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Risiko für Schafe und Rinder

Sollten Landwirte jetzt gegen Blauzunge impfen?

Die Blauzungenkrankheit ist zurück in Deutschland - mit einem neuen Serotyp. Dagegen ist jetzt das Impfen möglich. Eine Tierärztin erklärt, was Schaf- und Rinderhalter dazu wissen sollten.

Lesezeit: 6 Minuten

Dr. Johanna Hilke ist praktische Tierärztin aus Stoffenried (Bayern). Ihr Schwerpunkt liegt auf der Bestandsbetreuung von Schafherden.

Frau Dr. Hilke, die Blauzungenkrankheit ist mit dem Serotyp 3 (BTV 3) zurück in Deutschland. Wie ist die aktuelle Situation? 

Hilke: BTV-3 wurde erstmals in Deutschland am 12.10.2023 nachgewiesen, seitdem sind fast 100 Fälle in Deutschland dokumentiert worden (TSIS Stand 18.6.24). Einige Bundesländer gelten nicht mehr als BTV-frei: Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Bremen und Rheinland-Pfalz. Weil die Krankheit von Stechmücken übertragen wird, ist das Krankheitsgeschehen stark wetterabhängig: Die Stechmückenpopulation geht über den Winter zurück, steigt jetzt mit wärmeren Temperaturen an und erreicht ihren Höhepunkt im Herbst.

Da sich das Virus in den Niederlanden letzten Herbst in nur zwei Monaten im ganzen Land ausgebreitet hat, müssen wir davon ausgehen, dass es auch bei uns mit den wärmeren Temperaturen, also ab jetzt, zu einem starken Anstieg der Infektionszahlen kommt.

Was ist das Besondere und Neue an BTV-3? Welche Symptome zeigen Schafe und Rinder?

Hilke: BTV-3 zeigte höhere Erkrankungs- und Sterblichkeitsraten als vorherige Blauzungen-Serotypen, vor allem bei Schafen. Laut der niederländischen Tiergesundheitsorganisation Royal GD war die Sterblichkeitsrate in Schafbetrieben in BTV-3 Regionen vier Mal höher als im Vergleich zu den Jahren 2020-2022. In Betrieben mit nachgewiesener BTV-3 Infektion war die Sterblichkeitsrate bei Lämmern bis zu 13-mal höher und bei Schafen sogar bis 15-mal höher. Es wird davon ausgegangen, dass zwischen September und Dezember 2023 55 000 Schafe an BTV-3 verstarben.

Bei Lämmern war die Sterblichkeitsrate in Betrieben mit BTV-3 Infektion bis zu 13-mal höher und bei Schafen sogar bis 15-mal höher im Vergleich zu den Jahren 2020 bis 2022.

Schafe zeigen Fieber, Teilnahmslosigkeit, offene Stellen an den Maul- und Nasenschleimhäuten, Atembeschwerden mit Nasenausfluss, Schwellungen von Nase, Lippen oder dem gesamten Kopf und Lahmheit. Ein „neues“ Symptom waren eitrige Gelenksentzündungen. Leider kann nur symptomatisch behandelt werden, meist mit geringen Erfolgsaussichten: in den Niederlanden starben viele Tiere auch nachdem es ihnen zunächst besser ging. Tiere, die sich erholten, brauchten sehr lange Zeit dafür. Bei Ziegen gab es weniger Todesfälle und mildere Symptome: hauptsächlich Fieber, Milchrückgang und Einblutungen am Euter.

BTV-3-Folgen in Rinderherden: durchschnittlich 1,15 kg weniger Milch pro Kuh und Tag über einen Zeitraum von zehn bis zwölf Wochen.

Auch bei Rindern war die Sterblichkeitsrate 1,17 bis 1,93-mal höher als im Vergleichszeitraum. Die Krankheitsverläufe sind jedoch milder. Hauptsymptome sind Klauenprobleme sowie schmerzhafte Gelenke und Entzündungen des Kronsaums, rote Augen und Nasenausfluss. Außerdem kam es zu längerfristigen Einbrüchen in der Milchleistung: durchschnittlich 1,15 kg weniger Milch pro Kuh und Tag über einen Zeitraum von zehn bis zwölf Wochen. Massive Langzeitauswirkungen auf die Fruchtbarkeit, Euter- und Klauengesundheit werden erwartet.

Wie können Tierhalter ihre Schafe und Rinder schützen?

Hilke: Die Behandlung mit Repellentien gegen Insekten sorgt laut Studien nicht für einen sicheren Schutz vor der Infektion. Die beste Möglichkeit die empfänglichen Tiere zu schützen, ist die Impfung und zwar mit einem Serotyp 3-spezifischen Impfstoff.

Um eine schnelle Impfung zu ermöglichen hat das BMEL Anfang Juni die Anwendung drei solcher Impfstoffe vorübergehend gestattet. Mit der regulären Zulassung dieser BTV-3 Impfstoffe ist frühestens im Herbst zu rechnen, das wäre für viele Tiere zu spät gewesen.

Raten Sie Tierhaltern zu einer Impfung, und warum?

Hilke: Ja, ich empfehle jedem Halter von Wiederkäuern seine Tiere zu impfen! Wer mit betroffenen Tierhaltern oder Tierärzten in den Niederlanden gesprochen oder Bilder von erkrankten Tieren gesehen hat, muss nicht lange abwägen. Darüber hinaus zeigen die Erfahrungen aus der Vergangenheit und im Nachbarland, dass die BTV-Impfstoffe sehr gut verträglich sind.

Hinzu kommt: Je mehr empfängliche Tiere wir impfen, umso weniger Stechmücken können sich infizieren und die Krankheit weitertragen. Im Idealfall ließe sich der BTV-3 Seuchenzug stoppen oder verlangsamen. Da fraglich ist, ob auf freiwilliger Basis eine so hohe Impfabdeckung erreicht wird, empfehle ich die Impfung auch für Wiederkäuer in bislang nicht betroffenen Gebieten.

Allerdings bedeutet jede Impfung Stress und kann Fieber verursachen. Eine verminderte Fruchtbarkeit ist dadurch möglich (z. B. verminderte Spermaqualität, Resorptionen bei niedrigtragenden Tieren). Schafhaltende Betriebe in Regionen, die noch weiter entfernt vom Blauzungengeschehen sind, können den Impftermin mit dem Bockeinsatz abstimmen, d.h. Impftermin mind. 6 Wochen nach Rittende. Wer jedoch in einer bereits betroffenen Region liegt, sollte eine evtl. verminderte Fruchtbarkeit in Kauf nehmen, um die Herde vor Krankheitssymptomen und Todesfällen zu schützen!

Bei der Frage „Impfen ja oder nein“ muss man auch bedenken: Es gibt keine Entschädigungen für Tierverluste mehr, wie beim letzten BTV-8 Seuchenzug.

Je mehr empfängliche Tiere wir impfen, umso weniger Stechmücken können sich infizieren und die Krankheit weitertragen.

Wie schnell ist nach einer Impfung ein wirksamer Impfschutz zu erwarten?

Hilke: Für Schafe wird der Beginn der Immunität je Impfstoff mit drei bis vier Wochen nach der Grundimmunisierung angegeben. Für Rinder stehen noch keine Daten zur Verfügung. Nach einer Impfung kann es zur Schwellung an der Injektionsstelle und erhöhter Temperatur kommen. Zwei der jetzt in Deutschland gestatteten Impfstoffe werden seit Mai in den Niederlanden eingesetzt und es wurde von keinen nennenswerten Nebenwirkungen berichtet.

Ist es möglich bzw. sinnvoll in eine bereits erkrankte Herde zu impfen? Welche Folgen hat das, was ist zu berücksichtigen?

Hilke: Grundsätzlich sollte man nur gesunde Tiere impfen. Und nur wenn die Grundimmunisierung rechtzeitig vor der Infektion abgeschlossen ist, kann von einem Schutz der Tiere ausgegangen werden.

Untersuchungen des Royal GD in den Niederlanden zeigten, dass durchschnittlich nur bei einem verhältnismäßig kleinen Anteil von Schafen und Rindern nach 2023 Antikörper nachzuweisen waren. Es ist somit davon auszugehen, dass viele der nicht erkrankten Tiere in den Niederlanden auch gar nicht infiziert waren. Vor diesem Hintergrund ist es aus meiner Sicht ratsam, momentan klinisch gesunde Tiere auch in betroffenen Herden zu impfen.

Die meisten Tierseuchenkassen unterstützen die Impfung mit einer Beihilfe, in manchen Bundesländern auch das Land.

Gibt es Fördermöglichkeiten für die Impfung bei Schaf und Rind?

Hilke: Die meisten Tierseuchenkassen unterstützen die Impfung mit einer Beihilfe, in manchen Bundesländern auch das Land. Details müssen bei den Tierseuchenkassen des jeweiligen Bundeslandes erfragt werden.

Was müssen Tierhalter rechtlich beachten, wenn Sie ihre Tiere impfen – beispielsweise Verbringungsregeln aus freien und nicht freien Gebieten?

Hilke: Da die aktuell verfügbaren Impfstoffe nicht „zugelassen“ sind, gibt es momentan keine Handelserleichterung durch die Impfung. Aber auch keine Nachteile. Wer Tiere aus einem nicht-BTV freien Gebiet in ein freies Gebiet verbringen möchte, muss die bekannten Regularien erfüllen (Tierhaltererklärung, Repellent-Behandlung, negativer BTV-PCR Befund; Ausnahme: Tiere zur unmittelbaren Schlachtung). Ob schon geimpfte Tiere in der Zukunft Handelserleichterungen bekommen, z.B. wenn die angewandten Impfstoffe regulär zugelassen werden, ist derzeit nicht geklärt.

Was ist die Blauzungenkrankheit?

Die Blauzungenkrankheit ist eine virusbedingte, hauptsächlich akut verlaufende Krankheit der Schafe und Rinder. Ziegen, Neuweltkameliden (u.a. Lamas, Alpakas) und Wildwiederkäuer sind für die Krankheit ebenfalls empfänglich. Das Virus (BTV) wird nicht direkt von Tier zu Tier übertragen, sondern über kleine, blutsaugende Mücken (Gnitzen) der Gattung Culicoides.
Der Erreger der Blauzungenkrankheit ist für den Menschen nicht gefährlich. Es gibt keine Bedenken beim Verzehr von Milch- oder Fleischprodukten von ggf. infizierten Tieren. In der Vergangenheit kam es in Deutschland zu Krankheits- und Todesfällen durch BTV-8. Das Virus konnte erfolgreich durch Impfungen eingedämmt werden und Deutschland galt wieder als frei von BTV. Allerdings besteht das andauernde Risiko der Viruseinschleppung- auch von weiteren Serotypen.

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