Das Land Berlin hält zentrale rechtliche Anforderungen an die Schweinehaltung in der deutschen Landwirtschaft für verfassungswidrig. Eine mehr als 322 Seiten starke Anklageschrift für einen Normenkontrollantrag will das Land noch diese Woche beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe einreichen. Die Klageschrift hat der Berliner Senat am Dienstag beschlossen und am Mittwochmorgen vor der Presse in Berlin vorgestellt. „Wir wollen eine tiergerechte Haltung und nicht die Tierhaltung beenden“, sagte der zuständige Verbraucherschutzsenator von Berlin, Dirk Behrendt (Grüne), zur Begründung.
Klage richtet sich gegen Mindestanforderungen
Die Klage richtet sich gegen die Mindeststandards für die Schweinehaltung in der deutschen Nutztierhaltungsverordnung. Die Vorgaben entsprächen nicht „dem Wesen des Schweins“, sagte Behrendt. Das „massenhafte Einpferchen von Schweinen auf minimalstem Raum“ werde den Tierschutzanforderungen nicht gerecht. Vor allem die vorgegebenen Mindestflächen in der Schweinehaltung sind nach Auffassung des Landes Berlin für alle Gewichtsklassen von Schweinen zu gering. Als Beispiel nannte der zuständige Rechtsanwalt Prof. Dr. Hans-Peter Vierhaus die vorgeschriebenen 0,5 m², die für ein 50 kg schweres Mastschwein mindestens vorgeschrieben sind.
Grundbedürfnisse von Schweinen würden verletzt
Die Klageschrift beanstandet weitere acht Themenbereiche, bei der die gesetzlichen Vorgaben gegen die Grundbedürfnisse von Schweinen verstoßen würden. Dazu gehören der Bodenbelag, die Fütterung ohne Raufutter, die Fixierung im Kastenstand im Abferkelbereich wie im Deckzentrum, die Grenzwerte für die Stalltemperatur und für Schadgase wie zum Beispiel Ammoniak. Außerdem sei artgerechtes Verhalten wie Wühlen und Nestbauen bei Einhaltung lediglich der Mindeststandards nicht möglich. „In einem modernen Industrieland dürfen solche Zustände in der Schweinehaltung nicht geduldet werden“, sagte Behrendt.
Verfahren kann mehr als 2 Jahre dauern
Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht könnte Jahre beanspruchen. Eine Dauer von zwei Jahren wäre schon schnell, schätzte Rechtsanwalt Vierhaus, der die Klage ausgearbeitet hat. Vorbild für die Klage ist das vom Land NRW in den 1990gern angestrengte Verfassungsgerichtsverfahren gegen die Käfighaltung von Legehennen. In seinem Urteil von 1999 hatte das Bundesverfassungsgericht diese mit einer Übergangsfrist in Deutschland untersagt.
Keine Unterstützung aus anderen Ländern
Verbraucherschutzsenator Behrendt verteidigte das Berliner Vorgehen, obwohl es in seinem Land keine nennenswerte Schweinehaltung gibt. „Wir wollen bessere Mindeststandards erreichen, das entspricht der Erwartungshaltung der Bevölkerung in Berlin“, so Behrendt. Diese sei was den Tierschutz anbelangt "sehr sensibel". Andere Bundesländer rief Behrendt zur Unterstützung der Klage auf. Allerdings lehnten das bisher die übrigen Bundesländer ab. Einige hätten ihm bei der Agrarministerkonferenz auch aktiv davon abgeraten, die Klage einzureichen, erläuterte er.
Behrendt will weiter Fleisch essen
Behrendt gab vor der Presse zu, dass er noch nie in einem konventionellen Schweinestall gewesen sei. Er habe sich in Brandenburg jedoch auf Ökohöfen darüber informiert, dass Schweinehaltung auch anders gehe, sagte er. Auf Fleisch verzichten will Behrendt jedoch nicht. „Ich esse weiter Schweinefleisch aber deutlich weniger und hoffe, dass wir Erfolg haben werden, damit ich wieder guten Gewissens zubeißen kann“, sagte er.