Seit Anfang der 2010er-Jahre beschäftigt das SBR bzw. die Schilf-Glasflügelzikade den Südwesten Deutschlands. Wie hat sich der Zikaden-Krankheitskomplex seitdem entwickelt?
Pfitzner: Die Schilf-Glasflügelzikade wurde erstmals 2008 im Raum Heilbronn erfasst. Nur kurze Zeit später konnte man in den Versuchsberichten der ARGE Zuckerrübe Südwest lesen, dass es im Kraichgau verstärkt Bestände mit gelben Blattspitzen gibt. Im Jahr 2020 wurde dann im Rahmen des ersten Zikadenprojekts NIKIZ ein Monitoring im Verbandsgebiet der Hessisch Pfälzischen Zuckerrübenanbauer e. V. durchgeführt und ein großflächiges Auftreten festgestellt. Kurze Zeit später etablierte man das Monitoring auch in Baden-Württemberg. In 2022 waren hier besonders schwer geschädigte Rübenfelder zu sehen.
Im gleichen Jahr wurde die Zikade auch an Kartoffeln entdeckt, bislang aber auf weniger Flächen als in den Rüben. Allerdings ist hier das Monitoring auch noch nicht so gut ausgebaut wie in der Rübe. Seit diesem Jahr gibt es aber deutschlandweite Initiativen von Industrie, Landwirten und Pflanzenschutzdiensten, welche die Ausbreitung in den Kartoffeln im Blick halten.
Zuletzt zeigte sich, dass die Zikade auch in nördlicheren Gebieten Deutschlands vorkommt. Hier sind es aber noch sehr viel weniger. Zudem sind die vorkommenden Zikaden nicht so infektiös, sodass bislang wenig bis kein Schaden in den Rüben zu beobachten ist. Tritt hier SBR auf, dann nur an einzelnen Pflanzen. Von der Situation träumen wir hier im Südwesten.
Schnell gelesen
Die Schilf-Glasflügelzikade breitet sich nach Norden weiter aus. Dabei erweitert sie auch ihren Wirtspflanzenkreis, zuletzt um Rote Beete und Karotten.
Für noch mehr Forschung fehlt oft das Geld – hier ist die Politik gefordert. Wichtig ist zudem, den Wissenstransfer in die Praxis zu intensivieren.
Der Verzicht auf Wintergetreide nach Rüben und der Anbau widerstandsfähiger Sorten gelten aktuell als wichtigste Werkzeuge gegen die Zikade.
Besteht die Gefahr, dass die Zikade neben Rüben und Kartoffeln weitere Kulturen befällt?
Pfitzner: Sie besteht nicht nur, sie ist bereits gegenwärtig. So sind Rote Beete und Karotten kürzlich von uns als Wirtspflanzen der Zikade identifiziert worden. Weitere Arten werden sicher folgen. Das ist bei einem generalistischen Insekt wie der Schilf-Glas-flügelzikade nicht überraschend und verstärkt die Probleme. Denn mögliche Bekämpfungsstrategien werden dadurch schnell komplex.
Welche Forschungsaktivitäten gibt es derzeit, um die Zikade bzw. den von ihr übertragenen Krankheiten zu begegnen?
Pfitzner: Es gibt mittlerweile viele Forschungsaktivitäten, vor allem – und das ist in unserer bedrängten Situation natürlich sehr wichtig – wird in alle Richtungen geforscht. So arbeiten die Züchter an Lösungen mit toleranten Sorten, Anbauer in EIP-Projekten an praxistauglichen Ackerbaustrategien und das JKI und das IFZ an Grundlagen zur Schilf-Glasflügelzikade und ihren Erregern sowie dem Verständnis der Krankheit in der Pflanze. Das ist für die Entwicklung von Pflanzenschutzverfahren unabdingbar. Zudem arbeitet das Fraunhofer Institut in Gießen wie auch die Uni Regensburg an Pflanzenschutz mit RNAi, die offiziellen Beratungsstellen an Qualitätssicherung – diese Liste könnte ich noch weiterführen.
Alle, auch die, die ich jetzt nicht genannt habe, oder die unter einem Oberbegriff, von mir erwähnt wurden, sind im Gesamtbild wichtig, umso schnell wie möglich Lösungen für unsere Kulturpflanzen zu finden.
Ihre Hauptaufgabe ist zwar die Koordination von Projekten im Zusammenhang mit der Schilf-Glasflügelzikade, sicherlich wäre es aber vermessen zu sagen, dass Sie alle Aktivitäten in Deutschland verknüpfen können. Wie gut ist der Austausch zwischen den Akteuren?
Pfitzner: Da haben Sie recht! Dann wären es nämlich mit Sicherheit viel zu wenige und das würde dem doch sehr großem Problem nicht gerecht werden. Einen Überblick darüber habe ich aber schon, sodass ich bei ent-sprechenden Anliegen auf Experten verweisen kann.
Ich würde den Austausch zwischen den Akteuren als sehr gut beschreiben. Der Wille und das Engagement für den Erhalt unserer Kulturpflanzen vereint alle. Es gibt verschiedene Plattformen der direkten Zusammenarbeit. Dazu zählen Projektarbeiten oder Veranstaltungen wie das Forum BetaSol oder das JKI-Zikadentreffen. Aber auch unzählige weitere Veranstaltungen zum Thema sensibilisieren und bringen Menschen aus unterschiedlichsten Fachrichtungen und Institutionen zusammen. Ich denke in der Agrarbranche – um jetzt einmal alle über einen Kamm zu scheren – wird der Austausch gelebt und in aller Regel sehr gut zusammengearbeitet.
Der Wille und das Engagement für den Erhalt unserer Kulturpflanzen vereint alle.
Durch das immer größer werdende Problem ist es aber nicht nur die Branche selbst, die in der Verantwortung steht. Auch äußere Rahmenbedingungen sind es, die den Erhalt der Kulturpflanzen unterstützen können. Mit der Ausweitung des Wirtspflanzenkreises und der Ausbreitung der Zikade ist es kein regionales Problem mehr, sondern eins, das auf die bundespolitische Bühne gehört. Und es wäre wünschenswert, wenn auch dort der „Drive“ aus der Branche ankommt. Ganz wichtig wäre dann, dass lösungsorientiert gearbeitet wird. Sprich mit der Branche zusammen und nicht so, dass Forscher unter sich bleiben. Bei den von uns organisierten Veranstaltungen ist dies ein wesentlicher Aspekt. „Bottom up“ nennt man das Prinzip, das bisher zu wenig greift. Wir brauchen mehr Wissenstransfer in die Praxis. Meine Position trägt dazu bei.
Was braucht es darüber hinaus, um den Rüben- und Kartoffelanbau in Deutschland zu sichern?
Pfitzner: Zum einen braucht es in erster Linie Menschen, die Wert auf eine regionale Produktpalette im Supermarkt oder bei ihrem Direktvermarkter legen. Denn, eine hohe Nachfrage nach heimischen Produkten erhöht den Druck auf die gesamte Wertschöpfungskette, schnell eine Lösung zu finden.
Es ist aber auch eine Sache des Geldes. Mit mehr Forschungsinitiativen und Fördermitteln könnten wir in jedem der bearbeiteten Teilbereiche mehr leisten. Fest steht: Bei einem so neuen Erregerkomplex kann es nicht zu viel Forschung geben. Es ist nur wichtig, dass die Ergebnisse, die Wissenschaftler und Praktiker hervor-bringen, gemeinsam diskutiert werden und man sich austauscht. Daraus erwachsen dann neue Erkenntnisse und Lösungen.
Deutlich wird das z. B. bei der doppelten Erreger-Belastung und regionalen Varianten. Hier ist es wichtig Veränderungen früh zu erfassen. Das haben wir bisher gar nicht leisten können und stehen jetzt schon bei einigen Kulturen vor völlig neuen Fragen. Mehr Geld und mehr Kommunikation ist daher dringend nötig. Sonst verlieren wir die Kontrolle und über Jahrzehnte aufgebaute Strukturen in Verarbeitung und Vermarktung. Das wäre dramatisch.
Auch wenn noch viel Forschungsbedarf besteht: Was ist derzeit das wirksamste Instrument für Rüben- und Kartoffelanbauer?
Pfitzner: Das wirksamste Mittel, das wir bisher haben, ist die Umstellung der Fruchtfolge. Konkret ist damit gemeint, Winterungen nach Rüben durch eine Sommerung zu ersetzten, die nicht vor Januar gesät wird. Am besten scheint sich Mais zu eignen. Auch die Sortenwahl wird bei Zuckerrüben und Kartoffeln wichtiger. Außerdem hat sich gezeigt, dass gesunde Pflanzenbestände einen Befall besser verkraften.
Alle anderen Verfahren, und besonders die möglichen Pflanzenschutzmaßnahmen, werden zurzeit noch erforscht. Bei der Vielfalt der Ansätze bin ich mir aber sicher, dass wir auch hier weiterkommen. Die Lösung liegt für mich in einem integrierten Ansatz, der nichts ausschließt.