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Gülle-Überschüsse: Westfalen geht neue Wege

Lesezeit: 11 Minuten

Gülleüberschüsse in Biogasanlagen vergären und die Gärreste in Ackerbauregionen ­transportieren – die Idee ist nicht neu. In Westfalen ist nun aber Deutschlands erstes Großprojekt gestartet. Eine Blaupause für andere Regionen?


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Rund 90 000 t Wirtschaftsdünger oder umgerechnet rund 5 600 bis zum Rand gefüllte 16 m3-Fässer Gülle – um diese stolze Menge wollen der Futtermittelproduzent Agravis aus Münster und der Nährstoffhändler ODAS aus Dorsten künftig die westfälischen Tierhalter Jahr für Jahr entlasten.


Eine zentrale Rolle spielt dabei eine mehrere Megawatt starke Biogasanlage in Dorsten, am nördlichen Rand des Ruhrgebietes. In ihr wollen die beiden Partner die Gülle- und Mistüberschüsse zunächst vergären, das daraus gewonnene Gas verkaufen und die Gärreste in Regionen mit Nährstoffbedarf schicken. Finanziert wird das aufwendige Konzept unter anderem aus den Gewinnen der Biogasproduktion. Soweit das Modell im Schnelldurchlauf.


Bislang haben Experten immer dafür plädiert, Gülle vor Ort zu separieren, die Feststoffe dann in die Ackerbaugebiete zu fahren und erst dort in einer Biogasanlage zu vergären. Lesen Sie dazu auch das Interview auf der Seite 74. Mit großen Augen schauen daher nun andere Veredlungszentren auf NRW und fragen sich: Ist das Modell auch eine Lösung für die übrigen Brennpunkte in Deutschland? Die Agravis und ODAS könnten sich das durchaus vorstellen. Eine Musterlösung ist das Konzept aber bei näherer Betrachtung trotzdem nicht.


Um das zu verstehen, stellen wir Ihnen die Pläne genauer vor und sagen Ihnen, was Kritiker an diesen bemängeln.


Knappe Fläche:

Wenn die letzten Hähnchen eines Durchganges den Hof von Stefan Wesseler aus Vreden in Westfalen verlassen haben, läuft alles nach einem festen Zeitplan ab: Innerhalb von einer Woche stehen Entmisten, Desinfizieren, Aufwärmen, Einstreuen und Aufstallen auf dem Programm. Die einzelnen Schritte muss er genau aufeinander abstimmen, andernfalls kommt es zu Verzögerungen – und die kosten Geld.


Zum Nadelöhr wird vor allem das Entmisten, das mit einigem logistischen Aufwand verbunden ist. Denn für den Wirtschaftsdünger aus seinen vier Ställen mit insgesamt 155 000 Plätzen hat Wesseler zu wenig Fläche. „Theoretisch müsste ich rund 100 ha zupachten, um die Vorgaben der Düngeverordnung einhalten zu können“, so der Hähnchenmäster. Alleine könnte er diese aber nicht mehr bewirtschaften und bei Pachtpreisen von weit über 1 000 € sei das ohnehin kaum lukrativ. Deshalb gibt Wesseler seinen organischen Dünger an den Nährstoffhändler ODAS ab. Mit ihm muss er das Entmisten daher genau absprechen, damit die LKW des Unternehmens pünktlich auf seinem Hof bereitstehen.


Bislang hat ODAS den Wirtschaftsdünger direkt an Ackerbauern verkauft. Seit ein paar Monaten fährt es diesen allerdings zunächst zur Biogasanlage der Terrasol-Wirtschaftsdünger-GmbH, so der Name der eigens für den Betrieb der Nährstoffanlage gegründeten Gesellschaft.


In der Anlage erzeugen die Agravis und ODAS aus dem Substrat Biogas. Einen Teil davon verstromt die Terrasol und speist die elektrische Energie ins öffentliche Netz ein. Den überwiegenden Teil des Methans trimmt sie auf Erdgasqualität und verkauft das Produkt an Kunden aus der Umgebung. Die dafür notwendige Aufbereitungsanlage wurde im Juni 2014 in Betrieb genommen und fährt inzwischen auf voller Leistung – 700 Normkubikmeter je Stunde (umgerechnet 2,8 Megawatt).


Da die Nährstoffe aus dem Wirtschaftsdünger von den Bakterien in den Fermentern nicht abgebaut werden, bleibt am Ende der Prozesskette neben Strom und Gas ein sehr nährstoffhaltiger Gärrest übrig. Diesen trennt die Terrasol noch einmal in eine feste und flüssige Phase. Die flüssige Fraktion wird in nahe gelegenen Ackerbauregionen gebracht, die feste hingegen per Lkw oder per Schiff in bis zu 300 km entfernte Gebiete, in denen die Tierhaltung keine große Rolle spielt.


Noch läuft die Biogasanlage aber nicht auf Volllast. Der Wirtschaftsdüngeranteil in der Anlage beträgt aktuell 70 %, anvisiert hat das Unternehmen bis Ende 2016 die 80-%-Marke. Die übrigen 20 % will man mit Energiepflanzen auffüllen (Maissilage, Ganzpflanzensilage oder beispielsweise Körnermais). In der Endstufe könnte die Anlage eine Leistung von 3,3 bis 3,8 Megawatt erreichen.


Sollte die Terrasol ihre Ziele erreichen, dürfte das vielen Betrieben entgegenkommen. Schließlich ist der Nährstoffdruck in der Region enorm. Allein im Regierungsbezirk Münster halten die Höfe mehr als 4 Mio. Schweine und rund 540 000 Rinder. Hinzu kommen rund 13 Mio. Hühner, Masthähnchen und Puten.


Einen Teil der anfallenden Gülle müssen die Westfalen bereits heute für Kosten von bis zu 15 €/m3 (netto) in Ackerbauregionen mit weniger Tierhaltung abtransportieren. Und die anstehende Reform der Düngeverordnung dürfte die Nährstoffberge nochmals weiter anschwellen lassen.


Jeder kann mitmachen:

Das Modell steht laut Agravis und ODAS nicht nur den eignen Kunden offen, sondern allen Betrieben in der Region. Diese werden das Angebot aber vermutlich nur annehmen, wenn die Terrasol den abgebenden Betrieben ein besseres oder zumindest vergleichbares Angebot unterbreiten kann, als die hiesigen Güllebörsen.


Erwartungsgemäß halten sich Agravis und ODAS in diesem Punkt bedeckt. Man verweist darauf, dass die Angebote immer betriebsindividuell gestaltet werden; pauschale Preise gebe es nicht und könne es auch nicht geben. Die Einzelheiten kläre man stattdessen mit den betroffenen Landwirten in einer Erstberatung.


In diesen Gesprächen soll ein Berater der ODAS oder der örtlichen Genossenschaften prüfen, wie die Prozesse im Betrieb optimiert werden können, um den Nährstoffanfall generell zu reduzieren. Motto: Was nicht anfällt, muss nicht transportiert werden. Erst dann wolle man entscheiden, wie viel und welcher Wirtschaftsdünger vom Betrieb in die Biogasanlage fließt und welche Kosten dabei anfallen.


Immerhin ist man aber bereit, Spannen zu nennen, innerhalb derer sich die Kurse bewegen:


• Für Flüssiggülle müssen die abgebenden Betriebe je nach Transportentfernung, Jahreszeit, Art der Gülle und Menge derzeit Preise von 8 bis 15 €/t (netto, ab Hof) einkalkulieren.


• Wer Feststoffe abgeben will, muss die Gülle in Eigenregie und auf eigene Kosten separieren. Auf Wunsch kann dieser Schritt auch an einen Dienstleister vergeben werden. Je nach Art der Gülle und Technik verlangen diese dafür zwischen 1 bis 4/m3 Frischgülle. Ab einer Menge von 2 000 m3/Jahr könne sich ein eigener Separator rechnen, so die ODAS. Wer nicht auf diese Mengen kommt, dem empfiehlt man eine überbetriebliche Lösung, bei der sich mehrere Höfe ein Gerät teilen. Die Abgabe des Feststoffes ist je nach Höhe des Aufwandes, der Jahreszeit und der Qualität im besten Fall umsonst, unter ungünstigen Bedingungen sind bis zu 5 €/t fällig (netto, ab Hof).


Separieren günstiger:

Das Separieren dürfte für viele Betriebe, vor allem Rindviehhalter, die günstigere Variante sein. Dazu ein fiktives Beispiel: Landwirt Max Meister muss 1 170 kg Stickstoff abgeben. Das kann er erreichen, in dem er beispielsweise 300 t Gülle für 12 €/t an ODAS liefert. Die Gesamtkosten belaufen sich in diesem Fall auf 3 600 €. Er könnte seinen Wirtschaftsdünger aber auch von einem Lohnunternehmer separieren lassen. Allerdings muss er dazu deutlich mehr als 300 t aufbereiten. Denn der Abscheidegrad für Stickstoff aus einer Pressschnecke beträgt selbst unter optimalen Bedingungen „nur“ rund 25 %. Um 1 170 kg Stickstoff über Feststoffe zu entsor-gen, müsste Meister somit etwa 1 000 t Frischgülle in eine feste (250 t) und flüssige (750 t) Phase trennen. Der Lohn-unternehmer würde ihm dafür eine Rechnung in Höhe von 2 500 € (1 000 t x 2,50€/t) ausstellen. Möglicherweise kommen noch Entsorgungskosten für die Feststoffe hinzu. Angenommen, die ODAS verlangt von Meister 2 €/t (500 €), schnellen die Kosten auf 3 000 € hoch. Das wäre aber immer noch preiswerter als die reine Flüssiggülleabgabe.


Allerdings muss man dabei beachten, dass die Betriebe oft sehr unterschiedliche Probleme haben: Der eine muss möglicherweise nur Phosphor abgeben, ein anderer dagegen Stickstoff und Phosphor und ein dritter eventuell nur Kalium. Vor allem Schweinehalter sind oft sogar gezwungen, Flüssiggülle abzugeben, da die Separation der trockensubstanzarmen Gülle an ihre Grenzen stößt. Daher kann immer nur im Einzelfall entschieden werden, welche Technik zum Einsatz kommt und ob Feststoffe und/oder flüssige Gülle exportiert werden sollte.


Aufladen und weg:

Auch für Betriebe, die Mist abgeben müssen, kann sich die Zusammenarbeit mit ODAS lohnen. Die Milchviehhalter Bernd und Michael Mensing aus Gescher in Westfalen liefern zum Beispiel seit zwei Jahren den Rindermist ihrer Schwarz-/Rotbunten-Herde an ODAS.


Darauf angewiesen sind die beiden Brüder nicht. „Wir könnten den Mist auch auf den eigenen Flächen unterbringen“, sagt Bernd Mensing. Vielmehr sehen die beiden andere Vorteile: Pro Monat fallen auf dem Hof mit 200 Milchkühen plus Nachzucht bis zu 150 t Mist an. Diesen müssten die beiden theoretisch zweimal verladen – einmal, um den Wirtschaftsdünger aus dem Stall zur Mistplatte zu bringen und dann noch einmal, um den Mist aus dem Lager auf einen Streuer zu hieven. Nun landet der Rinderdung hingegen direkt beim monatlichen Entmisten auf einem Lkw der ODAS. „Das spart viel Arbeitszeit und Kosten“, so Michael Mensing. Betriebe, die wie die Mensings Mist an die ODAS abgeben, müssen in der Regel dafür je nach Transportentfernung, Jahreszeit, Art des Mistes, Qualität usw. bis zu 5 €/t (netto, frei Lkw) zahlen. Nur bei sehr hochwertigem Mist können die Landwirte einen Obolus in Höhe von bis zu 2 € kassieren. (netto, frei Lkw).


An Kritik mangelt es nicht.

Damit liegt die Terrasol mit ihren Preisen auf handelsüblichem Niveau. Das verrät ein Blick in die Preistabellen anderer Nährstoffhändler. Eigentlich dürfte sich an dem Konzept daher niemand stören. Schließlich ist der Nährstoffdruck enorm und zu allem Überfluss drängt auch noch aus den Niederlanden Schweinegülle in die Region. Je mehr Nährstoffhändler den Wirtschaftsdünger aus der Region schaffen, desto besser.


Die Konkurrenz beäugt das Projekt dennoch kritisch. Namentlich genannt werden möchte keiner unserer Ansprechpartner. Deren Aussagen ähneln sich jedoch: Das Konzept sei durchdacht. Allerdings verschiffe und transportiere ODAS bislang nur einen kleinen Teil der Gärreste in weiter entlegene Regionen. Ein Großteil der Produkte versuche das Unternehmen offensichtlich nach wie vor in der Region unterzubringen.


„Die Ackerbauern in unserer Region können sich vor Angeboten kaum retten“, formulierte es einer unserer Ansprechpartner überspitzt. Dadurch würde deren Zahlungsbereitschaft sinken und das wiederum die Preise für die abgebenden Betriebe nach oben treiben. Man hoffe daher, dass die Terrasol möglichst schnell die Gärreste in weiter entfernte Regionen transportiere.


Aber auch das sei nicht so einfach, wie es von der Terrasol dargestellt werde. Zwar ist z. B. der Schiffstransport relativ günstig, allerdings müssten trotzdem Lkw die Gärreste zum Hafen bringen und im Zielhafen dann zu den Ackerbauern transportieren. Die Straßenfahrten könnten den Kostenvorteil des Schiffes schnell wieder auffressen.


Eine weitere Hürde aus Sicht der Kritiker: das Beladen und Entladen der Schiffe. Das müsse immer innerhalb vom Hafenbetreiber vorgegebener Zeitfenster geschehen. Wer diese nicht einhält, zahlt eine Strafe. Das heißt im Umkehrschluss, innerhalb weniger Stunden müssen genügend Lkw parat stehen, um das Schiff zu beladen und zu entladen. Und dann müssten auch noch gleichzeitig die Ackerbauern bereit sein, die Fracht genau zu dem Zeitpunkt aufzunehmen. Da diesen aber oft die Lagerkapazitäten fehlen, sei das Konstrukt in der Theorie sehr viel einfacher als in der Praxis.


Kritik hin, Kritik her. Ob das Konzept trägt, wird sich zeigen. Fest steht: Die Terrasol hat auch einige Trümpfe in der Hand, um sich im harten Wettbewerb zu behaupten:


  • Die Biogasanlage geht aus einer Insolvenzmasse hervor und wechselte für einen niedrigen zweistelligen Millionen-Betrag den Besitzer, einem Bruchteil des tatsächlichen Wertes. Das dürfte sich auch in den Produktionskosten widerspiegeln, mit denen andere Biogasanlagen vermutlich nicht mithalten können.
  • Die ODAS verfügt über ausreichend Erfahrung auf dem Markt und eine ausgefeilte Logistik. Für die Fahrten auf der Straße sollen z. B. sogenannte Kombiliner zum Einsatz kommen. Diese können gleichzeitig flüssige als auch feste Substrate transportieren. So kann ODAS zum Beispiel auf dem Rückweg aus den Ackerbauregionen Getreide in die Veredlungsregion transportieren. Das spart Kosten.
  • Die Biogasanlage liegt unmittelbar an einem Hafen. Das Beladen der Schiffe dürfte daher relativ günstig sein.


An diesen Punkten wird aber deutlich, dass sich das Projekt nur schwer kopieren lässt. Dafür sind die Randbedingungen zu speziell. Chancenlos sind andere Regionen allerdings nicht. Lesen Sie dazu auch das Interview auf der linken Seite. Diethard Rolink

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