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Droht ein Tierärztemangel für Rinder, Schweine und Hühner?

Der Tierarztberuf wird zunehmend weiblich. Viele Tierärztinnen arbeiten aber nur in Teilzeit. Gerät dadurch die medizinische Versorgung der Nutztiere in Gefahr?

Lesezeit: 10 Minuten

"Ländlich gelegene Gemischttierpraxis sucht motivierte Verstärkung“: Solche Stellenangebote liest man in tierärztlichen Fachzeitschriften inzwischen häufiger, denn die Branche steht vor tiefgreifenden, strukturellen Veränderungen. Experten warnen vor einem drohenden Tierärztemangel, vor allem auf dem Lande.

Schnell gelesen

  • Der Tierarztberuf ist in Deutschland eine Domäne der Frauen geworden.

  • Der Anteil selbstständiger Nutztierärzte und -ärztinnen ist rückläufig. Immer mehr ziehen ein Angestelltenverhältnis vor.

  • Viele Tierärztinnen arbeiten nur in ­Teilzeit. Dadurch entsteht ein Defizit an verfügbaren Arbeitsstunden.

  • Bei Nutztieren gerät durch diese ­Entwicklung die tierärztliche Versorgung in Gefahr – zumindest regional.

  • Höchste Zeit gegenzusteuern, z. B. durch eine vereinfachte Zulassung ausländischer Tierärzte oder das Delegieren von Arbeit an qualifiziertes Praxispersonal.

Tierärzteatlas liefert Fakten

Doch gibt es tatsächlich immer weniger Tierärzte? Warum wird das Berufsbild inzwischen so stark von Frauen geprägt? Welche Konsequenzen hat das? Und stimmt es, dass immer mehr Stu­dienabgänger der Tierarztpraxis den Rücken kehren und stattdessen einen Job im öffentlichen Dienst oder bei der Pharmaindustrie vorziehen?

Um diese Fragen beantworten und bei Bedarf gegensteuern zu können, ­benötigt man Zahlen, Daten und Fakten zur tiermedizinischen Branche. Die fehlten in Deutschland aber bisher. Um das zu ändern, hat der Dessauer Zukunftskreis (DZK) vor zwei Jahren begonnen, vorhandenes Datenmaterial zu bündeln und auszuwerten. Der DZK ist eine Gruppe von Tierärzten, Vertretern von Hochschulen, Verbänden und der Industrie, die sich mit Zukunftsfragen der Tierärzteschaft beschäftigt.

Herausgekommen ist dabei der Tierärzte Atlas Deutschland. Das 90-seitige Werk, das künftig regelmäßig aktualisiert werden soll, kann kostenlos aus dem Internet heruntergeladen werden unter www.tieraerzteatlas.de . Er gewährt spannende Einblicke in die ­Personal- und Marktentwicklung der Branche. Hier einige Ergebnisse.

Tierärztezahlen sind stabil

Das Wichtigste vorweg: Es werden nicht weniger Tierärzte. Im Gegenteil, in den letzten 20 Jahren ist ihre Zahl um 41 % auf aktuell gut 45.000 Veterinäre gestiegen. Zieht man die Zahl der nicht Berufstätigen und Ruheständler ab, bleiben 33.800 aktiv im Beruf tätige Tierärztinnen und Tierärzte übrig. Davon arbeiteten im Jahr 2023 etwa zwei Drittel (68 %) in einer Groß- oder Kleintierpraxis bzw. einer Tierklinik, wie Übersicht 1 verdeutlicht. 5,5 % hatten einen Job in der Tiergesundheitsindustrie und 22 % arbeiteten im öffentlichen Dienst. Weitere 4,5 % der Tierärzteschaft waren in anderen Berufsfeldern aktiv, z. B. in der Futtermittelindustrie.

Übersicht 1: Tätigkeitsfelder der Tierärzte*

Es stimmt auch nicht, dass das Interesse an der Arbeit in einer Tierarztpraxis nachgelassen hat und sich die Studienabgänger eher für den öffentlichen Dienst oder die Pharmaindustrie entscheiden. Das Interesse an der Tätigkeit in einer Tierarztpraxis ist gleich groß geblieben (siehe Übersicht 2).

Übersicht 2: Keine Abwanderung aus der Praxis

Was sich allerdings geändert hat, ist das prozentuale Verhältnis von Praxisinhabern und angestellten Tierärzten. Vor 20 Jahren war der Anteil der niedergelassenen Nutztierärzte mit eigener Praxis noch mehr als doppelt so groß (72 %) wie der Anteil der angestellten Veterinäre (28 %). Der stieg in den Folgejahren aber an. Im Jahr 2023 war das Verhältnis zum ersten Mal ausgeglichen (Übersicht 3) und es steigt weiter an.

Übersicht 3: Immer mehr angestellte Tierärzte

Scheinbar scheuen immer mehr Tierärztinnen und Tierärzte das finanzielle Risiko, den bürokratischen Aufwand, die Personalverantwortung und die Probleme bei der Personalplanung als Praxisinhaber oder Teilhaber. Gleichzeitig werden die Praxen immer größer.

„Mehr als ein Drittel aller männlichen Tierärzte ist älter als 60 Jahre.“

Es stimmt zudem, dass das tierärzt­liche Berufsfeld von Frauen dominiert wird. Der Frauenanteil liegt aktuell bei 71 % (Übersicht 4). Und er wird künftig auch noch steigen, denn an den Hochschulen für Tiermedizin beträgt er bereits 87 %!

Parallel dazu sinkt der Männeranteil im Beruf. Im Jahr 2023 lag er bei 29 %. Und die männlichen Tierärzte werden im Schnitt immer älter. 64 % von ihnen sind aktuell über 50 Jahre alt. Mehr als ein Drittel (35 %) hat sogar schon die 60 überschritten. In den nächsten 10 bis 15 Jahren geht ein Großteil von ihnen in den Ruhestand. Mehr als 3.000 Praxen müssen demnächst eine Nachfolgelösung finden. Einige von ihnen haben – mangels Nachfolge – inzwischen bereits ihre Praxen an größere Tierarztketten (siehe Kasten Seite 49) verkauft. Sie bleiben häufig aber noch als Geschäftsführer in ihren Praxen. 

Liegt es an den Abinoten?

Doch woran liegt es, dass immer weniger Männer Tiermedizin studieren? An den vermeintlich schlechteren Abinoten? Fakt ist, dass das Studium der Tiermedizin zulassungsbeschränkt ist. Für die Vergabe der Studienplätze im Fach Tiermedizin ist die Abinote ein wesentliches Kriterium.

Statistisch gesehen haben 2023 bundesweit 36.623 Abiturienten einen Notendurchschnitt von 1,0 bis 1,4 erreicht. Das ist eine gute Grundlage für die Bewerbung um einen Studienplatz in Tiermedizin. Doch schneiden die männlichen Abiturienten hier wirklich so viel schlechter ab als die Frauen? In Nordrhein-Westfalen betrug der Männeranteil bei diesen „Musterschülern“ im vergangenen Jahr 37 %.

Theoretisch hätten sich also mehr Männer für einen Veterinärstudienplatz bewerben können. Getan haben es in den letzten zehn Jahren aber nur zwischen 14 und 17 %. Der Beruf scheint bei den männlichen Studenten zunehmend an Attraktivität zu verlieren. Auf die Beweggründe gehen wir später ein.

Weniger Nutz- und mehr Haustiere

Die Kundschaft der Tierärzte hat sich in den letzten Jahren deutlich verändert. Bei den Nutztieren haben der Strukturwandel in der Landwirtschaft und die unsicheren politischen Rahmenbedingungen zu einem deutlichen Aderlass geführt. Im Mai 2024 gab es deutschlandweit nur noch 15.700 Schweinehalter. Innerhalb von zehn Jahren haben 42 % der Betriebe für immer die Stalltüren geschlossen und der Schweinebestand um ein Viertel.

Auch bei den Rinderhaltern ist der Trend rückläufig. Aktuell gibt es noch rund 103.000 Halter. Das entspricht einem Rückgang von 33 % in den letzten zehn Jahren. Lediglich in der Geflügelhaltung blieb der Tierbestand von 2014 bis heute weitgehend konstant.

Im Gegensatz zu den Nutztierbeständen ist der Haustierbestand geradezu explodiert. Er verdoppelte sich in den letzten 20 Jahren. Am beliebtesten sind Katzen, 2023 waren es etwa 15,7 Millionen. Auf Platz 2 folgt der Hund mit 10,5 Mio. Tieren. Und auf Platz 3 kommen Kleintiere wie Kaninchen, Meerschweinchen und Vögel.

Häufig sind die Haustiere Kinderersatz oder werden wie gleichberechtigte Familienmitglieder behandelt. Für sie erwarten die Besitzer eine adäquate Behandlung. Die meisten sind auch bereit, dafür tief in die Tasche zu greifen.

Mehr Teilzeitbeschäftigte

Der Tierarztberuf wird also immer mehr zur Domäne der Frauen. Das Fatale daran ist aber, dass gerade die Frauen das Angestelltenverhältnis in der Praxis bevorzugen. Während sich der Anteil der angestellten männlichen Tierärzte in den letzten 20 Jahren verdoppelt hat, verdreifachte er sich bei den Frauen (siehe Übersicht 5).

Eine mögliche Erklärung ist, dass der Großteil der angestellten Tierärztinnen nur in Teilzeit arbeiten kann oder will, weil sie sich nach der Geburt und Elternzeit neben ihrem Job um die Erziehung und die Betreuung ihrer Kinder kümmern müssen.

Aufgrund des Mutterschutzgesetzes können Tierärztinnen schon während der Schwangerschaft und Stillzeit häufig nur eingeschränkt in einer Tierarztpraxis tätig sein. Ab sechs Wochen vor dem errechneten Entbindungstermin und bis zu acht Wochen danach besteht ein generelles Beschäftigungsverbot für Tierärztinnen in einer tierärztlichen Praxis. Denn aufgrund der Tierkontakte ist die Infektionsgefahr zu groß.

Bei angestellten Tierärztinnen sind die Ausfallzeiten häufig noch länger. Denn bei ihnen kann je nach Gefährdungslage bereits von Beginn der Schwangerschaft bis zur Entbindung ein schwangerschaftsbedingtes Beschäftigungsverbot greifen. Und daran kann sich noch ein stillbedingtes Beschäftigungsverbot anschließen. Dann folgt die Elternzeit. Um den ­gesetzlichen Anspruch auf 14 Monate Basiselterngeld zu wahren, müssen sich beide Elternteile an der Betreuung der Kinder beteiligen. Erfahrungsgemäß nehmen die Väter aber nur zwei Monate Elternzeit und die Frauen, in diesem Fall die Tierärztinnen, die restlichen zwölf Monate. Meist bleiben die Mütter dann bis zum Ende der Grundschulzeit des jüngsten Kindes für die Betreuung des Nachwuchses zuständig.

Daraus kann man schlussfolgern: Es droht in den nächsten Jahren kein allgemeiner Tierärztemangel. Aufgrund des steigenden Frauenanteils und deren häufigerer Teilzeitbeschäftigung zeichnet sich aber ein Mangel an verfügbaren Arbeitsstunden ab.

Den Beruf attraktiver machen

Bleibt die Frage, wie man gegensteuern und den Tierarztberuf auch für Männer wieder attraktiver machen kann? Ein Grund für die abnehmende Attraktivität ist neben der hohen Arbeitsbelastung und den anfallenden Notdiensten sicherlich die schlechte Bezahlung angestellter Berufseinsteiger.

Repräsentative Daten zu den Arbeitsbedingungen und Gehältern in deutschen Tierarztpraxen gibt es zwar nicht, aber verschiedene Stichprobenstudien. Vor 20 Jahren verdienten angestellte Tierärzte, die in den Beruf einstiegen, im Mittel 2.500 € bei 48 geleisteten Wochenarbeitsstunden. Dabei gab es deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern.

Die aktuellste Umfrage stammt aus dem vergangenen Jahr. Dabei ergab sich ein mittleres (Median) Einstiegsgehalt für angestellte Tierärzte von 4.286 €. Frauen hingegen verdienten bei gleichem Arbeitspensum im Mittel nur 3.500 €.

Mehr ausländische Tierärzte

Eine weitere Möglichkeit, den Tierärztemangel kurzfristig abzupuffern, wäre, mehr ausländische Tierärzte zuzulassen. Laut Statistik waren 2023 rund 2.500 Tierärztinnen und Tierärzte ohne deutsche Staatsangehörigkeit Mitglied einer Landestierärztekammer. Das entspricht etwa 7 % aller Tierärzte. Auffallend ist, dass der Männeranteil bei den Tierärzten ohne deutsche Staatsangehörigkeit mit 44 % deutlich höher ist als bei der deutschen Tierärzteschaft.

Im Vergleich mit anderen EU-Ländern und der deutschen Humanmedizin, schneidet die Veterinärmedizin in puncto Zulassung ausländischer Fachkräfte jedoch schlechter ab. Hier gäbe es also noch Potenzial. Ziel wäre die Anerkennung von 250 bis 300 ausländischen Tierärzten pro Jahr. Tatsächlich sind es aber nur etwa 100, denn das Prüfungs- und Zulassungsverfahren ist aufwendig. Es dauert im Schnitt sechs bis acht Jahre!

Bewerber aus Nicht-EU-Ländern müssen z. B. in bis zu 15 Prüfungen nachweisen, dass ihre Abschlüsse den Anforderungen der deutschen Approbation entsprechen. Geprüft wird ausschließlich in deutscher Sprache. Auch das ist für viele eine hohe Hürde.

Tierärzte entlasten

Wenn es an verfügbaren Arbeitsstunden mangelt, muss man auch darüber nachdenken, wie die Tierärzte entlastet werden können. Hier gibt es zwei Ansätze. Auf der einen Seite besteht ein zunehmender bürokratischer Aufwand, z. B. bei der Dokumentation des Arzneimitteleinsatzes. Der Gesetzgeber hat versprochen, diesen Aufwand zu reduzieren. Bei der Novellierung der Tierärztlichen Hausapothekenverordnung wurde hier bereits ein erster Schritt getan. Es gibt aber noch viele andere Bereiche.

Darüber hinaus fallen in den Praxen viele Routinearbeiten an, bei denen die Tiermedizinischen Fachangestellten (TFA) ihre Chefs entlasten könnten. Die meisten TFAs sind hoch motiviert, aber schlecht bezahlt. Die Qualifikation der TFAs ließe sich durch Fortbildungsmaßnahmen verbessern. Um den Anreiz zu erhöhen, sollte die Fortbildung aber nicht an Wochenenden stattfinden, sondern während der Arbeitszeit. Und die zusätzliche Qualifikation müsste sich in einer entsprechenden Gehaltserhöhung widerspiegeln.

Tierarzt-Ketten kaufen Praxen auf

Seit 2015 kaufen große Tierarztketten, die Investoren gehören und auf Gewinnmaximierung ausgelegt sind, auch in Deutschland größere Tierarztpraxen und Tierkliniken auf. Zunächst vor allem im Kleintierbereich, inzwischen aber auch Pferde- und Nutztierpraxen. Die Recherche zum Tierärzte Atlas ergab, dass es in Deutschland (Stand August 2024) rund 450 Praxisstandorte gibt, die von 16 unterschiedlichen Tierarztketten betrieben werden.

Die größten in Deutschland vertretenen Tierarztketten sind „AniCura“ (19 % der Standorte), „IVC Evidensia“ (ebenfalls 19 %) und „Tierarzt plus Partner“ (TPP) mit 22 % aller Kettenstandorte. Die restlichen Standorte (41 %) verteilen sich auf kleinere Tierarztketten.

Eigentümer von AniCura ist Mars-Petcare, ein Subunternehmen des amerikanischen Mars-Konzerns. IVC Evidensia gehört mehrheitlich dem schwedischen Unternehmen EQT Partners AB. Der Schweizer Nestlé-Konzern und die amerikanische Silver Lake-Gruppe halten jeweils eine Minderheitsbeteiligung. Und Tierart plus Partner gehört mehrheitlich der britischen Investmentgesellschaft Inflexion. 

Ihre Meinung ist gefragt

Wie betrifft Sie ein möglicher Tierärztemangel? Wie ist die tierärztliche Versorgung in Ihrer Region und für Ihren Betrieb? Haben Sie Fragen oder Anmerkungen zum Artikel?

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