Die aktuelle Krisensituation wird nach Einschätzung von Kultur- und Agrarwissenschaftler Prof. Gunther Hirschfelder von der Universität Regensburg den Verzehr von Ökolebensmitteln nachhaltig beeinträchtigen. „Zunächst werden viele das Gefühl haben, dass Ökolebensmittel zu teuer sind“, stellte Hirschfelder im Interview mit AGRA-EUROPE fest. Das werde die Ökoerzeuger schwächen und zum Teil auch bedrohen.
Langfristig attestiert der Kulturwissenschaftler dem Ökolandbau aber einen „strategischen Vorteil“ und verweist dazu auf dessen bessere Energieeffizienz und Kostenvorteile. Das gelinge aber nur, wenn die Politik diesen Prozess positiv begleitet, betont Hirschfelder.
Ökologische Transformation beibehalten
Auf keinen Fall verabschieden darf sich die Politik dem studierten Agrarwissenschaftler zufolge von ihren Ökolandbau- und Tierwohlzielen. Gleichwohl geht er davon aus, dass sie es tun werde. Hirschfelder verweist dazu auf den Kostendruck und auf Pragmatismus. Diese seien eine Gefahr für die ökologische Transformation.
Dem Vegan-Trend attestiert der Regensburger Wissenschaftler hingegen eine Verstetigung auf niedrigem Niveau. Zugleich rechnet er bei einer wachsenden Gruppe mit einem flexitarischen Lebensstil mit wenig tierischem Protein und vielen veganen Elementen, zumindest in Mitteleuropa. Global sehe die Sache hingegen anders aus, sagt Hirschfelder.
Kunstfleisch keine Alternative
Im Hinblick auf die Nutztierhaltung erinnert der Wissenschaftler daran, dass tierische Produkte die Menschen seit Beginn der Menschheitsgeschichte begleiteten. Eine Ernährung mit tierischen Anteilen sei „Katalysator der Menschheitsgeschichte“ gewesen, so der Volkskundler, dessen Forschungsschwerpunkt auf der kulturwissenschaftlichen Ernährungs- und Agrarforschung in historischer und gegenwärtiger Perspektive liegt.
„Tiere sind heute integrativer Bestandteil einer Landwirtschaft, die eben auch dort stattfindet, wo Ackerbau nicht möglich ist“, stellt Hirschfelder fest. Das seien global gesehen zwei Drittel der Flächen. Langfristig rechnet er mit einer Weiterentwicklung von „Technik und Gras“ dahingehend, dass es verstoffwechselt oder das Protein aus dem Gras extrahiert werden könne. „Mittelfristig bleiben wir beim Fleisch“, sagt der Kulturwissenschaftler. Kunstfleisch liege im Trend, aber nur für eine weitere Generation. Wer ohne Fleisch aufgewachsen sei, wer keine Erinnerung an Steak und Burger habe, „braucht kein Kunstfleisch“.