Das EU-Parlament ist bei der Frage, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln einzuschränken, extrem gespalten. Ein von Sarah Wiener (Grüne) ausgehandelte Kompromiss zur EU-Verordnung über den nachhaltigen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln (sustainable use regulation, SUR) hat am Dienstag im Umweltausschuss eine klare Mehrheit von 47 zu 37 Stimmen bei zwei Enthaltungen bekommen.
Für die Berichterstatterin Wiener ist dieses Ergebnis ein Erfolg. Sie hat in vielen Verhandlungsrunden um gemeinsamen Linien mit den politischen Gruppen im Europaparlament gerungen.
Wieners Ziel: Den Einsatz chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel stark reduzieren. Auf den ersten Blick kommt sie ihrem Ziel mit diesem Abstimmungsergebnis einen Schritt näher. Eine Mehrheit aus linken, sozialdemokratischen, grünen und liberalen Abgeordneten folgt ihr dabei.
“Der Umweltausschuss hat sich heute für eine Pestizidverordnung eingesetzt, die den Schutz von Biodiversität und öffentlicher Gesundheit in den Vordergrund stellt. Es ist sehr erfreulich, dass wir uns in einer ideologisch aufgeladenen und industriedominierten Diskussion auf praxistaugliche Kompromisse einigen konnten“, freute sich Wiener am Dienstagnachmittag in Brüssel.
Sozialdemokraten und Liberale mit internen Rissen
Ein in Teilen gegensätzlicher Antrag zur SUR bekam jedoch vor wenigen Wochen im Agrarausschuss des Europaparlamentes ebenfalls eine klare Mehrheit von 26 zu 9 Stimmen bei drei Enthaltungen.
So stimmten etwa alle Sozialdemokraten im Agrarausschuss dafür, die SUR deutlich abzuschwächen, im Umweltausschuss folgen die Sozialdemokraten hingegen geschlossen Wieners Linie. Eine gleiches Bild zeigt die liberale Renew-Gruppe (u.a. FDP und Freie Wähler).
Im Umweltausschuss stimmte lediglich der deutsche FDP-Abgeordnete Andreas Glück gegen Wieners Pläne, die restlichen Umweltpolitiker der Renew befürworten Wieners Kompromissvorschläge.
Liese glaubt an neue Mehrheiten im Plenum
Das bringt Peter Liese, EU-Abgeordneter der CDU/EVP für Südwestfalen zu dem Schluss, dass das letzte Wort zum Pflanzenschutz noch nicht gesprochen ist. Denn Ende November müssen alle Mitglieder des EU-Parlamentes über ihre finale Position zum Pflanzenschutz abstimmen.
„Ich gehe davon aus, dass wir im Plenum andere Mehrheiten haben werden. Gerade was die liberale Renew-Fraktion und die sozialdemokratische Fraktion angeht, sind die Mitglieder des Umweltausschusses nicht repräsentativ für das gesamte Plenum“, sagte Liese am Dienstagnachmittag gegenüber top agrar.
Lins: „Wiener provoziert Zwangsumstellung“
Der Vorsitzende des Agrarausschusses im Europaparlament Norbert Lins (CDU/EVP) wirft Wiener vor: „Gemeinsam mit der ökopopulistischen Mehrheit im Umweltausschuss provoziert Sarah Wiener durch die Totalverbote in Schutzgebieten eine quasi Zwangsumstellung vieler Landwirtschaftsbetriebe auf Ökolandbau.“
Diesen Vorwurf wies Wiener vor Journalisten in Brüssel klar zurück. Es sei vielmehr die „Hybris der EVP“, die gute Kompromisse verhindere, so Wiener.
Umweltverbände loben Umweltausschuss
Die Zustimmung zu Wieners Pflanzenschutzkompromissen beschreibt der NABU bei X (ehemals Twitter) als „gute Nachricht“. Das Pestizid Aktionsnetzwerk (PAN) spricht von einem „wichtigen Schritt, um Pestizide in Europa zu reduzieren“.
🥳 Good news: @EU_ENVI stimmt für die neue EU-Pestizidverordnung #SUR (47 👍, 37 👎)!
— NABU 🦤 (@NABU_de) October 24, 2023
U.a. gibt es wichtige Kompromisse zu sensiblen Gebieten u. integriertem Pflanzenschutz, aber auch Defizite.
Dennoch: ein starkes Signal 💪 für die Abstimmung im EU-Parlament im November! pic.twitter.com/QnpT39ohO8
„Den Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide zu reduzieren sollte die Priorität aller Politiker sein, die sich um Landwirte kümmern“, meint Eduardo Cuoco, Geschäftsführer von IFOAM-Europe, der Dachorganisation der europäischen Bio-Verbände.
Bauernverband warnt vor Wettbewerbsverzerrungen
Der Deutsche Bauernverband (DBV) warnt vor den Ausnahmen, die Wiener den Mitgliedstaaten einräumen will. „Die Festlegung, was ein sensibles Gebiet sei, soll auf Ebene der Mitgliedstaaten festgelegt werden. Nach Einschätzung des DBV wird dies durch Unterschiede in der Ausweisung zu einer Verschärfung der Wettbewerbsverzerrungen führen“, heißt es vom DBV.
Raiffeisenverband: „bürokratisches Chaos“
Auch der Brüsseler Büroleiter und Geschäftsführer des Deutschen Raiffeisenverband (DRV) Dr. Thomas Memmert glaubt nicht, dass die von Wiener angekündigten Ausnahmeregelungen Landwirten helfen werden. „Die Ausweisung der sensiblen Gebiete in Kombination mit den anvisierten Ausnahmeregelungen stürzt die Genehmigungsbehörden ins bürokratische Chaos und die Anwender in die Resignation“, sagte er am Dienstag in Brüssel.
Geschäftsführer Dr. Thomas Memmert beurteilt die Positionierung des #ENVI zur #SUR als realitätsfern. Er appelliert an die Abgeordneten und die Agrarminister, die Position des Umweltausschusses abzulehnen und sich für praxisgerechte Lösungen einzusetzen. pic.twitter.com/K5LPtdbALC
— Deutscher Raiffeisenverband (@Raiffeisen_DRV) October 24, 2023