einer völligen Liberalisierung des Handels kommen, befürchte ich, dass die hohen deutschen Standards durch Billigimporte unterlaufen werden. Denn Regelungen des Tier- und Umweltschutzes in Übersee weichen deutlich von unseren Vorgaben ab und sind aus europäischer Sicht kaum zu kontrollieren.


Erik Thijssen, Präsident der Europäischen Schweinehalter, plädiert dafür, in Zukunft mehr auf Qualität statt auf Masse zu setzen. Ist das der richtige Weg für deutsche Schweinehalter?


Hortmann-Scholten: Ökonomisch betrachtet rechnen sich Erweiterungsinvestitionen in der Schweinehaltung immer schlechter. In den deutschen Intensivgebieten, aber auch in den Niederlanden und Dänemark, lohnt sich die Ausweitung der Produktion nur noch in ganz wenigen Ausnahme-fällen. Immer mehr zu produzieren, ist kein Weg mehr für die Zukunft!


Es ist daher richtig, mehr in Richtung Qualität zu denken. Die entscheidende Frage ist derzeit aber noch, ob wir die zusätzliche Qualität bezahlt bekommen. Ich glaube, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen.


Das Interview führte top agrar-­Redakteur Marcus Arden.

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