Keine gravierenden Folgen erwartet der Berliner Agrarökonom Prof. Harald Grethe von einem Umbau der deutschen Tierhaltung für die Stellung der Branche auf den internationalen Märkten. „Schon heute ist Deutschland bei Schlachtkörpern in Standardqualität auf den Weltmärkten nicht wettbewerbsfähig“, gibt der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) beim Bundeslandwirtschaftsministerium im Interview mit Agra-Europe zu bedenken. Das werde sich angesichts steigender Umwelt- und Tierschutzstandards voraussichtlich nicht ändern. Grethe hält es für denkbar, dass Deutschland mit einer konsequenten Tierwohlstrategie neue internationale Märkte für besonders hochwertige Produkte erschließen kann. Außer Frage steht für den Wissenschaftler jedoch, dass die tierische Veredlung hierzulande mengenmäßig zurückgehen wird. Bei erfolgreicher Entwicklung der Prozessqualität werde das möglicherweise aber nicht in Bezug auf die Wertschöpfung gelten. Die breite Zustimmung zu den Empfehlungen der Borchert-Kommission betrachtet Grethe als „Wendepunkt in der Politik für die Nutztierhaltung“. Jetzt komme es darauf, zügig mit der Umsetzung zu beginnen, um die für 2040 gesteckten Ziele zu erreichen. Zwingende Voraussetzung dafür sei neben einer staatlichen Förderung, um die zusätzlichen Kosten für die hiesigen Tierhalter zu kompensieren, die Schaffung der umwelt- und baurechtlichen Voraussetzungen. An der Konkretisierung müsse jetzt gearbeitet werden.
Für unvermindert geboten hält der Beiratsvorsitzende eine grundlegende Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) und deren konsequente Ausrichtung an Gemeinwohlzielen wie Tier-, Umwelt- und Klimaschutz. Mit einem Festhalten an pauschalen Direktzahlungen verliere der Sektor hingegen an gesellschaftlicher Akzeptanz und Gestaltungsspielraum für eine zielorientierte Honorierung von Gemeinwohlleistungen. Der Wissenschaftler spricht sich dafür aus, die weitgehend bedingungslosen Flächenprämien auf maximal 35 % des EU-Agrarhaushalts zu beschränken, „um einen Ausstieg über zwei Finanzperioden einzuläuten“. Mindestens 40 % des Agrarbudgets sei für Gemeinwohlleistungen zu reservieren. Ob dies dann im Rahmen von Eco-Schemes der Ersten Säule oder Programmen in der Zweiten Säule realisiert werde, sei zweitrangig. Bei der Bundesregierung vermisst Grethe eine klare Strategie für eine Fokussierung der GAP auf Gemeinwohlziele. Den Unmut von Landwirten gegen Teile der Agrarpolitik führt der Hochschullehrer auf einen „viel zu lange fehlenden Gestaltungswillen“ in der Politik und im Sektor zurück.