Im Interview: Prof. Dr. Holger Thiele ist Professor für Agrarökonomie und Statistik an der Fachhochschule Kiel und beim ife Institut Kiel für den Projektbereich "Wertschöpfungskette Milch" verantwortlich.
Herr Prof. Thiele, die Hochpreisphase des Milchmarktes endete Anfang 2023. Jetzt sinken die Preise. Weshalb?
Thiele: Auf dem europäischen und besonders dem deutschen Milchmarkt gab es einige Sonderfaktoren. Zum einen war da die drohende Gefahr der Knappheit von Erdgas und von Milchprodukten: Einige Händler waren bereit mehr zu zahlen, um die Versorgungssicherheit mit Milchprodukten zu gewährleisten. Dadurch waren unsere Preise teils höher als auf dem Weltmarkt. Dieser Sondereffekt hat sich relativiert. Hinzukommt: Die deutsche Milchmenge stieg deutlich auf bis zu 3 % gegenüber dem Vorjahr. Gleichzeitig kauften Verbraucher inflationsbedingt sparsamer ein.
Anfang Juni haben Einzelhändler die Trinkmilchpreise im Kühlregal gesenkt. War das gerechtfertigt?
Thiele: Das war bei dem hohen Angebot und verhaltener Nachfrage zu erwarten. Besonders bei hochpreisigen Produkten oder Bioware haben wir es lehrbuchmäßig gesehen: Die Verkaufspreise stiegen, die Nachfrage ging zurück. Die Markteffekte zeigen sich jetzt zeitverzögert im Handel. Somit sinken die Milchauszahlungspreise stärker als die Produktionskosten.
Wann sind wieder kostendeckende Milchpreise zu erwarten?
Thiele: Keine Frage, die Produktionskosten bleiben langfristig hoch. Zum Beispiel wegen der Energie- oder Flächenkosten. Das Niveau der Milchpreise wird sich langfristig an das höhere Preisniveau angleichen. Es wird aber auch immer wieder Phasen geben, in denen der Milchpreis unter der Kostendeckung liegt. Anders gesagt: Der Strukturwandel wird leider weitergehen und sich durch erhöhte Auflagen vermutlich verschärfen.
Wie entwickelt sich der Milchmarkt im zweiten Halbjahr 2023?
Thiele: Die Milchpreise werden sich erholen und könnten nach bisherigen Informationen im zweiten Halbjahr zwischen 40 bis 45 Cent liegen. Die Milchmengen werden weiter sinken. Wie stark, ist auch abhängig von der Witterung in der nächsten Zeit. Die Nachfrage wird mit der konjunkturellen Erholung unter anderem aus China zunehmen, die zuletzt hinter den Erwartungen lag. Es dauert eine Zeit, bis diese Effekte bei den Milcherzeugern ankommen. Aber: Die Talsohle am Milchmarkt ist vorerst durchschritten.