Verfolgt man die zahlreichen Schätzungen zur weltweiten Getreideernte 2023/24, könnte man meinen: Die Preise müssten doch eigentlich längst steigen. Von kleinen Erntemengen und schrumpfenden Reserven ist seit Monaten die Rede, die Fragezeichen beim Export der Ukraine werden nicht weniger. Und auf der Südhalbkugel schlägt das Wetterphänomen „El Niño“ wieder zu.
Trotzdem kommt es an den internationalen Märkten bislang nicht zu einem Kursanstieg. Seit Ende August 2023 pendeln die Weizenkurse z. B. an der Pariser Börse Matif zwischen 230 und 240 €/t; die Erzeugerpreise, z. B. für B-Weizen, halten sich zäh zwischen 210 und 225 €/t.
Große Chancen auf eine echte Erholung der schwächelnden Kurse im auslaufenden Jahr sehen Marktbeobachter derzeit nicht mehr: „Der Markt lauert auf eine positive Trendwende“, ist verbreitet zu hören. Aber wann kommt diese, und wie sollten heimische Getreideerzeuger die Vermarktung ihrer Ernten angehen?
Die Reserven schrumpfen
Eine schnelle Wende zum deutlich Besseren scheint allerdings wenig wahrscheinlich: Nach dem jüngsten Monatsbericht des US-Landwirtschaftsministeriums (USDA) zum weltweiten Getreidemarkt gerieten die Börsenkurse für Weizen und Mais jedenfalls deutlich unter Druck. Insbesondere die Aussicht auf eine mit rund 1,22 Mrd. t (Vorjahr: 1,16 Mrd. t) noch größere globale Maisernte 2023/24 belastete. Dagegen half auch die erneut reduzierte Weltweizenernte wenig, die das USDA nun auf rund 782 Mio. t schätzt, gegenüber 789 Mio. t im Vorjahr.
Allerdings soll auch der globale Getreideverbrauch weiter steigen, sodass die weltweiten Endbestände weiter schrumpfen dürften. Der Internationale Getreiderat (IGC) geht inzwischen davon aus, dass die Reserven 2023/24 auf den niedrigsten Wert seit neun Jahren sinken könnten.
Weniger Weizen im Süden
Daher verwundert es kaum, dass Marktteilnehmer derzeit mit Sorgen auf die wichtigen Anbaugebiete der Südhalbkugel blicken:
In Argentinien, das zu den fünf größten Exportländern für Mais, Gerste und Sorghum sowie zu den Top-10 der Weizenexporteure zählt, reduzierten Analysten die Ernteerwartungen zuletzt weiter. Die Getreidebörse Buenos Aires senkte ihre Prognose für die Weizenernte in der Saison 2023/24 um knapp 2 auf 15,4 Mio. t ab. Für die gesamte Getreideernte (Mais, Weizen, Gerste und Sorghum) 2023/24 wurden zuletzt nur noch gut 75 Mio. t erwartet – 4 Mio. t. weniger als bei der letzten USDA-Schätzung Mitte Oktober.
In Australien leiden die Farmer nach zwei Rekordernten in diesem Jahr wieder unter Trockenheit, verursacht durch das Wetterphänomen „El Niño“. Die Weizenernte in Down Under könnte 2023/24 mit nur noch 26 Mio. t rund 14 Mio. t kleiner ausfallen als im Rekord-Vorjahr.
EU-Weizenexporte zu teuer?
Für den heimischen Markt entscheidend bleiben weiterhin die günstigeren Getreideexporte aus der Schwarzmeerregion. Die Ukraine hat zwar mit gut 22 Mio. t rund ein Drittel weniger Weizen geerntet als 2022, und die Exporte bleiben mit gut 8 Mio. t bislang ebenfalls um etwa ein Drittel hinter dem Vorjahr zurück. Wie stark der Weltmarkt aber auf die Lieferungen aus Osteuropa setzt, zeigte zuletzt allein schon die Reaktion auf einen russischen Angriff auf ein Handelsschiff: Prompt zogen die Kurse zeitweise an.
Die europäischen Weizenexporte sind dagegen deutlich rückläufig: Von Juli bis Oktober 2023 sind die Ausfuhren gegenüber dem Vorjahr um rund ein Viertel auf unter 10 Mio. t gesunken. Dabei tritt neben den üblichen Abnehmern in Nordafrika und im Nahen Osten ein neuer Käufer auf dem Weltmarkt in Erscheinung: China als weltgrößter Weizenverbraucher kauft nach einer schlechten Inlandsernte auf dem Weltmarkt ein. Im Oktober bestellte Peking rund 2 Mio. t australischen Weizen für Lieferungen ab Dezember. In Europa profitiert vor allem Frankreich. Dort hat China offenbar seit September rund 2,5 Mio. t Weizen eingekauft.
Deutschland spielt für die chinesischen Importeure keine Rolle, da hiesige Anbieter derzeit nicht genügend Ware mit den gewünschten hohen Proteinwerten bereitstellen können.
agrarfax-Meinung: Abwarten!
Die weltweite Weizenbilanz 2023/24 fällt eigentlich nicht allzu üppig aus. Günstige Exporte vom Schwarzen Meer drücken aber auf den Kassamarkt und die Preise bei uns. Zudem sind viele heimische Mühlen bis Jahresende weitgehend mit Brotweizen versorgt. Auch das Angebot an Futtergetreide ist mehr als umfangreich. Daher sehen wir kurzfristig wenig Chancen auf steigende Preise. Wer warten kann, sollte die Marktentwicklung genau beobachten und die Vermarktung weiterer Teilmengen eventuell aufschieben.