Unsere Autorin: Anna Lena Lindau, Tierärztin bei q-mmunity
Auch wenn in 99 % der Fälle alles glattgeht, gehören Schwergeburten zum Alltag von Milchbauern dazu. Komplikationen vor oder während der Geburt bedeuten Stress, nicht nur für die Kuh, auch für den Landwirt. Es gilt, Probleme rechtzeitig zu erkennen, schnell zu reagieren und die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Schnell gelesen
Zu große Kälber oder abgeknickte Gliedmaßen können die Geburtswege und auch die Zervix verletzen.
Kleinere Verletzungen heilen oft von selbst. Tiefere Risse müssen vom Tierarzt versorgt werden, stark blutende Gefäße schnellstmöglich abgedrückt werden.
Nach der Geburt die Kuh mit Wasser versorgen und Schwellungen behandeln. Bei Lähmungen Zeit geben!
Sind die Kälber zu groß oder ist eine Klaue abgeknickt, kann es zu Verletzungen der Geburtswege kommen. Häufig ist dabei der Muttermund betroffen, vor allem, wenn das Kalb bei nicht vollständig geöffneter Zervix ausgezogen wird. Die Vaginalschleimhaut und der Damm sind ebenfalls prädestiniert für Geburtsverletzungen.
Verletzungen vermeiden
Die wichtigsten Maßnahmen, um Verletzungen zu vermeiden, sind:
Zeit und Maß geben: Den Geburtswegen Zeit zum Dehnen geben, nicht zu früh und zu stark Zughilfe leisten. Die Fruchtblase so lange wie möglich geschlossen lassen, da diese die Geburtswege dehnt. Bei Zughilfe viel Gleitgel und Geburtshelfer mit Zugkraftbegrenzung nutzen. Die vollständige Öffnung des Muttermundes kontrollieren.
Lage kontrollieren: Vor dem Auszugversuch vergewissern, dass Kopf und Gliedmaßen des Kalbes vollständig gestreckt sind und das Kalb korrekt in oberer Stellung („auf dem Bauch“) liegt. Auch eine (partielle) Drehung der Gebärmutter muss ausgeschlossen sein.
Größe einschätzen: die Größe des Kalbes realistisch einschätzen.
Klauen abdecken: Wenn Fehlhaltungen der Gliedmaßen korrigiert werden müssen, immer die Klauen des Kalbes mit der Hand bedecken. Sonst können sie die Geburtswege verletzen.
Damm schützen: Beim Durchtritt des Kopfes mit der Hand den Damm schützen: Mit der flachen Hand den Bereich zwischen Vulva und After kräftig Richtung Kuh schieben.
Leichte, oberflächliche Risse in der Schleimhaut der Geburtswege heilen meist am besten, wenn man sie in Ruhe lässt. In den Tagen nach der Kalbung sollte jedoch auf eitrigen Ausfluss geachtet und regelmäßig Fieber gemessen werden, um Infektionen rechtzeitig zu erkennen. Tiefere Schnitte oder Risse müssen vom Tierarzt kontrolliert und ggf. chirurgisch versorgt werden.
Jetzt brauchts den Tierarzt
Kritisch sind sogenannte „perforierende Verletzungen“, also wenn die weichen Geburtswege durchstoßen werden und sich ein Zugang zum Bauchraum oder in den Enddarm öffnet. Am häufigsten kommt es durch übermäßige Zughilfe oder durch eine Fehlhaltung des Kalbes dazu. Solche Verletzungen müssen schnellstmöglich (!) tierärztlich versorgt werden.
Auch eine Perforation der Gebärmutter kann vorkommen, z. B. bei unsachgemäßer Korrektur von Fehlhaltungen oder bei der Reposition von Gebärmutterverdrehungen. Bestehen diese schon länger, ist die Gebärmutterwand porös und kann unter der Belastung der Reposition reißen.
Starke Blutungen: Hilfe statt Hygiene!
Ein absoluter Notfall sind schwallartige oder pulsierende Blutungen, wenn ein größeres Gefäß in Mitleidenschaft gezogen wurde. Hier gilt: Jede Hilfe ist besser als keine Hilfe! Denn eine solche Verletzung kann schnell zum Verbluten der Kuh führen. In einem solchen Fall muss sofort der Tierarzt informiert werden. Bis dieser eintrifft, müssen Sie selbst versuchen, die Blutung zu stoppen. Wer den Ursprung der Blutung zügig findet, kann diesen gezielt abdrücken. Hier geht ausnahmsweise „Hilfe vor Hygiene“, denn zum gründlichen Säubern ist keine Zeit!
Mit der bloßen Hand Druck auf die Verletzung auszuüben bis der Tierarzt eintrifft, kann der Kuh das Leben retten. Ist die Verletzung unauffindbar oder zu großflächig zum Abdrücken, kann mit möglichst sauberen Handtüchern Druck im gesamten Geburtsweg ausgeübt werden. Die eingerollten Handtücher am besten mit eiskaltem Wasser tränken (dann ziehen sich die Blutgefäße eventuell zusammen) und so viele Handtücher wie möglich in die Scheide einführen!
Manchmal ist trotz aller Bemühungen keine Hilfe mehr möglich. Dann gibt es nur noch zwei Optionen: Notschlachtung oder Euthanasie (Einschläfern). Bei einer Notschlachtung direkt nach der Kalbung muss jedoch häufig der komplette Tierkörper verworfen werden, da die Fleischreife durch den Geburtsstress gestört wird.
Das ist nach der Geburt zu tun
Eine Geburt ist immer eine Belastung für die Kuh. Die Wehen sind körperlich anstrengend und für das Fluchttier Kuh bedeutet die temporäre Immobilität während der Kalbung Stress. Durch eine länger dauernde Geburtshilfe oder durch ein großes Kalb können weitere Probleme nach der Geburt entstehen.
Wasser anbieten: Während der Geburt verliert die Kuh über Fruchtwasser, Schweiß und die verstärkte Atmung größere Mengen Flüssigkeit und Elektrolyte. Nach jeder Kalbung daher den Kühen Wasser zur freien Aufnahme anbieten, idealerweise mit Kuhtrunk vermischt. Dieser enthält Energie und Elektrolyte. Gerne saufen die Tiere den Trunk lauwarm aus großen Kübeln. 60 bis 100 l Wasseraufnahme sind nicht selten.
Kuh aufrecht hinlegen: Ist der Kreislauf der Kuh nach einer Schwergeburt stark belastet, sollten Sie die Kuh in Brust-Bauch-Lage bringen, sofern sie dies nicht selbst kann. Mithilfe von Strohballen oder Ähnlichem lässt die Kuh sich in dieser Position stabilisieren. Bleibt die Kuh länger in Seitenlage, kann das zum Aufgasen des Pansens führen. Dadurch drückt dieser auf das Zwerchfell, erschwert so die Atmung und belastet den Kreislauf zusätzlich.
Auf Verletzungen kontrollieren: Nach jeder Geburt ist es ratsam, die Kuh auf Verletzungen und ein weiteres Kalb zu kontrollieren.
Schwellungen behandeln: Häufig kommt es zu Schwellungen im unteren Bereich des knöchernen Beckens. Diese Schwellungen sind für die Tiere äußerst schmerzhaft. Betroffene Kühe scheinen manchmal sogar festzuliegen. Die Kühe liegen häufig und haben meist eine geringe Futter- und Wasseraufnahme. In den meisten Fällen ist eine mehrtägige Gabe von abschwellend wirkenden Entzündungshemmern zur Behandlung und schnellem Lindern der Symptome ausreichend.