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Mit List gegen die Arbeitslast

Lesezeit: 7 Minuten

Viele Familienbetriebe in Süddeutschland fahren mit ihrer Arbeitsbelastung am Limit. Wie gelingt der Weg aus der Arbeitsfalle?


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Schon wieder eine Kuh mit einer Euterentzündung, die sofort behandelt werden muss. Dabei wollte ich doch vor dem nächsten Melkdurchgang noch Viola besamen“, schießt es Franz Sedlmaier (Name geändert), Milcherzeuger aus Oberbayern, durch den Kopf. Dann muss ich halt mit dem Maisdrillen eine Nachtschicht einlegen, denkt sich der Züchter, der über 70 Stunden pro Woche arbeitet.


Ein extremer Sonderfall in süddeutschen Familienbetrieben? Leider nein. „Ich schätze, dass zwischen 50 und 75 % der Betriebe permanent mit ihrer Arbeit auf dem Hof überlastet sind und viele am Anschlag laufen“, erklärt Klaus Schiller, Geschäftsführer des Maschinen- und Betriebshilfsrings Aibling-Miesbach-München. Der ausgebildete Coach weiß, wovon er spricht: Über 350 Betriebe haben ihn bereits für eine Beratung zur Arbeitswirtschaft und zur weiteren Entwicklung geholt, oft weil sie in einer Sackgasse steckten.


Familien leiden:

In Baden-Württemberg haben in den letzten zwei bis drei Jahren viele Familienbetriebe mit 2 oder 2,7 AK den Schritt von 80 bis 100 Kühe auf 120 bis 180 gewagt. In Bayern stockten etliche von 60 auf 80 bis 100 Tiere auf. Auf diesen Höfen ist die arbeitswirtschaftliche Situation zum Teil dramatisch. Die Familien fühlen sich dauerhaft überlastet und ausgebrannt. Zuerst verlängern sich nur die Stallzeiten, bald können eigene Vorgaben und Routinen nicht mehr eingehalten werden. Irgendwann reagieren die Tiere: Die Leistung sinkt, die Fruchtbarkeit leidet und das Tierwohl bleibt auf der Strecke. Der Leidensdruck ist vor allem bei den Betriebsleitern hoch: Oft erfahren die Berater erst durch die Ehefrau, wie angespannt die Situation wirklich ist.


Keine Arbeitszeitplanung:

Was sind die Ursachen dafür? „Das Kernproblem ist, dass die Betriebe wachsen, ohne vorher genau zu planen, wer danach die Arbeit macht“, beobachtet Otto Kirmaier, Berater für Melk­roboter und Fütterung beim LKV Bayern in Miesbach. Selbst bei großen Wachstumsschritten werde oft zuerst gebaut und probiert, ob es weiterhin mit Ehefrau und Altenteilern zu schaffen ist, bestätigen auch andere Milchviehberater.


Dabei bedeuten rund 40 Kühe mehr (inkl. Fläche und Jungvieh) zusätzliche 3 000 Arbeitsstunden (Übers. 1), was mindestens eine weitere Voll-AK erforderlich macht. Zum Vergleich: Ein Angestellter in der freien Wirtschaft arbeitet maximal 2 200 Stunden im Jahr.


Die Betriebsleiter überschätzen offenbar ihre eigene körperliche und psychische Leistungsfähigkeit. Gleichzeitig unterschätzen sie die zusätzliche Arbeit, die eine Aufstockung bringt: „Wir haben ja einen großen Melkstand“, hört Thomas Eib vom Milchvieh-Beratungsdienst Ravensburg bei solchen Diskus­sionen von Landwirten häufig. Natürlich schnappt die Arbeitsfalle erst recht zu, wenn Melktechnik oder Mischwagen nicht mit den Kuhplätzen mitwachsen und die Abläufe nicht angepasst werden. „Doch viele blenden aus, dass mehr Kühe z. B. auch deutlich mehr Aufwand für die Klauenpflege, für das Jungvieh und für die zusätzlichen Flächen bedeuten“, so Eib.


Weniger Degression:

Die Praktiker unterliegen einem großen Denkfehler: „Die Degressionseffekte beim Aufwand pro Kuh wachsen bei einer Aufstockung von 60 auf 120 Kühe nicht mehr so stark mit wie beim Schritt vom Anbinde- in den Laufstall, wo durch Haltung und neue Melktechnik viel Zeit einzusparen ist“, erklärt Klaus Schiller.


Das belegen die Zahlen der Betriebszweigauswertung Milch 2013/14 der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft von 132 Höfen: Der Zeitbedarf pro Kuh und Jahr sinkt abhängig von Stall- und Melksystem mit steigender Herdengröße von 92,7 (Anbindestall) auf 43,4 Stunden pro Kuh und Jahr (Übers. 2). Ab 80 bis 100 Tiere geht die Zeitersparnis pro Kuh aber deutlich zurück. Die Praxis zeigt, dass für ein gutes Management und hohe Leistungen im Laufstall mit Melkstand pro Kuh und Jahr mindestens 55 bis 65 Stunden ohne Jungvieh und Futterbau nötig sind.


Ein weiterer Grund, warum klassische Familienbetriebe heute schneller an ihre Grenzen kommen, ist, dass die Generationenabstände größer werden. Wenn die Altenteiler ausscheiden, sind die Kinder oft noch klein, sodass von ihnen keine Hilfe zu erwarten ist.


Wie Entlastung schaffen?

Die einfachste und kostengünstigste Maßnahme zur Entlastung ist nach Ansicht der Berater die Auslagerung der Außenwirtschaft, der Jungviehaufzucht oder die Vergabe von Büroarbeiten wie z.B. den Mehrfachantrag an externe Berater. Allerdings wird das Einsparpotenzial hierbei häufig überschätzt: „Der Wegfall dieser Arbeiten rechtfertigt keine große Aufstockung des Bestandes, denn die meisten Arbeitsstunden fallen nun mal pro Kuh an“, gibt Otto Kirmaier zu bedenken.


Der Berater beobachtet häufig, dass Landwirte frei werdende Zeit sofort wieder mit Arbeit auffüllen und das heißt in den meisten Fällen: mehr Kühe. Auch wenn der Nachfolger nach der Ausbildung einsteigt, werde oft schon kurz darauf der nächste große Wachstumsschritt in Angriff genommen, statt erst mal Luft zu holen und weitere Schritte sorgfältig zu planen. „Man will dem Nachfolger was bieten und sich nicht abhängen lassen“, erklärt Thomas Eib. Die ältere Generation belaste das allerdings oft enorm.


Automatisierung als Rettung?

Neben der Auslagerung von Arbeit sehen etliche Familien im Melk­roboter oder anderer automatisierter Technik die Lösung für ihre arbeitswirtschaftlichen Probleme. Im Idealfall können Roboterbetriebe zwar 10 bis 20 Stunden pro Kuh und Jahr einsparen. Doch weil inzwischen sehr viele Milcherzeuger ihre Anlage aufgrund des Kostendrucks zu stark auslasten, wird die Erleichterung durch mehr Probleme im Stall wieder aufgefressen.


Viele Experten sind daher der Meinung, dass durch eine gute Betriebsführung mehr Zeit frei wird, als durch einen Automatisierungsschritt. „Die Technik ist nur ein Baustein von vielen, sie ersetzt keine Fremd-AK“, stellt Clemens Mauch fest. Der Berater vom Milchvieh-Beratungsdienst in Sigmaringen spricht damit für viele Milchbauern ein unbeliebtes Thema an: Vor allem viele bayerische Familien wollen partout keine fremden Mitarbeiter. „Die kosten nur Geld, wollen Urlaub und sind auch mal krank“, ist die spontan geäußerte Grundhaltung. Besonders die Ehefrauen wollen keine Fremden mit am Tisch. Viele sehen nicht, dass ein Mitarbeiter eine Entlastung, mehr Lebensqualität und eine Steigerung des Gewinnes bedeuten kann.


„Diese Vorurteile zeigen, dass bei diesem Thema noch viel Aufklärung zu Arbeitszeitmodellen, Arbeitsrecht, Mitarbeiterführung und Sozialkompetenz nötig ist“, erklärt Thomas Eib. Sowohl bei Teilzeit- als auch Vollzeitkräften ist es längst nicht mehr die Regel, dass sie am Familienleben teilnehmen.


Trotz guter Arbeitsmarkt-Situation im Süden können sich offenbar mehr Menschen eine Tätigkeit in der Landwirtschaft vorstellen, als viele Bauern glauben. Wohl auch, weil Stundenlöh­­ne von 10 bis 11 € fürs Melken durchaus konkurrenzfähig sind. „Bei uns melden sich immer wieder fachfremde Leute wie z. B. Frauen mit Bürojobs, die eine solche Arbeit suchen“, sagt Peter Christmann vom Maschinen- und Betriebshilfsring Memmingen.


Allerdings brauchen solche Quereinsteiger auch eine Chance: „Die Bereitschaft, ungelernte Kräfte anzulernen, ist auf vielen Höfen nicht da. Zudem fehlen passende Schulungsangebote“, klagt Gaby Aurich aus Beyharting, die für 450 € als Melkerin arbeitet.


Langsam herantasten:

Die größte Hürde für die Betriebe ist meist die Anstellung und Eingewöhnung der ersten Fremd-AK. Danach fällt es leichter: „Wer schon einmal einen Mitarbeiter hatte, findet auch wieder einen“, sagt Clemens Mauch. Die Experten empfehlen Einsteigern, sich langsam an das Thema heranzutasten und z. B. mit einem Minijobber fürs Melken anzufangen. Für Arbeitsspitzen sind zusätzliche „Springer“ notwendig.


Bei der Suche nach geeigneten Kräften helfen inzwischen auch einzelne Maschinenringe, wie die Ringe Aibling-Miesbach-München, Memmingen oder Ostallgäu: „Wir kümmern uns im Auftrag des Landwirts um die Ausschreibung, suchen die Bewerber aus und wickeln den Arbeitsvertrag sowie die Gehaltsabrechnung ab“, erklärt Schiller. Der MR Memmingen schult sogar die Betriebsleiter für ihre neue Rolle als Arbeitgeber und stellt für die neuen Arbeitskräfte betriebsindividuelle Ablaufpläne zur Verfügung.


Fazit:

Für die Experten steht fest: Wer nachhaltig in der Milchproduktion erfolgreich sein will, muss sein Arbeitszeitmanagement im Griff haben. Otto Kirmaier: „Wachstumswillige Betriebe, die in den nächsten 20 Jahren nicht generationsübergreifend arbeiten können, sollten spätestens ab 80 Kühen Fremdarbeitskräfte anstellen, um das Familien- und das Tierwohl nicht massiv zu gefährden.“ Die meisten Höfe werden daher wohl nicht um das Thema Fremd-AK herumkommen. Silvia Lehnert

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