Eine solche Vollbremsung haben die wenigsten Marktbeobachter und Milcherzeuger für möglich gehalten: Die Anfang 2023 bereits vorhergesagten schwächeren Tendenzen am internationalen Milchmarkt sind in vielen Regionen der Welt noch heftiger ausgefallen als erwartet. So sanken die Erzeugerpreise in Deutschland bis Mai im Bundesmittel auf 43,32 Cent/kg (3,4 % Eiweiß, 4,0 % Fett). Das waren 16,73 Cent/kg weniger als im Rekordmonat November 2022.
Die seitdem sinkenden Milchpreise haben die Erzeuger allerdings nicht dazu veranlasst, die Milchproduktion zu drosseln. Stattdessen stieg die erzeugte Menge in den ersten fünf Monaten im Vergleich zum Vorjahr weiter an und lag 2,2 % über dem Vorjahreszeitraum. International sah diese Entwicklung oft nicht anders aus.
Nachfrage ausgebremst
Zusätzlich zum großen Angebot sank die Nachfrage nach Milcherzeugnissen inflationsbedingt sowohl am Weltmarkt als auch hierzulande, sodass sich die Stimmung am Milchmarkt rapide abkühlte. Die Importe entscheidender asiatischer Länder gingen in der Folge stark zurück.
Entscheidend für die weitere Entwicklung der Erzeugerpreise wird daher die Rohstoffanlieferung sein. Global wird nun eine Produktionssteigerung von 1,1 % erwartet, was gegenüber der letzten Schätzung einem Plus von 0,2 % entspräche. Die fünf größten Importeure der Welt werden laut der jüngsten Analyse des USDA insgesamt eine stabile Milchanlieferung für 2023 erreichen (siehe Übersicht):
- Für die EU geht das USDA von einer nahezu unveränderten Milchproduktion in Höhe von 144 Mio. t aus. Die Milchanlieferung lag zwar in den ersten fünf Monaten über Vorjahresniveau, aber der Abbau der Kuhzahlen dürfte die Erzeugung in der zweiten Jahreshälfte stärker ausbremsen. Insbesondere in den Niederlanden wird ein deutlicher Rückgang wegen der Begrenzung der Stickstoffemissionen erwartet. Viele europäische Milchviehhalter stecken in einer Zwickmühle, da größere Investitionen für den Umbau der Milchviehhaltung notwendig sind, sagt das USDA. Durch die niedrigen Milcherzeugerpreise und höheren Kosten für Futter, Energie und Arbeitskräfte werden verstärkt kleinere und mittlere Milchviehhalter besonders in Spanien, Frankreich, Deutschland und Polen aus der Produktion aussteigen.
- Für die USA erwarten die Washingtoner Marktanalysten trotz deutlicher Einbrüche am Exportmarkt weiterhin einen moderaten Anstieg der Milchproduktion. Bis Mai 2023 waren die US-Ausfuhren nach Südostasien im Vorjahresvergleich zwar um ein Drittel gefallen. Durch neue Handelsabkommen erwarten die Analysten allerdings verbesserte Exportmöglichkeiten in diese Region.
- In Südamerika zeichnet sich dagegen ein Rückgang der Milchmenge ab: Für Argentinien erwarten die Analysten statt einer Erholung nun ein Minus von 3 %. Die Hintergründe sind die anhaltende Trockenheit und der schwache Peso. Durch die Abwertung der dortigen Währung ist der Milchpreis um fast 80 % gestiegen.
- Wichtiger für den Weltmarkt ist die Entwicklung auf der anderen Seite der Südhalbkugel: In Neuseeland haben gute Wachstumsbedingungen für das Grünland die Milchproduktion in den ersten fünf Monaten des Jahres um 3 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum steigen lassen. Auch die weiteren Wetterprognosen versprechen hervorragende Produktionsbedingungen. Das USDA revidiert seine frühere Prognose daher und erwartet nun für 2023 sogar 2 % mehr neuseeländische Milch als im Vorjahr. Die dortigen Farmer sehen sich allerdings auch mit geringeren Milchpreisen und steigenden Kosten konfrontiert, was das Plus etwas bremst.
- Dagegen sorgen in Australien Arbeitskräftemangel, eine verregnete Heuernte und der Umstieg von der Milchviehhaltung zur lukrativeren Rindermast für ein Minus bei der erwarteten Milchmenge. Die Milcherzeugung auf dem roten Kontinent könnte 4 % kleiner ausfallen als im Vorjahr.
China setzt auf Pulver
Vor allem aus Ozeanien wird traditionell viel Milchpulver Richtung China exportiert. Das könnte sich künftig ändern: Die US-Marktanalysten rechnen weiterhin mit einer deutlichen Steigerung der Milcherzeugung in China.
In der Juli-Prognose wird ein Ausbau von 4,6 % auf rund 41 Mio. t für 2023 erwartet, was die Abhängigkeit von Importen, auch aus der EU, weiter reduzieren wird – für den hiesigen Milchmarkt keine gute Prognose. Aufgrund des steigenden Rohstoffangebotes steigt auch die chinesische Inlandserzeugung von Milchprodukten. Das gilt insbesondere für die Herstellung von Vollmilchpulver, die in Folge des wachsenden Milchangebots zusätzlich staatlich subventioniert wird. Allein beim Pulver gingen die Importe um 34 % im Vergleich zum Vorjahr zurück.
Die zuvor florierenden Butterimporte Chinas werden im laufenden Jahr um etwa 12 % geringer ausfallen, glauben die Washingtoner Analysten, da hohe Preise die Nachfrage bremsen. Aufgrund geringer Produktionskapazitäten in China wird von einer stabilen Butter- und Käseproduktion ausgegangen.
Vorsichtig optimistisch
Das USDA erwartet für die EU eine Steigerung der Butter- und Magermilchpulverexporte um 5 % bzw. 13 %. Die Steigerung beim Käse fällt dabei, trotz vergleichsweise guter Erlösmöglichkeiten, mit 1 % vergleichsweise gering aus. Voraussichtlich bleiben allerdings die Importe entscheidender Nationen hinter den Erwartungen zurück und das Milchangebot ist nicht nur hierzulande groß.
Denn die Teuerungsraten waren zuletzt zwar rückläufig, doch sehen Marktforscher bislang keine wirkliche Entspannung. Daher ist auch für die kommenden Monate mit einer Kaufzurückhaltung zu rechnen.
Die weitere Entwicklung der Milchpreise hängt also vor allem von der Erholung der Weltwirtschaft mit einer Steigerung der Kaufkraft sowie dem globalen Milchaufkommen ab. Die jüngsten positiven Entwicklungen am Exportmarkt und der gute Käsepreis sind aber Gründe für eine Stabilisierung der Preise.