Nun ist es quasi amtlich: Auch nach der offiziellen Schätzung des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL) ist die Ernte 2023 bestenfalls mittelprächtig, mit deutlich größeren regionalen Ertrags- und Qualitätsschwankungen als in anderen Jahren.
Nach dem heute von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir vorgestellten ersten vorläufigen Ernteergebnis aus der Besonderen Ernte- und Qualitätsermittlung für 2023 wird die Getreideernte (ohne Körnermais) rund 38 Mio. t erreichen und damit in diesem Jahr um 4,1 % kleiner als im Vorjahr ausfallen. Gegenüber dem sechsjährigen Durchschnitt ergibt sich eine Abnahme um 2,1 %.
Nur in den drei Bundesländern Nordrhein-Westfalen (+7,8 %), Sachsen-Anhalt (+1,8 %), und Sachsen (+1,1 %) wurde demnach der mehrjährige Vergleich übertroffen. Den stärksten Rückgang haben das Saarland (-9,9 %), Brandenburg (-9,6 %) und Hessen (-7,9 %) zu verbuchen.
Korrekturen bei Ernteschätzung wahrscheinlich
Das BMEL weist allerdings darauf hin, dass in der amtlichen Ertragsermittlung noch nicht alle witterungsbedingten Einflüsse aus diesem Sommer berücksichtigt sind. Teilweise wurde ein nennenswerter Anteil der Probeschnitte bereits vor der langanhaltenden Regenperiode vorgenommen. Des Weiteren liegen – abgesehen von der Wintergerste – auch erst vergleichsweise wenig Druschergebnisse vor. Gegenüber den jetzt vorliegenden Angaben werde es daher beim zweiten vorläufigen und beim endgültigen Ergebnis stellenweise zu größeren Abweichungen kommen können, als dies in den vergangenen Jahren der Fall war, betont das Agrarressort.
Wohl 6 Prozent weniger Winterweizen
Dies vorausgesetzt, soll die Erntemenge an Winterweizen voraussichtlich 20,8 Mio. t erreichen. Im Vergleich zum Vorjahr wäre das eine Abnahme um 6,0 %. Das Ergebnis bleibt um 5,2 % hinter dem mehrjährigen Durchschnitt zurück. Die Anbaufläche verringerte sich gegenüber dem Vorjahr leicht um 2,7 % auf 2,81 Mio. ha. Im Durchschnitt liegt der Hektarertrag bei 73,9 Dezitonnen und damit 3,4 % unter dem Vorjahr.
Die Winterrapsernte 2023 fällt, ausgehend von den aktuell vorliegenden Zahlen, mit voraussichtlich fast 4,2 Mio. t zufriedenstellend aus. Gegenüber dem sehr starken Vorjahr bedeutet dies einen Mengenrückgang um 3 %. Im Vergleich zum Durchschnitt der Jahre 2017 bis 2022 sind es 13 % mehr.
Özdemir: Können mit der Ernte zufrieden sein
Bei der Vorstellung der vorläufigen Ernteergebnisse stellte Özdemir fest, dass sich die deutschen Landwirte in diesem Jahr mit außergewöhnlichen Witterungsbedingungen konfrontiert sahen. Die hätten sowohl die Anbau- als auch Erntebedingungen zu einer Herausforderung gemacht. Vor diesem Hintergrund stellte der Bundesminister Özdemir klar, dass der Berufsstand in den letzten Wochen Großes geleistet habe: „Sie haben dafür gesorgt, dass die Speicher in Deutschland insgesamt gut gefüllt sind, obwohl sie je nach Region und Anbaukultur mit teils enormen wetterbedingten Herausforderungen zu kämpfen hatten. Alles in allem können wir zufrieden sein mit der Ernte.“
Landwirtschaft klimafest machen
Gleichwohl meint Özdemir, dass der fortschreitende Klimawandel und zunehmendes Extremwetter die Ernten immer stärker zu einem Lotteriespiel machen. Extrem sei das neue normal. Das stelle die Betriebe vor ein Problem und könne sich künftig auch auf die Märkte auswirken. Daraus zieht der Grünen-Politiker die Lehre: „Wir müssen die Landwirtschaft gemeinsam klimafest machen, damit wir auch in 20, 30 oder 50 Jahren sichere Ernten einfahren.“ Wer glaubt, man könnte später mit Klimaschutz und Klimafolgenanpassung anfangen, vertritt jedenfalls nach seiner Auffassung nicht die Interessen der deutschen Landwirtschaft. Dazu zählt Özdemir auch „kurzfristige Erntemaximierungen“, die zulasten der natürlichen Ressourcen gehen und damit langfristig die Versorgungssicherheit gefährden.
Raiffeisenverband: Unternehmen professionell, Straßen und Brücken katastrophal
Der Deutsche Raiffeisenverband (DRV) sieht sich vom BMEL in seiner eigenen Ernteprognose bestätigt. „Wir gehen von einer knapp durchschnittlichen Getreideernte in Höhe von rund 42 Millionen Tonnen und einer Rapsernte auf Vorjahresniveau aus. Die heute vom Ministerium veröffentlichten Zahlen weichen minimal ab“, so DRV-Getreidemarktexperte Guido Seedler. Auch nach seiner Einschätzungen haben die Unternehmen Mengen und Qualitäten professionell gesichert und damit einen wichtigen Beitrag zur Versorgung geleistet.
Laut Seedler bereiten der „katastrophale Zustand deutscher Straßen und Brücken“ jedoch nicht nur den Landwirten, sondern auch den nachgelagerten Ebenen große Probleme, was letztlich auch der Versorgungssicherheit schaden kann. Er fordert deshalb: „Die Politik muss die Probleme endlich anpacken.“. Ferner müssten die Knotenpunkte zwischen Straße, Schiene und Wasser schneller ausgebaut werden, damit bei Niedrigwasserständen leichter vom Schiff auf Schiene oder Straße gewechselt werden kann.