Einloggen / Registrieren

Startseite

Schlagzeilen
Meinung & Debatte
Newsletter
Messen & Termine
Themen
Wir für Euch
Heftarchiv
Sonstiges

Eurotier 2024 Seelische Gesundheit Wolf

Aus dem Heft

Wir brauchen große Würfe mit vitalen Ferkeln

Lesezeit: 11 Minuten

Trotz öffentlicher Kritik: Allein aus wirtschaftlichen Gründen können wir auf große und ­gleichmäßige Würfe nicht verzichten! Wie man Sauen und Ferkel dabei optimal unterstützt, hat top agrar mit Experten diskutiert.


Das Wichtigste zum Thema Schwein mittwochs per Mail!

Mit Eintragung zum Newsletter stimme ich der Nutzung meiner E-Mail-Adresse im Rahmen des gewählten Newsletters und zugehörigen Angeboten gemäß der AGBs und den Datenschutzhinweisen zu.

Seit gut sieben Jahren kennt die Kurve der abgesetzten Ferkel pro Sau und Jahr nur eine Richtung: nach oben. Die Sauen werden immer fruchtbarer und die Würfe immer größer. Im letzten Wirtschaftsjahr setzten z. B. die ausgewerteten Ferkelerzeuger im Kammergebiet Westfalen-Lippe im Schnitt bereits 27,6 Ferkel pro Sau und Jahr ab (siehe Übersicht 1). Im Rheinland war es noch ein Ferkel mehr. Und den 25 % erfolgreichsten Ferkelerzeugern in NRW gelang es sogar, 31 Ferkel pro Sau und Jahr aufzuziehen.


In den letzten Jahren haben die Zuchtunternehmen in puncto Fruchtbarkeit also gewaltige Fortschritte erzielt. Den Stein ins Rollen gebracht hat der letzte Düsser Warentest vor sieben Jahren, bei dem die dänische Genetik in Sachen Fruchtbarkeit neue Maßstäbe setzte. Das hat die übrigen Zuchtunternehmen unter Druck gesetzt. Wobei das Ende der Fahnenstange noch längst nicht erreicht zu sein scheint. Dänische Zuchtunternehmen sprechen offen von 36 abgesetzten Ferkeln pro Jahr als Zielvorgabe für die nächsten Jahre.


Große Würfe, kleine Ferkel:

Doch die Kehrseite der Medaille sieht leider weniger erfreulich aus. Denn mit zunehmender Wurfgröße steigt auch die Zahl tot geborener Ferkel. Und die lebend geborenen Ferkel werden tendenziell immer leichter. Die Streuung innerhalb der Würfe nimmt zu, und die Vitalität der Ferkel sinkt.


Dadurch steigen nicht nur die Saugferkelverluste. Das Problem zieht sich auch wie ein roter Faden durch die folgenden Produktionsstufen. Denn leichte Ferkel hinken in ihrer Gewichtsentwicklung zeitlebens ihren schwereren Wurfgeschwistern hinterher – bis in die Mast. Zudem erhöht sich durch die intensive Betreuung die Arbeitsbelastung für die Sauenhalter. Dabei fahren viele, die in den letzten Jahren expandiert haben, schon heute am Limit.


Längst ist das Thema auch in der öffentlichen Tierschutzdiskussion angekommen. Von Qualzucht ist die Rede. Und es wird aus ethischer Sicht gefordert, dass eine Sau nicht mehr Ferkel zur Welt bringen sollte, als sie auch selbst ernähren und aufziehen kann.


Auch die Zuchtunternehmen haben mittlerweile erkannt, dass sie aufgrund des wirtschaftlichen Drucks und der Konkurrenz zur dänischen Genetik zu einseitig auf Fruchtbarkeitsleistung gesetzt haben. Bei den meisten fließen inzwischen auch die mit der Fruchtbarkeit negativ korrelierten Merkmale wie die Ferkelgewichte und die Ausgeglichenheit der Würfe stärker in die Zuchtziele ein (s. Interview auf Seite S 18).


Doch es dauert, bis der Effekt Stück für Stück in der Ferkelerzeugung sichtbar wird. „Denn die Tierzucht ist wie ein großer Tanker auf hoher See. Hat man erst einmal einen Kurs eingeschlagen, dauert es, bis das Schiff abgestoppt und auf einen neuen Kurs gebracht ist“, bringt es Dr. Hubert Henne, Zuchtleiter bei BHZP, auf den Punkt.


Henne und andere Zuchtexperten sind sich sicher: Langfristig geht es nur über eine veränderte Gewichtung im Zuchtziel. Das Geburtsgewicht und die Vitalität der Ferkel sowie die Ausgeglichenheit der Würfe müssen einen höheren Stellenwert bekommen.


Wir brauchen jedes Ferkel!

Etwas anders beurteilt Dr. Albert Hortmann-Scholten von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen die Situation: „Wir können es uns gar nicht leisten, auf den Zuchtfortschritt bei der Fruchtbarkeit zu verzichten.“


Der Marktexperte aus Oldenburg hat den derzeitigen Produktionskosten pro Ferkel die Erlöse bei unterschiedlichen Ferkelpreisnotierungen gegenübergestellt (siehe Übersicht 2). Ergebnis: Je mehr Ferkel ein Landwirt pro Sau und Jahr absetzt, desto geringer sind die Produktionskosten. Dieser Effekt der Kostendegression ist bekannt. Bei 24 verkauften Ferkeln liegen die Produktionskosten einschließlich Gebäude und Lohnanspruch bei 69,67 € pro Tier. Bei 32 verkauften Ferkeln vermindern sich diese Kosten auf 56 €!


Bei steigenden Leistungen muss man zwar Mehrkosten für zusätzliche Flatdeckplätze und einen höheren Betreuungsaufwand gegenrechnen. Dennoch sinken die Kosten pro Ferkel bei steigenden Leistungen deutlich.


Stellt man diesen Produktionskosten die Erlöse bei unterschiedlichen Ferkelnotierungen gegenüber, wird deutlich, dass Ferkelerzeuger mit hohen Fruchtbarkeitsleistungen Preistäler bei den Ferkeln wesentlich besser überstehen als weniger erfolgreiche Betriebe. Bei 24 verkauften Ferkeln pro Sau und Jahr braucht man netto mindestens 61,67 € (25 kg-Notierung), um inklusive Gewichts-, Impf- und Mengenzuschlägen kostendeckend zu produzieren.


Bei einem Leistungsniveau von 32 verkauften Ferkeln pro Sau und Jahr, das zurzeit gerade mal die 25 % wirtschaftlich besten Betriebe im Rheinland erreichen, ist dagegen bereits eine Notierung (Nettoerlös) von 48 € ausreichend, um die Kosten zu decken.


Mit anderen Worten: Bei den aktuellen Produktionskosten und Erlösen bleibt den Ferkelerzeugern gar keine andere Wahl, als so viele Ferkel wie möglich abzusetzen und auf fruchtbare Sauenlinien zu setzen. Zumal die Konkurrenz, die Ferkelerzeuger in Dänemark und Holland, den Takt vorgibt.


Management muss stimmen!

An der Situation dürfte sich auch in Zukunft nichts ändern. Deshalb ist das ganze Können der Betriebsleiter gefragt, um von den geborenen Ferkeln möglichst viele erfolgreich aufzuziehen! „Zumal es inzwischen etliche Beispiele in der Praxis gibt, die auch 16 lebend geborene Ferkel aufziehen, ohne dass sich die Ferkelverluste nennenswert erhöhen“, erklärt Prof. Dr. Steffen Hoy von der Uni Gießen.


Aktuelle Auswertungen der Landwirtschaftskammer NRW bestätigen das, wie Übersicht 3 zeigt. Innerhalb der letzten zehn Wirtschaftsjahre hat sich die Zahl der lebend geborenen Ferkel je Wurf im Schnitt der ausgewerteten Betriebe um fast drei Ferkel erhöht. Die Saugferkelverluste hingegen sind in der gleichen Zeit nur um 0,6 % gestiegen.


Damit sich dieser Trend auch in Zukunft fortsetzt, müssen die Sauen optimal versorgt werden. Sie sollen möglichst ausgeglichene Würfe zur Welt bringen und nach dem Abferkeln viel Milch produzieren. Auch die Ferkel müssen bestens versorgt werden, damit möglichst viele erfolgreich ins Flatdeck umgestallt werden können und die Würfe nicht auseinanderwachsen.


„Hier gibt es große Unterschiede zwischen den Betrieben“, gibt Prof. Hoy zu bedenken. Das Management hat einen enormen Einfluss. Das zeigt auch eine Auswertung der Ringgemeinschaft Vechta (siehe Übersicht 4).


Zwar gilt nach wie vor die Aussage, dass die Direktkosten freien Leistungen ansteigen, je mehr Ferkel pro Sau und Jahr verkauft werden. Es gibt jedoch noch immer etliche Betriebe, die auch mit „nur“ 25 oder 26 abgesetzten Ferkeln zu den 25 % wirtschaftlich erfolgreichsten Betrieben gehören. Und es gibt Ferkelerzeuger, die trotz 29 verkauften Ferkeln nur zum unteren Viertel gehören. Hier schlummern noch erhebliche Leistungsreserven! Der Grundstein für dauerhaft hohe Aufzuchtleistungen wird bei der Sauenfütterung nach dem Absetzen gelegt. Die Sauen müssen in Kondition gefüttert werden. „Die ersten 60 bis 80 Tage der Trächtigkeit sind entscheidend. Hier sollen sich die Sauen von der letzten Säugephase erholen“, betont Berater Bernhard Feller von der Landwirtschaftskammer NRW.


Sauen häufiger füttern?

„Später im Abferkelstall kommt es dann darauf an, die Milchproduktion zu unterstützen. Die Sauen müssen in die Lage versetzt werden, möglichst viel Futter aufzunehmen. „Dazu gehört auch, dass die Sauen nicht nur ein- oder zweimal täglich gefüttert werden, sondern dass man ihnen häufiger täglich frisches Futter anbietet. Technisch sind die meisten Fütterungsanlagen dazu in der Lage“, berichtet Berater Feller.


Aber auch die Rationsgestaltung muss optimiert werden. „Wir füttern unsere Sauen noch wie vor zwanzig Jahren. Aber brauchen wir nicht neue, an die großen Würfe angepasste Fütterungskonzepte?“, gibt Berater Johannes Hilgers von der Schweinevermarktung Rheinland zu bedenken.


„Der nächste Punkt, der die Betriebe mit geringen von denen mit hohen Ferkelverlusten unterscheidet, ist die regelmäßige Ferkelwache“, ist Prof. Steffen Hoy überzeugt. Dazu wurden an seinem Institut in Gießen Untersuchungen durchgeführt. In einem Praxisbetrieb mit rund 700 Sauen, der im Wochenrhythmus absetzt, wurde jeweils donnerstags, dem Hauptabferkeltag, stundenweise eine Ferkelwache durchgeführt. Von 17 Uhr, wenn die anderen Mitarbeiter Feierabend machten, überwachte ein Angestellter bis 21 Uhr die Geburten.


Der Versuch dauerte fünf Wochen. In dieser Zeit absolvierte der Mitarbeiter 20 Stunden Ferkelwache. Bei einem Stundenlohn von 15 € ergaben sich zusätzliche Arbeitskosten in Höhe von 300 €. Dem gegenüber standen jedoch 19 Ferkel, deren Leben durch die Ferkelwache gerettet wurde. Unterstellt man einen Ferkelpreis von 30 €, bleiben nach Abzug der Lohnkosten 270 € Reingewinn. Ein Einsatz, der sich lohnt!


Wobei es nicht darum geht, sich im Rahmen der Ferkelwache die ganze Nacht um die Ohren zu schlagen. „Bei unserer Untersuchung haben wir nur die normale Tagesschicht am Hauptabferkeltag um vier Stunden verlängert. Das ist machbar, man muss nur flexible Arbeitszeitmodelle finden“, regt Prof. Hoy an. Was spricht zum Beispiel dagegen, junge Mütter für die Ferkelwache zu gewinnen, die nach der Babypause wieder stundenweise ins Berufsleben einsteigen wollen?


Die nächste Möglichkeit, große Würfe zu unterstützen, besteht im Ferkelversetzen. Hier scheiden sich jedoch die Geister. „Es sollten so viele Ferkel wie möglich bei der eigenen Mutter bleiben. Denn jedes versetzte Ferkel verschleppt Keime“, warnt Prof. Hoy.


In den ersten Lebensstunden sollten ohnehin keine Ferkel versetzt werden, damit alle Tiere zunächst Biestmilch bei der eigenen Mutter tanken können. „Ich rate meinen Betrieben, die Ferkel nach Geburtsreihenfolge zu markieren. Die zuerst geborenen und schwersten Ferkel können dann – wenn nötig – an eine andere Sau versetzt werden“, schlägt Berater Wilfried Brede vom Serviceteam Alsfeld vor. Denn die Stärksten können sich auch im fremden Wurf entsprechend behaupten.


Ammen einsetzen?

Sind die Möglichkeiten des Ferkelversetzens ausgereizt, besteht die Möglichkeit, einen Teil der Ferkel aus großen Würfen an natürliche oder künstliche Ammen zu versetzen.


Künstliche Ammen sind flexibel einsetzbar. Die Anforderungen an die Hygiene sind jedoch hoch. Zudem ist die verwendete Spezialmilch teuer. Und es gibt tierschutzrechtliche Beschränkungen. Denn laut Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung dürfen Ferkel nur dann vorzeitig von der Sau abgesetzt werden, wenn dies zum Schutz der Sau oder des Ferkels vor Schmerzen, Leiden oder Schäden erforderlich ist.


Viele Betriebe setzen daher eher auf natürliche Ammen. Das können Sauen sein, deren Ferkel bereits abgesetzt wurden, die aber noch über ausreichend Milchleistung verfügen. Oder man setzt die zurückgebliebenen Ferkel an eine Schlachtsau, damit sie sich hier einen „Nachschlag“ Muttermilch holen. Meistens verfügt der Betrieb aber gar nicht über genug Schlachtsauen, um sie fest als Ammen einplanen zu können. Besser geeignet sind Sauen aus der vorausgehenden Abferkelgruppe. Das funktioniert jedoch nur beim Wochenrhythmus. Denn bei mehrwöchigen Absetzrhythmen ist der zeitliche Abstand zwischen Ferkeln und Ammen aus der letzten Gruppe zu groß.


Außerdem eignen sich nur Tiere mit gutem Gesäuge und guten Muttereigenschaften. Und es ist eine separate Ammenbucht erforderlich, damit das Abferkelabteil gereinigt und desinfiziert werden kann. „Sonst besteht die Gefahr, dass Krankheiten im Bestand hin- und hergeschleppt werden“, gibt Berater Wilfried Brede zu bedenken.


Ein weiterer Knackpunkt der Ammenhaltung: Die Sauen müssen nach ihrem Ammeneinsatz wieder in die Gruppen eingegliedert werden. Man verliert Zeit bis zur nächsten Rausche bzw. Belegung, und die Wurffolge verschlechtert sich.


„Deshalb lautet meine Empfehlung, die Würfe zusammen zu lassen, möglichst wenig Tiere zu versetzen und den Ferkeln in der Bucht zusätzlich Milch anzubieten“, bringt es Berater Johannes Hilgers auf den Punkt. Denn bei großen Würfen reicht die Sauenmilch allein nicht aus. Für jedes kg Wurfzuwachs muss die Sau 4,1 Liter Milch bereitstellen. „Statt der bei großen Würfen erforderlichen 14 Liter produzieren die meisten Sauen aber maximal 10 Liter Milch pro Tag“, begründet Berater Hilgers die Notwendigkeit des Zufütterns. Denn sonst bedienen sich vor allem die starken Ferkel am Gesäuge, und die Würfe wachsen noch stärker auseinander.


Das Zufüttern kann über Tränkeschälchen erfolgen, die per Hand bzw. mithilfe eines „Milchtaxis“ befüllt werden. Oder man installiert im Abferkelstall eine automatische Milch- bzw. Prestarterfütterung in Form eines so- genannten Cup-Systems. Dabei wird die Milch in einem Mischtank angerührt und über ein Leitungssystem zu den in den Abferkelbuchten fest installierten Tassen (Cups) gepumpt, an denen die Ferkel jederzeit freien Zugang zur Milch haben.


„Das Zufüttern in der Abferkelbucht ist eine clevere Lösung“, ist Prof. Steffen Hoy überzeugt. Die Cups entlasten die Sauen und unterstützen die Ferkel. Die Sauen werden nicht so stark abgesäugt und kommen besser wieder in Rausche.


Zufüttern ist nicht billig.

„Das Ganze gibt es jedoch nicht zum Nulltarif. Nach unseren Berechnungen muss man 0,6 bis 1 Ferkel pro Wurf mehr absetzen, damit sich die Investition in das Cup-System rechnet“, gibt Hoy zu bedenken. Deshalb sollte jeder Sauenhalter vor der Investition für seinen Betrieb eine eigene Kosten/Nutzen-Rechnung aufmachen.


„Vollautomatische Tränkesysteme lohnen sich erst bei großen Würfen. Landwirte, die im Schnitt zehn bis elf Ferkel pro Wurf ausziehen, sind mit Schälchen und einem Milchtaxi besser beraten“, ist Wilfried Brede überzeugt.


Dass das Zufüttern der Ferkel in der Abferkelbucht der Königsweg sei, stellt Berater Bernhard Feller auch aus einem anderen Grund infrage: „An den Schälchen bedienen sich nicht nur die kleinsten, sondern auch die mittleren und gut entwickelten Ferkel – die vermutlich sogar noch intensiver. Dadurch erhöht sich zwar der Zuwachs des gesamten Wurfes. Die Ferkel wachsen aber noch stärker auseinander“. Deshalb ist es wichtig, dass die Zucht alles daran setzt, dass die Würfe ausgeglichen sind.

Mehr zu dem Thema

Die Redaktion empfiehlt

top + Bestens informiert zur EuroTier 2024

Über 60 % sparen + Gewinnchance auf einen VW Amarok sichern!

Wie zufrieden sind Sie mit topagrar.com?

Was können wir noch verbessern?

Weitere Informationen zur Verarbeitung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

E-Mail-Adresse

Vielen Dank für Ihr Feedback!

Wir arbeiten stetig daran, Ihre Erfahrung mit topagrar.com zu verbessern. Dazu ist Ihre Meinung für uns unverzichtbar.