Auf dem Grünland von Landwirt Hero Schulte hatten die Gänse im Laufe der Zeit für immer unhaltbarere Zustände gesorgt: Ertragsschäden von 50 – 85 % waren auf der Tagesordnung. Der Landwirt bewirtschaftet 73 ha Grünland und hält 100 Milchkühe im nördlichen Niedersachsen. Das Problem: Rund 50 ha seines Grünlandes liegt im Landschaftsschutzgebiet Rheiderland. Dort dürfen die Gänse zwischen dem 1.11. und dem 30.3. nicht gestört werden. Auch dadurch wurden die Gänse über die Jahre immer mehr zum Problem, und das aus mehreren Gründen:
- Die Zahl der Tiere nahm über die Jahre immer weiter zu.
- Die Rastzeiten dehnten sich immer weiter aus, begannen teils im September und endeten im April.
- Neben den Fraßschäden führte die Verkotung zu Ertragsverlusten von teilweise 85 %.
- Die Futterhygiene lies stark zu wünschen übrig.
Weil das Futter deshalb nicht mehr für seine Tiere reichte, musste Schulte vermehrt zufüttern und schaffte schließlich 2017 rund 100 Jungtiere ab. Auch die Ausgleichsmittel aus dem Landesprogramm „Nordische Gastvögel“ in Höhe von 235 €/ha jährlich reichten schon längst nicht mehr aus, um den Schaden zu decken.
Akustische Vergrämung verboten
Nachdem dem Landwirt eine akustische Vergrämung verboten wurde, wendete sich Schulte in seiner Verzweiflung im November 2019 mit Unterstützung seines Rechtsanwaltes und Fachanwalts für Agrarrecht Christian Teppe aus Uelzen an den Landkreis Leer und forderte Entschädigung. Grundlage war ein Gutachten der Landwirtschaftskammer Niedersachsen, die für die Jahre 2016 – 2019 auf einen Schaden von über 200.000 € kam. Abzüglich einer Zumutsbarkeitsgrenze von 25 % und abzüglich der Ausgleichszahlungen aus dem Programm „Nordische Gastvögel“ bereits erhaltenen Zahlungen von rund 11.000 € forderte er dann rund 109.000 € Entschädigung vom Landkreis Leer ein.
Doch der Kreis Leer wollte diese Argumentation nicht gelten lassen. Er wies darauf hin, dass eine vollständige Begutachtung der Flächen fehle und nicht nachgewiesen sei, dass die Reduzierung des Tierbestandes infolge der Gänsefraßschäden erfolgen musste. Darüber hinaus lägen die im Gutachten aufgezeigten Schäden noch im Rahmen dessen, was aufgrund der Sozialpflichtigkeit des Eigentums entschädigungslos hinzunehmen sei.
Doch das Niedersächsische Ministerium des Innern stellte sich auf die Seite von Landwirt Schulte und entschied:
- Der Landkreis Leer muss Landwirt Schulte für Gänsefraßschäden in den Jahren 2016-2019 auf seinem Grünland gut 75000 € erstatten.
- Die Entschädigung ist mit 2% über dem Basiszinssatz zu verzinsen.
- Landwirt Schulte muss 30 % der Verfahrenskosten übernehmen.
Rechtsanwalt Christian Teppe erklärt die rechtlichen Hintergründe: „Grundlage für die Entschädigung sind § 68 des Bundesnaturschutzgesetzes, § 42 des Niedersächsischen Naturschutzgesetzes und die Vorschriften des Niedersächsischen Enteignungsgesetzes.“ Gemeinsam mit seinem Mandanten argumentierte er, dass der Landwirt in den Ertragseinbußen sowie den sich daraus ergebenden Mehraufwendungen und wirtschaftlichen Nachteilen eine Belastung sehe, die eine Bewirtschaftung des Betriebes in bisherigem Umfang unmöglich mache, existenzgefährdend sei und das Maß des Zumutbaren weit übersteige.
Klagt der Kreis gegen den Beschluss?
Nun bleibt abzuwarten, ob der Kreis Leer den Beschluss des niedersächsischen Innenministeriums akzeptiert oder Klage dagegen einreicht. Rechtsanwalt Teppe hofft darauf, dass der Beschluss Bestand hat: „Bleibt es bei dem Beschluss, hätten weitere Landwirte mit Entschädigungsforderungen gute Aussichten auf Erfolg“, so seine Einschätzung.