Der Präsident des Bioland-Verbands Jan Plagge fordert Erzeugerpreise, die sich an den Produktionskosten orientieren. top agrar hat nachgehakt, wie das genau funktionieren soll.
Herr Plagge, Sie fordern für deutsche Biolandwirtschaft Orientierungspreise. Was stört Sie an der derzeitigen Preisfindung auf den Agrarmärkten?
Plagge: Das größte Problem ist, dass die Landwirte ihre Marktpreise nicht beeinflussen können und systematisch unter ihren Produktionskosten verkaufen müssen. Das ist ein grundsätzliches Ungleichgewicht, das seit Jahren besteht und auch für konventionelle Betriebe gilt. Besonders kritisch wird es, wenn die Landwirte in Tierwohl, Klimaschutz und Biodiversität investieren sollen, was die Produktionskosten weiter erhöht. Hier versagt der Markt, sozial und ökologisch. Mit den aktuellen Marktmechanismen wird sich dies nicht von allein ausgleichen und die Abhängigkeit von staatlichen Subventionen kann auf Dauer keine Lösung sein.
Wie wollen Sie die kostendeckenden Erzeugerpreise erreichen?
Plagge: Es geht nicht um Mindestpreise, sondern um Orientierungspreise, die auf transparenten Berechnungen basieren. Bei Bioland haben wir eine Mehrwertsicherungsrichtlinie eingeführt, die festlegt, dass alle Akteure in der Wertschöpfungskette Verantwortung für kostendeckende Erzeuger-Preise übernehmen sollen. Auf Basis der Daten des Thünen-Institut und des KTBL haben wir eine Methode entwickelt, die Vollkosten für nachhaltige Produktion nachvollziehbar und plausibel kalkuliert. Diese Orientierungspreise müssen durch Branchenlösungen verbindlich gemacht werden, damit alle Akteure – vom Landwirt bis zum Handel – an einem Strang ziehen.
Wie sollen solche Branchenlösungen in einem unübersichtlichen Markt durchgesetzt werden?
Plagge: Wir setzen auf Kooperation. Ein einzelner Händler würde sich mit fairen vollkostendeckenden Erzeugerpreisen ein Eigentor schießen, weil durch die bestehenden Marktmechanismen selbstverständlich der Günstigste gewinnt. Deshalb braucht es eine gemeinsame Branchenlösung. Diese sollte auf Transparenz basieren und über alle Verhandlungsstufen hinweg durchgesetzt werden. Solche Ansätze gibt es ja bereits, wie bei der Initiative Tierwohl (ITW) – darauf können wir aufbauen.
Ohne Branchenlösung gewinnt immer der Günstigste!
Bei ITW sind die Zuschläge vergleichsweise klein. Glauben Sie, dass solche Absprachen mit deutlich höheren Preisen wie bei Bio kartellrechtlich überhaupt Bestand haben?
Plagge: Ja, denn Artikel 210a der GMO-Verordnung schafft eine rechtliche Grundlage für solche Nachhaltigkeitsvereinbarungen. Ziel ist es ja nicht, Preise künstlich in die Höhe zu treiben, sondern die Kosten einer nachhaltigeren Produktion abzusichern. Die EU-Kommission unterstützt solche Maßnahmen ausdrücklich und arbeitet daran, die rechtliche Sicherheit weiter zu verbessern. Natürlich muss man das im Einzelfall gut begründen und mit den Behörden abstimmen, aber das ist lösbar.
Die Biobranche öffnete sich in den letzten Jahren zunehmend für Discounter und große Handelsketten, wodurch der Preisdruck offenbar zugenommen hat. Rächt sich dieser Schritt nun?
Plagge: Das sehe ich nicht so. Die Öffnung war notwendig, um den Markt zu vergrößern. Die aktuellen Probleme liegen nicht an den Discountern, sondern daran, dass keine verbindlichen Vereinbarungen für kostendeckende Preise bestehen. Der Handel erkennt die Dringlichkeit, handelt aber nicht geschlossen. Das zeigt, wie wichtig eine Branchenlösung ist.
Reduzierte Mehrwertsteuer für Bio
Wenn Verbraucherpreise durch solche Maßnahmen steigen, könnte das die Nachfrage dämpfen – vor allem in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Ist das der richtige Zeitpunkt für diese Forderung?
Plagge: Ich verstehe die Sorge, aber diese Transformation ist unumgänglich. Wir müssen den Verbrauchern zeigen, dass nachhaltig produzierte Lebensmittel wirklich zu kostendeckenden Preisen produziert werden. Transparenz und klare Regeln schaffen Vertrauen. Es darf nicht länger von individuellen Verbraucherentscheidungen abhängen, ob wir eine nachhaltige Landwirtschaft erhalten. Wir müssen es dem Verbraucher einfach machen, sich für nachhaltige Produkte zu entscheiden. Einen zusätzlichen Anreiz könnte man bieten, indem man besonders nachhaltig produzierte Lebensmittel mit anderen Instrumenten wie zum Beispiel einer reduzierten Mehrwertsteuer für Verbraucher wieder günstiger macht. Das wäre letztlich auch logisch, weil die Folgekosten hier geringer sind.
Mit dieser Branchenlösung nehmen Sie den Verbrauchern letztlich die Wahlmöglichkeit. Das kommt nicht überall gut an?
Plagge: Es soll und wird ja weiter eine breite Auswahl an unterschiedlichen Produkten und Qualitäten geben – aber ob ein nachhaltiges Produkt auch nachhaltig kostendeckend produziert wurde, kann ein Verbraucher aktuell doch gar nicht erkennen. Warum stören uns gesetzlich festgeschriebene Mindestpreise beispielsweise bei Rechtsanwaltsgebühren gar nicht? Aber bei Lebensmitteln soll es unmöglich sein?Unstrittig ist doch, dass wir die Landwirtschaft kreislauforientiert und den lokalen Ökosystemen angepasst umbauen müssen und das im Rahmen der planetaren Grenzen. Das können wir nicht allein den Verbrauchern überlassen. Das ist ja das Dilemma, in dem viele Bäuerinnen und Bauern stecken. Sie können langfristige Investitionen nicht von der Laune der Verbraucher an der Ladentheke abhängig machen. Und da dreht sich die ganze Debatte seit Jahren im Kreis.
Sie können langfristige Investitionen nicht von der Laune der Verbraucher an der Ladentheke abhängig machen.
Haben Sie die gesamte Biobranche mit ihren Forderungen hinter sich?
Plagge: Die Zielsetzung, dass gehandelt werden muss, wird von fast allen geteilt. Es gibt allerdings unterschiedliche Ansichten über konkrete Schritte, zum Beispiel zur Mengenregulierung. Wir müssen pragmatisch vorgehen und schrittweise Lösungen erarbeiten, auch wenn diese nicht von Anfang an perfekt sind. Entscheidend ist, dass wir endlich anfangen.
Sehen Sie eine Chance, mit öffentlichen Geldern den Bio-Marktanteil zu fördern?
Plagge: Ja, die öffentliche Hand spielt eine wichtige Rolle. Die Empfehlungen des strategischen Dialogs und der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) sehen vor, „gesellschaftlich notwendige Umweltleistungen einkommenswirksam zu honorieren“. Das heißt übersetzt: Mit jedem Euro, der fließt, verringert sich die Preislücke zwischen gesetzlichen Basisniveau und den höheren Nachhaltigkeitsstufen. Das entlastet den Markt und macht nachhaltige Produkte für Verbraucher zumindest erschwinglicher.
Landwirtschaftsmodell am Ende?
Was passiert, wenn alle Bemühungen scheitern und weiterhin allein die Marktwirtschaft entscheidet?
Plagge: Dann wird sich die gesamte Landwirtschaft in eine Richtung entwickeln, die wir uns alle nicht wünschen. Dann werden noch viel mehr Betriebe das Handtuch werfen. Dann wird es immer schwerer sein, einen bäuerlichen Familienbetrieb in die nächste Generation zu überführen. Und dann ist auch unser diverses europäisches Landwirtschaftsmodell am Ende. Um das zu verhindern, brauchen wir eine sozial-ökologische Marktwirtschaft mit weiterentwickelten Regeln. Die Empfehlungen der ZKL und des strategischen Dialogs auf EU Ebene bieten dafür eine gute Grundlage.