Pflanzen und deren Zellen, die Züchter mithilfe der Zufallsmutagenese erzeugen, gelten auch weiterhin nicht als Gentechnik. Das hat der Europäische Gerichtshof (EUGH) am Dienstag in Luxemburg geurteilt.
Klage in Frankreich
Ein Verband von Kleinbauern und Umweltgruppen hatte in Frankreich gefordert, Züchtungen mittels der sogenannten In-vitro-Zufallsmutagenese, als Gentechnik zu klassifizieren. Dann hätte für solche Pflanzen das strenge EU-Gentechnikrecht gegolten.
Der französische Staatsrat war dagegen und hat den Fall durch den EUGH abklären lassen. Bei der In-vitro-Zufallsmutagenese nutzen Pflanzenzüchter Chemikalien oder radioaktive Strahlen, um in Pflanzenzellen viele Mutationen auszulösen. Das erzeugt eine große Vielfalt verschiedener Eigenschaften bei den zu züchtenden Pflanzen.
Verfahren gängige Praxis
Der EUGH begründete sein Urteil damit, dass die In-vivo-Zufallsgenese, bei der statt einzelner Zellen ganze Pflanzen oder Pflanzenteile bestrahlt werden, seit langer Zeit gelebte Praxis in der Pflanzenzüchtung sei. Von der In-vitro-Züchtung ginge daher kein anderes Risiko aus.
Damit folgt der EUGH der Empfehlung von Dr. Jochen Kumlehn. Der Leiter der Arbeitsgruppe Pflanzliche Reproduktionsbiologie am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung Gatersleben sagte gegenüber dem Magazin Spiegel: „Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es in der biologischen Sicherheit keinen Unterschied zwischen Pflanzen, die durch In-Vitro- und In-Vivo-Mutagenese entstanden sind.“ Der einzige Unterschied sei der Ort und das Werkzeug.
„Bei in vitro erfolgt das in einer Zell- oder Gewebekultur in einer Petrischale, bei in vivo anhand einer ganzen Pflanze oder deren Samen“, erklärte Kumlehn im Spiegel.
FDP-Fraktionsvize sieht Rückenwind für Genom-Editierung
Die stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion Carina Konrad zeigte sich verwundert über das EUGH-Urteil: „Der Europäische Gerichtshof begründet seine Entscheidung damit, dass die konventionelle Züchtung der Zufallsmutagenese 'seit Langem als sicher' gelte. Damit argumentiert der EuGH keinesfalls naturwissenschaftlich logisch, sondern mit einem gewohnheitsrechtlichen Verständnis.“
Wissenschaftler kritisiert Özdemir
Das Urteil müsse dazu führen, dass die EU neue Züchtungstechnologien wie die Genom-Editierung zulässt. Der EUGH hatte 2018 geurteilt, dass die Genom-Editierung zur Gentechnik zählt.
Auch Pflanzengenetiker Kumlehn argumentiert im Spiegel für einen neuen Umgang mit der Genom-Editierung. „Eine durch Genom-Editierung mutierte Pflanze birgt kein größeres biologisches Risiko als eine durch herkömmliche Mutagenese entstandene. Doch durch diese EuGH-Entscheidung (im Jahr 2018) ist ein Berg von Anforderungen vor uns aufgetürmt worden, der Genom-Editierung nicht sinnvoll reguliert, sondern schlicht weitgehend verhindert.“
In der Methode liege ein riesiges Potenzial, so der Wissenschaftler. Dass Landwirtschaftsminister Cem Özdemir dieses Potenzial nutzen wird, glaubt er hingegen nicht. „Unser derzeitiger Landwirtschaftsminister Cem Özdemir, der macht mir überhaupt keinen Mut. Ich finde, er will vor allem eine gute Figur machen, aber er verfügt offensichtlich über viel zu wenig Wissen zu diesem Thema und ist offenbar auch nicht in der Lage, sich dafür objektive Berater zuzulegen.“