Ob Getreidestroh, Spelzen oder Blätter und Stängel von Gemüse: Rund 7,7 Mio. t landwirtschaftliche Nebenprodukte fallen allein in Baden-Württemberg jährlich in landwirtschaftlichen Betrieben an, hinzu kommen viele Tonnen aus der Verarbeitung von überwiegend Lebensmitteln. Sie werden derzeit meist in der Tierhaltung eingesetzt oder verbleiben auf den Feldern.
Dabei könnte ein großer Teil zu hochwertigen Produkten verarbeitet werden, ohne den Humusaufbau zu gefährden – von Proteinen für die Lebensmittelindustrie bis hin zu Verpackungsmaterialien.
ReBioBW Factsheets und ReBioBW GIS-Tool
Zwei neue, innovative Werkzeuge erleichtern nun die Einordnung dieses Potenzials: die ReBioBW Factsheets und das ReBioBW GIS-Tool. Entwickelt haben sie Forscher der Universität Hohenheim in Stuttgart und des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT).
Sie können landwirtschaftliche Betriebe und Unternehmen bei der Etablierung neuer Veredelungsverfahren und Geschäftsmodelle unterstützen, der Politik helfen die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen und sie können in der Ausbildung eingesetzt werden und allen Interessierten einen schnellen Einstieg in die komplexe Thematik bieten.
Die Tools sind ab sofort kostenfrei verfügbar: https://rebiobw.uni-hohenheim.de/aktuelles
ReBioBW Factsheets: 350 Rohstoffquellen im Blick
Die ReBioBW Factsheets erfassen über 350 Nebenströme und bieten detaillierte Informationen zu ihren Inhaltsstoffen.
Dabei berücksichtigen sie eine Vielzahl an denkbaren Verwertungsmöglichkeiten: Von der Gewinnung von Proteinen und Ballaststoffen für die Lebensmittel-, Pharma- oder Kosmetikindustrie über die Verwendung als Dämm- und Verpackungsmaterialien für die Bauindustrie bis hin zu sogenannten Plattformchemikalien für die Chemieindustrie.
ReBioBW GIS-Tool: Interaktive Karte für Nebenstrombiomassepotenziale
ReBioBW GIS-Tool bietet eine interaktive Karte, die das theoretisch verfügbare Biomassepotenzial der pflanzlichen Nebenströme in Baden-Württemberg bis auf Gemeindeebene aufschlüsselt und visualisiert. Dabei steht die Abkürzung GIS für „Geographisches Informationssystem“.
Farbige Abstufungen ermöglichen es Unternehmen und Landwirten, auf einen Blick zu erkennen, welche Rohstoffe in ihrer Region in welcher Menge vorkommen. Ein zentrales Anliegen von ReBioBW ist es, Chancen für eine neue regionale bioökonomische Wertschöpfung aufzuzeigen. Die Nutzung von Nebenströmen eröffnet Landwirt:innen die Perspektive auf neue Einkommensquellen und kann gerade im ländlichen Raum Arbeitsplätze schaffen.
ReBioBW ermöglicht das Schließen von Stoffkreisläufen
Neben großen Chancen weisen landwirtschaftliche Nebenströme aber auch Herausforderungen auf. So darf ihre Nutzung weder den Humusaufbau noch die Kohlenstoffspeicherung im Boden gefährden. Auch müssen bereits bestehende Verwendungsmöglichkeiten wie zum Beispiel als Tierfutter berücksichtigt werden. ReBioBW verfolgt deshalb einen ganzheitlichen Ansatz, um solche Zielkonflikte zu vermeiden.
Die Daten und Erkenntnisse aus den ReBioBW Factsheets und dem GIS-Tool bilden die Grundlage für weitere Innovationsschritte. „Entscheidend ist, dass wir verlässliche und innovationsfreudige Rahmenbedingungen für die Wirtschaft schaffen. So entstehen gerade im ländlichen Raum in Baden-Württemberg spannende Innovationsräume, die dabei helfen, dass Forschungseinrichtungen ihr Wissen mit dem der landwirtschaftlichen Praxis und der Industrie verknüpfen können und Innovationen so noch stärker vorantreiben“, sagt Baden-Württembergs Agrarminister Peter Hauk.
Bei Anbauverfahren gleich geeignete Nebenstromqualität mitbenennen
„Neue Anbau-, Ernte- und Verarbeitungstechnologien dürfen sich nicht nur auf die Hauptfrüchte konzentrieren. Sie müssen auch Nebenströme als Koppelprodukte gezielt einbeziehen“, betont auch Dr. Evelyn Reinmuth, Leiterin der Geschäftsstelle Bioökonomie an der Universität Hohenheim. So sollten die Anbauverfahren von vornherein eine für die Kaskadennutzung geeignete Nebenstromqualität gewährleisten, damit dieselbe Biomasse mehrfach genutzt werden kann.
Beispielsweise können Trester, die bei der Herstellung von Fruchtsäften anfallen, für vielfältige Anwendungen in der Lebensmittelindustrie, aber auch in der pharmazeutischen, kosmetischen und chemischen Industrie genutzt werden: „Dazu müssen sie allerdings bis zur Verarbeitung richtig gelagert und so stabilisiert werden, dass weder enzymatische Prozesse die Verwertung der wertvollen Inhaltsstoffe verhindern, noch gesundheitsschädliche Belastungen, etwa durch Schimmelpilze, entstehen“, erklärt Dr. Reinmuth.
Sofern die Nebenströme durch ein nachhaltiges Verfahren aufbereitet werden, können die verbleibenden Reststoffe dann in die Biogasproduktion einfließen und die in den Gärprodukten enthaltenen Nährstoffe wieder auf landwirtschaftliche Flächen ausgebracht werden.