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Strom nach Plan

Lesezeit: 8 Minuten

Immer mehr Direktvermarkter steuern die BHKW von Biogasanlagen nach Fahrplänen, die sich am Strompreis orientieren. Wie funktioniert das und welche Erfahrungen haben Praktiker gemacht?


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Ein typischer Start in den Tag: Johannes Gruber kommt auf das Gelände seiner Biogasanlage, da springt gerade das Blockheizkraftwerk (BHKW) wie von Geisterhand gesteuert an. Für den Landwirt aus dem bayerischen Reißing ist das nichts Neues: „Wahrscheinlich sind gerade die Strompreise hoch“, sagt er. Seit gut einem halben Jahr kümmert er sich nicht mehr um den BHKW-Betrieb, sondern hat damit den Dienstleister SK Verbundenergie (SKVE) aus Regensburg beauftragt. Dieser greift via Fernsteuerung auf die Motoren zu. „Wir haben für diese Anlage einen individuellen Fahrplan erstellt und produzieren Strom nur dann, wenn er stark nachgefragt und die Preise entsprechend hoch sind“, erklärt SKVE-Vorstand Christian Dorfner.


Der Fahrplanbetrieb ist eine relativ neue Form der Direktvermarktung. Möglich ist er nur für Biogasanlagen, die flexi-bel Strom produzieren können. „Damit sind Anlagen gemeint, die freie BHKW-Kapazitäten haben und auch bei der Wärmelieferung flexibel sind“, sagt der Experte.


Doppelte Überbauung ideal


Ideal dafür ist z.B. mindestens eine doppelte „Überbauung“, also eine installierte Leistung, die doppelt so hoch wie die Bemessungsleistung ist. Gruber hat beispielsweise drei BHKW mit insgesamt 820 kW installierter Leistung bei einer Bemessungsleistung von 440 kW. Außerdem muss auch der Gasspeicher eine längere Ruhezeit des BHKW abpuffern können. Zudem sollte ein Wärmepufferspeicher vorhanden sein, damit die Wärmelieferung nicht an die BHKW-Laufzeit gebunden ist.


Betreiber macht Vorgaben


Der Betreiber lässt dem Vermarkter zwar freie Hand, gibt aber einige Parameter vor:


  • Die Anzahl der Starts pro Tag: Das hängt vom Alter und der Technik der BHKW ab. „Moderne BHKW schaffen zwei Starts pro Tag und maximal 1000 im Jahr problemlos“, sagt Dorfner. Das deckt sich mit der Empfehlung der Interessengemeinschaft Biogasmotoren.
  • Die Mindestlaufzeit pro Start: Damit die Motoren keinen Schaden nehmen, sind 90, besser 120 Minuten sinnvoll. Auch hier kann der Betreiber seine Wünsche vorgeben. Das betrifft auch die Ruhezeit nach einem Stopp: Sie sollte mindestens 30 bis 60 Minuten lang sein. „In diese Zeit kann der Betreiber auch bestimmte Wartungsarbeiten legen wie z.B. einen Ölwechsel“, sagt Dorfner.
  • Wärmebedarf bzw. Eigenstromversorgung: Der Betreiber gibt an, wann er wie viel Wärme liefern will. Unter Umständen muss dafür ein BHKW im Grundlastbetrieb bleiben, um kontinuierlich Wärme liefern zu können. „In dem Fall würden wir dieses BHKW nicht im Start-Stopp-Betrieb schalten, sondern zwischen Teillast und Volllast wechseln“, sagt Dorfner.
  • BHKW-Priorität: Der Betreiber gibt vor, welches BHKW er bevorzugt einsetzen will. „Das ist meistens das neuere mit dem besseren elektrischen Wirkungsgrad“, erklärt Dorfner.
  • Füllstand bei Gasspeicher und Wärmepufferspeicher: Der Direktvermarkter bezieht beides ein. Der Landwirt gibt jedoch vor, in welchen Grenzen sich der Direktvermarkter bewegen darf. Das bedeutet: Sinkt der Füllstand unter einen gemeinsam definierten Wert ab, stellt der Vermarkter die Motoren ab. Füllt sich der Speicher bei ruhenden BHKW auf einen bestimmten Wert, startet der Vermarkter dagegen die Motoren erneut.
  • Bestimmte Termine: Liegt eine Wartung an, gibt der Betreiber das vor. Der Stromvermarkter sorgt dann dafür, dass der Gasspeicher zu Beginn der Wartung möglichst leer ist.


An diese Vorgaben muss sich die SKVE halten – unabhängig vom jeweiligen Börsenstrompreis. „Unsere Steuerung errechnet den Fahrplan mit diesen Daten automatisch und steuert dann das BHKW“, erklärt Dorfner. Den Strom vermarktet SKVE nicht selbst, sondern über die Wemag aus Schwerin (welche anderen Vermarkter und Fahrplankonzepte es gibt, erfahren Sie in unserer Marktübersicht ab S. 22)


Fahrplan für Sieben Tage


Den Fahrplan erstellt die SKVE sieben Tage im Voraus, die Steuerung passt diesen jedoch ständig aufgrund aktueller Entwicklungen an, z.B. an den jeweiligen Gasspeicherfüllstand. Hat die Steuerung z.B. eine Laufzeit von vier Stunden zu einer bestimmten Tageszeit als optimal ermittelt und ist danach noch mehr Gas im Speicher als dieser in der geplanten Ruhezeit aufnehmen kann, wird die BHKW-Laufzeit entsprechend verlängert. Diese kann sich ändern, wenn der Betreiber beispielsweise das Silo wechselt und Rohstoffe verarbeitet, die plötzlich mehr oder weniger Gas als erwartet produzieren. „Hierfür sollte die Anlage über gute Messsensoren verfügen“, rät der Experte.


Schlauchwaage für Speicher


Wenn ein Behälter mit 30 m Durchmesser beispielsweise nur mit einer einzelnen Schlauchwaage ausgestattet ist, ist das relativ ungenau. „Besser wären dann drei Schlauchwaagen, aber wir nehmen die Anlagen auch so, wie sie sind“, erläutert Dorfner.


Auch Landwirt Gruber nutzt diese Technik. Er hat einen Doppelmembranspeicher über dem Gärrestlager installiert. Mit 2300 m3 kann er für rund acht Stunden das Gas speichern, bevor das BHKW wieder anspringen muss. Von hier strömt das Gas in das BHKW. Die Schlauchwaage ist an der Außenseite der Innenmembran befestigt und misst den Speicherfüllstand kontinuierlich. Gewogen wird die Wassersäule im Schlauch, die sich mit dem Füllstand des Speichers verändert.


Für Gruber ist die Dienstleistung sehr praktisch. „Ich hätte gar nicht die Zeit, um ständig nach den Börsenpreisen zu schauen“, sagt er. Stattdessen kann er sich in Ruhe um die Anlage kümmern.


Der Fahrplanbetrieb sorgt dafür, dass der Anlagenbetreiber einen Mehrerlös gegenüber der üblichen EEG-Vergütung (Marktprämie) erhält. Dieser hängt vom Börsenstrompreis, Flexibilität der Anlage und Geschick des Vermarkters ab. „Er kann zwischen 0,5 bis über 2 ct pro Kilowattstunde elektrisch liegen“, sagt Dorfner. Davon abzuziehen sind die Kosten für den Vermarkter, der in der Regel 30 bis 40% des Mehrerlöses erhält. Unterm Strich kann bei einer 500 kW-Anlage also ein Plus von 15000 bis 25000 € jährlich übrig bleiben. „Das ist momentan noch ein kleines Zubrot, aber wir stehen erst ganz am Anfang der Entwicklung“, so der Experte.


Fahrplan und Wärmenetz


Die (noch) geringe Marge im Strommarkt zeigt auch, wie wichtig eine zusätzliche Wärmevermarktung ist. Hier sind Erlöse von 2 bis 4 ct/kWh (thermisch) plus der KWK-Bonus mit 2 bzw. 3 ct/kWh üblich.


Bei guter Planung können sich der Fahrplanbetrieb mit einer ausgeklügelten Wärmelieferung sogar optimal ergänzen, zeigt das Beispiel von Landwirt Martin Ott aus Ursheim (Mittelfranken, Bayern). Ott betreibt eine Biogasanlage mit 500 kW Bemessungsleistung, hat aber 1100 kW installiert. „Wir haben die Anlage in mehreren Schritten flexibilisiert“, erklärt er. Zu einem Gasspeicher über dem Endlager mit 1800 m3 hat er dafür zu den vorhandenen zwei BHKW mit 225 und 190 kW noch zwei BHKW mit 100 bzw. 550 kW ergänzt.


Eine Besonderheit: Die Biogasanlage versorgt ein Nahwärmenetz mit insgesamt 5,7 km Länge, an das mittlerweile knapp 100 Häuser angeschlossen sind. „Wir konnten das Nahwärmenetz um 40 Häuser ausweiten, weil wir die zusätzliche BHKW-Leistung installiert haben“, sagt er.


Damit er mehr Wärme verkaufen kann, aber trotzdem die Bemessungsleistung von 500 kW nicht überschreitet, reduziert Ott die Leistung im Sommer auf knapp 300 kW (thermisch). Entsprechend weniger Strom produziert er in dieser Zeit. Ab Oktober, wenn wieder mehr geheizt wird, fährt er die BHKW-Leistung entsprechend hoch und holt damit die Strommenge nach, die er im Sommer weniger produziert.


Trotz der Wärmelieferverpflichtung liefert er Strom bedarfsgerecht zu möglichst lukrativen Stunden. Die hohen täglichen Strompreise und die Wärmebedarfsspitzen sind bei ihm zeitlich fast identisch. Sein Stromvermarkter, die BayWa Clean Energy Sourcing, erstellt einen entsprechenden Fahrplan, wobei der Landwirt die Anzahl der täglichen Betriebsstunden und die Anzahl Starts pro Tag vorgibt. Dieser Fahrplan wird etwa einmal pro Woche je nach Wetterlage angepasst.


Ein BHKW im Dauerbetrieb


Hierbei fährt Ott ein BHKW im Dauerbetrieb, im Sommer eines der kleineren, im Winter das große. Damit er seine Wärmekunden kontinuierlich versorgen kann, hat er auch technisch vorgesorgt:


  • Jeder Wärmekunde hat in seinem Haus einen eigenen kleinen Pufferspeicher mit 1000 l, der die Hausheizung versorgt. Mit einer Vorlauftemperatur von 85°C heizt das Wärmenetz diese Pufferspeicher auf.
  • Zusätzlich hat Ott einen 25 m3 fassenden Pufferspeicher installiert. Dieser ist zwischen das Nahwärmenetz und alle vier BHKW geschaltet.
  • Zudem hat er ein Power-to-Heat-Modul mit 470 kW direkt an den Pufferspeicher angeschlossen. Das ist eine Art Tauchsieder, der über Strom direkt Wärme erzeugen kann. Mit dieser Technik kann er Strom aus dem Netz zum Heizen nehmen, wenn dieser günstig ist oder wenn der Netzbetreiber diesen gegen Entgelt abgibt (Regelleistung).
  • Um möglichst viel Wärme verkaufen zu können, heizt Ott den Fermenter seiner Biogasanlage nur dann, wenn die Nachtabsenkung in den Häusern aktiv ist und sie weniger Wärme benötigen.


Auch Ott erzielt auf dem Strommarkt mit rund 0,5 ct/kWh (elektrisch) deutlich weniger Mehrerlös als beim Wärmeverkauf. „Das hängt auch damit zusammen, dass viele Privathaushalte an das Nahwärmenetz angeschlossen sind“, erklärt der Landwirt. Diese benötigen auch am Wochenende Wärme. Sind dagegen mehr Schulen oder Gewerbebetriebe dabei, kann die Wärmelieferung am Wochenende reduziert werden – und damit auch die Stromproduktion. Das hat Vorteile, weil zu der Zeit die Strompreise niedrig sind.


„Viele Betreiber, die den Fahrplanbetrieb gewählt haben, handeln eher aus Überzeugung als aufgrund der Mehrerlöse. Denn diese sind noch nicht sehr hoch“, ergänzt Michael Völklein, der wie Ott Sprecher im Biogaspool Schwaben-Nord ist. Diesem gehören 400 Betreiber an, die Biogas flexibel erzeugen. Der bevorstehende Rückgang der Kohleverstromung und der Ausbau der Wind- und Solarenergie könnten aber große Auswirkungen auf den Strommarkt haben. Daher sind Völklein und Ott überzeugt: Der Strompreis wird künftig stärker schwanken – und damit die Chancen erhöhen, mit einer flexiblen Biogasanlage Geld zu verdienen.


hinrich.neumann@topagrar.com

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