Bergregionen werden immer häufiger für die Windenergie erschlossen- weltweit wird laut „Global Wind Energy Council“ etwa jede fünfte Anlage in Höhenlagen errichtet. Doch in diesen Regionen kommt es aufgrund der Geländestruktur zu unregelmäßigen Windströmungen und Luftverwirbelungen. Wie man auch an solchen Standorten Windkraftanlagen optimal betreiben kann, untersuchen Wissenschaftler des süddeutschen Windenergie-Forschungsclusters WindForS.
Dazu wollen sie ein Testfeld auf der Schwäbischen Alb errichten. Die Wissenschaftler aus Baden-Württemberg und Bayern streben dort zahlreiche technologische Verbesserungen an, z. B. leisere, leichtere und leistungsstärkere Rotoren. Dazu sind zwei Windenergieanlagen mit einer Nennleistung von jeweils rund 750 Kilowatt und einer Nabenhöhe von 75 Metern geplant. Ihr Rotordurchmesser beträgt 50 Meter, die Gesamthöhe damit 100 Meter. Vor und hinter jeder Anlage soll jeweils ein 100 Meter hoher Mast aufgestellt werden, an dem die Wissenschaftler meteorologische Parameter zeitlich hoch aufgelöst messen können, wie Geschwindigkeit und Richtung des Windes, Temperatur, Luftfeuchtigkeit sowie Luftdruck. Modernste Lasertechnik erfasst zudem die An- und Nachlaufströmung der Windenergieanlagen.
Teil des Vorhabens ist außerdem die Entwicklung und anschließende Erprobung einer neuartigen Betriebsführung, mit der die Anlagen intelligent und präziser als bislang auf sich ändernde Windverhältnisse reagieren können. Zum Einsatz kommen auch neue Verfahren des maschinellen Lernens. Damit werden Einspeise-Prognosen verbessert sowie Modelle für die Einbindung von Speichersystemen (u. a. Power-to-Gas, Batteriespeicher) im zukünftigen Energiesystem optimiert.
Zu den Alleinstellungsmerkmalen des Projekts zählt, dass die Wissenschaftler uneingeschränkten Zugriff auf die komplette Steuerungstechnik und die Konstruktionsdaten der Anlagen erhalten sollen, um deren Verhalten genauestens analysieren zu können. Schon bei ihrem Bau ist vorgesehen, die Windkraftanlagen mit Mess-Sensoren auszustatten – vom Fundament bis zu den Rotorblättern.
Das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) koordiniert das Projekt. Partner sind die Universität Stuttgart, die Technische Universität München, die Eberhard-Karls-Universität Tübingen, das Karlsruher Institut für Technologie und die Hochschule Esslingen.
„Der Standort bietet ideale Voraussetzungen für unsere Forschungen“, sagt Projektleiter Andreas Rettenmeier. Der vorherrschende Westwind werde über die Kante der vorgelagerten Geländesteilstufe beschleunigt und bilde unregelmäßige Strömungen und Turbulenzen. Zudem gebe in dem Gebiet eine hohe mittlere Jahreswindgeschwindigkeit. Diese Faktoren seien typisch für Windenergiestandorte in bergigem Gelände und ideal für die Entwicklung und Erprobung neuer Technologien. „Ein Windenergie-Testfeld in dieser Größe und in derartig komplexem Gelände ist weltweit einzigartig und sowohl für die Forschung als auch die Windenergiebranche ungemein wichtig. Die Ergebnisse unserer Analysen werden auf kommerzielle Großanlagen übertragbar sein und der Industrie neue Impulse liefern“, sagt Andreas Rettenmeier.