Es handelt sich dabei um eine Brille, die aus dem Bereich der Videospiele stammt. Entwickelt hat sie Benito Weise, Mitarbeiter der Landwirtschaftskammer (LWK) Niedersachsen in Echem.
Mit den Augen einer Kuh
„Wir können nur unsere Lebenswelt sehen“, erklärt Martina Weber, Geschäftsführerin des Landwirtschaftlichen Bildungszentrums (LBZ) Echem (Kreis Lüneburg), dem Aus- und Weiterbildungszentrum für Tierhaltung der LWK. Die Tiere würden diese Welt aber ganz anders wahrnehmen. Zum Beispiel, wenn die Kuh vom Stall nach draußen tritt – und ein paar Sekunden lang erst mal stehen bleibt und nicht weiterlaufen will. Denn die Anpassung der Augen an die Helligkeit dauert bei den Tieren deutlich länger als bei uns Menschen. „Unsere Lehrgangsteilnehmer*innen, die dieses Gefühl temporärer Blindheit selbst erlebt haben, bekommen ein viel größeres Verständnis für das Verhalten einer Kuh“, berichtet Weber.
Neue Wege in der Ausbildung
Weise, der am LBZ die überbetriebliche Ausbildung koordiniert, hat sich in den vergangenen Jahren insbesondere mit dem Thema Tierwohl befasst. Er suchte nach neuen didaktischen Ansätzen, die Tierhaltern einen emotionaleren Zugang zum Tier ermöglichen. Das Thema „Sehfeld einer Kuh“ fesselte ihn, weil er merkte: Wenn man sich damit nicht gut auskennt, entstehen stressige, auch gefährliche Situationen. Weise dachte: „Das wäre ja klasse, wenn man eine Kamera hat, die das Sehfeld aufnimmt, und eine Technik, die es in Echtzeit umbaut.“ Die Idee zur Kuhbrille war geboren.
Aufwändige Entwicklung
Es folgte eine Marktrecherche, um herauszufinden, welche Lösungen zu jenem Zeitpunkt verfügbar waren. Wenige Wochen später kam der Kontakt zur Firma Befort Optik in Wetzlar zustande: Diese entwickelte eine Kamera, die mit zwei Weitwinkelobjektiven das Sehfeld von Rindern aufnehmen kann. Software-Entwickler Peter Menzel von der Firma C.O.M. Wetzlar ermöglichte, dass die Aufnahmen mit den Eigenarten des Sehvermögens der Kuh verknüpft und auf die VR-Brille projiziert werden.
Internationale Nachfrage
Kurz nach der Präsentation auf der EuroTier im November 2018 war die Kuhbrille serienreif. Die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft kaufte gleich fünf Exemplare, fast alle Lehr- und Versuchsanstalten der einzelnen Bundesländer folgten. Auch international wächst die Popularität der Erfindung aus Echem: Die Kuhbrillen kommen bereits in Österreich und der Schweiz zum Einsatz, Nachfragen erreichen das LBZ außerdem aus Neuseeland und China.
Ausgezeichnetes Projekt
Weise, der längst daran tüftelt, die Kuhbrille um die akustische Wahrnehmung einer Kuh zu erweitern, darf sich über den mit 3500 € dotierten 2. Platz des Digitalisierungspreises Agrar und Ernährung des Landes Niedersachsen freuen. Was er sich von dem Preis erhofft, ist, dass die Kuhbrille bekannter wird, um damit mehr Verständnis für die Tiere zu ermöglichen – ganz im Sinne des Tierwohls.