Sie sind Unternehmerinnen, ehrenamtlich Engagierte, Angestellte, Springerin, Mütter, Partnerinnen, Ehefrauen, Hofnachfolgerinnen, Schwestern und vieles mehr. In der Landwirtschaft wimmelt es von Frauen – in allen Bereichen. Trotzdem gibt es wenige Zahlen, die ihre Lebenswelt auch im wissenschaftlichen Kontext beleuchten. Um diesen blinden Fleck in der Datenlage zu begleichen, hat der Deutsche Landfrauenverband gemeinsam mit dem Thünen-Institut für Betriebswirtschaft und der Universität Göttingen eine Studie zur Lebens- und Arbeitssituation der Frauen in der Landwirtschaft in Deutschland ins Leben gerufen. Gefördert wurde die Untersuchung durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Die Ergebnisse stellten die beteiligten Wissenschaftlerinnen am vergangenen Donnerstag in einer hybriden Veranstaltung in Berlin vor.
Sie leisten viel Arbeit, sind aber nicht immer gut abgesichert: Wie es im Leben der Frauen in der Landwirtschaft aussieht, hat ein Team unserer Uni und vom @Thuenen_aktuell untersucht - mit Unterstützung des @bmelhttps://t.co/BqEp8z2y13 Foto: Anna Thiessen pic.twitter.com/20begyJf1b
— Uni Göttingen (@uniGoettingen) September 22, 2022
Frauen sollten sich aus ihrer Rolle befreien können
Ein Höhepunkt der Veranstaltung war die Podiumsdiskussion dazu, wie die Gleichstellung in der Landwirtschaft verbessert werden könne. Juliane Vees, erste Vizepräsidentin der Landfrauen, forderte, traditionelle Rollenbilder kritisch zu betrachten. Auch wenn viele Frauen die Rolle im Haushalt gerne erfüllen: Wenn sie es wollten, sollten sie die Möglichkeit haben, sich daraus zu befreien. Dafür sei es aber auch nötig, Frauen, die beispielsweise eine Putzhilfe bzw. Köchin einstellen oder die Arbeitskleidung in die Wäscherei geben, nicht kritisch zu beäugen. Daneben waren sich die Diskussionsteilnehmerinnen einig, dass Vorbilder, Netzwerke und Mentoring wichtigste Stellschrauben für das weitere Aufbrechen der Rollenbilder sind.
Auch die Absicherung der Frauen im Alter, nach dem Tod des Mannes oder nach einer Scheidung, war stark diskutiert. Anne Dirksen von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen erläuterte ihr Credo: „Lieber einen Tag unromantisch als ein Leben lang arm“, das im Laufe der Veranstaltung noch vielfach zitiert werden sollte. Die Studienergebnisse belegten auch, dass sich 30 % der Frauen im Alter schlecht abgesichert fühlen. Weitere 26 % wissen nicht, wie sie im Alter abgesichert sind. Das zeige auch, dass viele bestehende Beratungsangebote nicht wahrgenommen werden.
2020 arbeiteten 335400 Frauen in Deutschland in der Landwirtschaft
Nach den Grußworten von Landwirtschaftsminister Cem Özdemir und Landfrauen-Präsidentin Petra Bentkämper erläuterten Prof. Dr. Claudia Neu von der Universität Göttingen und Prof. Dr. Hiltrud Nieberg vom Thünen-Institut für Betriebswirtschaft das Vorgehen und die Hintergründe der Studie. Insgesamt umfasst sie die Ergebnisse von über 7000 Teilnehmerinnen aus allen Regionen, Altersklassen und Bereichen der Landwirtschaft.
Eines der ersten Themen war gleich ein wichtiges: Bei einem Fünftel der Teilnehmerinnen gab es Hinweise auf eine Burnout-Gefährdung, die Hälfte der Befragten gab an, unter Müdigkeit zu leiden. Daneben berichteten viele Frauen über ihre Sorgen zur Gesundheitsgefährdung in der Landwirtschaft. Themen wie Schwangerschaft und Mutterschutz oder der Umgang mit z.B. Gefahrenstoffen, die sich auf die Fruchtbarkeit auswirken, bewegten die Frauen auch in den Einzelinterviews und Gruppen-Workshops, die im Rahmen der Studie stattfanden.
Janna Luisa Pieper von der Universität Göttingen berichtete in einem vertiefenden Einblick in die Studienergebnisse zudem vom schwierigen Wiedereinstieg ins Berufsleben für Frauen mit Kindern. Doch schon im Vorfeld sei die Frage „Kinder oder Kühe?“ vor allem für Betriebsleiterinnen relevant. Viele fänden keine Vertretung für die Zeit im Mutterschutz. Das mache die Karriere für Frauen teurer als für Männer. Auch Dr. Susanne Padel vom Thünen-Institut führte an, dass Frauen, die sich zusätzlich zu einer vollen Stelle im Betrieb um Kinder, Senioren und Haushalt kümmern müssen, nicht dieselbe Leistung wie die Männer erbringen können. Dennoch habe sich in der Untersuchung auch gezeigt, dass viele Frauen die Vielfalt der Rollen und ihre Springerposition nur als wenig belastend wahrnehmen.
Im Haushalt tätig sind 83 % der befragten Frauen. 72 % gaben zudem an, an strategischen unternehmerischen Entscheidungen beteiligt zu sein. Für Buchhaltung, Finanzen und Büro waren 62 % der befragten Frauen verantwortlich.
Die kompletten Studienergebnisse werden voraussichtlich zum Jahresende veröffentlicht.