top agrar: Die Idee der „Verbrauchermilch“ ist es, die Verbraucher darüber abstimmen zu lassen, was ihnen bei „Ihrer“ Milch wichtig ist und was sie bereit sind, dafür zu zahlen. Welche Kriterien haben die Verbraucher als wichtig angegeben? Und wie viele Verbraucher beteiligten sich 2020 an der Abstimmung?
Nicolas Barthelmé: Am wichtigsten waren Weidegang für die Kühe, Tierwohl im Stall, die ökologische Landwirtschaft – also Bio-Milch – und die faire Vergütung für die Landwirte. Das klingt trivial. Aber 4,5 Jahre nach dem Launch der Verbraucher-Milch ist sie immer noch ein alleiniger Leuchtturm im Markt.
Damals hatten 9.308 Verbraucherinnen und Verbraucher abgestimmt und über die Qualität und den Preis der Verbraucher-Milch gemeinsam entschieden (top agrar berichtete).
Milchpreis: 63 Cent
Wie viele Landwirte beliefern Sie mit ihrer Milch und welches Milchgeld erhalten sie?
Barthelmé: Die Verbraucher-Milch wird aktuell von der Upländer Bauernmolkerei abgefüllt, die im Auftrag der Konsumenten die Milch von zehn Betrieben aus Nordhessen erfasst und verarbeitet. Diese Betriebe erfüllen die gewählten Kriterien und erhalten aktuell einen Milchpreis von 63 Cent netto pro Liter. Und dies bereits seit September 2022.
Wie mit Preiserhöhung umgehen? Transparent!
Mit dem Krieg in der Ukraine stiegen die Preise, die Verbraucher entschieden kurzerhand, dass „Ihre“ Landwirte 5 Cent mehr erhalten sollten. Wie lief die Abstimmung ab?
Barthelmé: Preise zu erhöhen, war für uns erstmal neu und eine Art Königsdisziplin. Wir haben zuerst Konsumenten, Landwirte und Molkerei auf einem der produzierenden Höfe zusammengebracht, die Kostenerhöhungen und die dazu gehörenden Preis-Erhöhungen überprüft und daraus gemeinsam Szenarien entwickelt. Darüber durfte anschließend unsere Community abstimmen.
Milch war das Produkt, mit dem wir viele der Themen sichtbar machen konnten, die unserer Initiative wichtig sind: Produktqualität, Tierwohl, Biodiversität, Naturschutz und Fairness."
So wurde eine Erhöhung des Milchpreis auf 63 Cent pro Liter gewählt. Das bedeuteten + 5 Cent, die sich wie folgt zusammenstellten: +2 Cent für Stromkosten +2 Cent für Dieselkosten +1 Cent für Futtermittel oder Ersatzteile. Parallel bedeutete das eine Erhöhung der unverbindlichen Preisempfehlung für den Liter Verbraucher-Milch auf 1,59 €, also +14 Cent!
Überraschenderweise waren wir 2022 die einzigen, die die notwendige Preiserhöhung transparent gemacht haben. Die Konsumenten haben den Schritt akzeptiert und unterstützt, weil sie erfahren und sogar darüber abstimmen durften, wohin ihr Geld geht.
Wie wird die Verbrauchermilch (regional) vermarktet? Inwiefern könnte die Vermarktung bundesweit ausgeweitet und mehr Landwirte einbezogen werden?
Barthelmé: Die Verbraucher-Milch ist bei Rewe und Hit regional verfügbar. Der Schwerpunkt der Vermarktung liegt aktuell in Hessen bzw. im Rhein-Main-Gebiet wegen der Nähe zu unserer Partner-Molkerei. Eine bundesweite Vermarktung würden wir sehr begrüßen; hierfür benötigten wir die Unterstützung des Handels bei Listung, Aktivierung und Kommunikation.
Sie sind seinerzeit mit dem Produkt Frischmilch angefangen. Danach folgten Eier und Kartoffeln. Warum eigentlich mit Milch?
Barthelmé: Milch war das Produkt, mit dem wir viele der Themen sichtbar machen konnten, die unserer Initiative wichtig sind: Produktqualität, Tierwohl, Biodiversität, Naturschutz und Fairness. Und tatsächlich ist es bei vielen Konsumenten längst bekannt, dass Milchbauern faire Preise und unsere Unterstützung benötigen, um im Einklang mit Tieren und Natur produzieren und eine Zukunftsperspektive haben zu können.
Bei Trinkmilch fehlen den Landwirten "nur" 10 Cent mehr
Die Verbrauchermilch bezieht den Konsumenten mit ein, um auskömmliche Erzeugerpreise zu ermöglichen. Wieso funktioniert das bei der Abgabe der Milch an klassische Molkereien nicht immer?
Barthelmé: Für die Milchviehbetriebe gibt es zwei Auswege aus dem ständigen Kostendruck: entweder hören sie auf oder sie beuteln sich weiter aus, um doch noch überleben zu können. Nachhaltig ist das aber nicht. Das merkt man an der Anzahl der Betriebe, die aktuell händeringend nach einem Nachfolger suchen.
Faire Preise für Landwirte sind nur möglich, wenn die Konsumenten am Ende der Lieferkette unterstützen - eine Kette kann man bekannterweise nur ziehen. Bei der Trinkmilch z.B. fehlen nur wenige Cent zur kostendeckenden Produktion und zwar ca. 10 Cent mehr pro Liter für die Landwirte. Bei einem Durchschnittskonsum von 46 Liter pro Person und Jahr sprechen wir über 4,60€ pro Jahr bzw. 38 Cent pro Monat, die jeder mehr ausgeben müsste. Dass es geht und machbar ist, zeigen wir mit unseren Verbraucher-Produkten.