Unsere Autorin: Rita Reichenbach Lachenmann ist Agrarwissenschaftlerin und Pädagogin.
Wir alle umgeben uns gerne mit Menschen, die uns gut finden und bejahen. Kritik anzunehmen, fällt dagegen häufig nicht so leicht. Auch sie zu äußern, hat seine Tücken. Denn bevor wir kritisieren, sollten wir unsere Beweggründe reflektieren. Ist die Rückmeldung berechtigt oder spielen andere Motive eine Rolle? Macht die Auszubildende Anna nur deshalb eine spitze Bemerkung über den Stall-Hygieneplan von Studentin Yvonne, weil sie in Konkurrenz zu dieser steht?
Kritik im beruflichen Kontext
Aber nehmen wir mal an, eine Kritik ist angebracht. Ein Beispiel: Ein Landwirtsehepaar ist mit seinem Mitarbeiter Stefan fachlich sehr zufrieden, aber es gibt ein Problem. Er kommt – nicht immer, aber häufig – zu spät zum morgendlichen Melken. Was tun?
Während Landwirt Alexander sich auf ein klärendes Gespräch mit Stefan vorbereitet, fällt ihm auf, dass dieser vor allem dann unpünktlich ist, wenn er Wochenenddienst hat. So merkt Alexander zu Beginn der Unterhaltung an:
„Lieber Stefan, wir sind froh, dass Du unser Mitarbeiter bist. Du bist unser Milchkuh-Experte und erkennst kleinste Anzeichen, wenn mit einem Tier etwas nicht stimmt.“ Mit einer guten Prise Humor fügt Alexander dann hinzu: „Eine Entwicklungschance sehe ich aber noch: Die Pünktlichkeit, insbesondere am Wochenende, muss besser werden.“ Daraufhin erzählt Stefan, dass er ab Freitagabend feiert und das Wochenende genießt. Daher komme er zu spät.
Unpünktlichkeit beim Wochenenddienst
Gemeinsam spielen Alexander und Stefan daraufhin verschiedene Lösungswege durch und sammeln – ohne gleich die Schere im Kopf zu haben („geht nicht …“) – verschiedene Ideen:
Lösungsidee: Stefan, der zweimal pro Monat Wochenenddienst hat, arbeitet nicht mehr samstags und sonntags, dafür aber unter der Woche mehr.
Lösungsidee: An den Dienstwochenenden verzichtet er aufs Feiern.
Lösungsidee: Zwei andere Mitarbeiter werden um Hilfe gefragt.
Letztlich ergibt sich die Lösung dadurch, dass ein anderer Mitarbeiter bereit ist, einen Wochenenddienst für Stefan zu übernehmen. Ansonsten soll er das Feiern deutlich früher beenden, um am nächsten Morgen pünktlich zu sein.
Im privaten Umfeld
Auch im Umgang mit der Familie, dem Partner oder der Partnerin und Freunden äußern wir schnell mal Kritik. Aber steht es uns zu, die Art, wie der andere die Geschirrspülmaschine ausräumt, negativ zu kommentieren, nur weil er es anders macht als ich? Ist eine Rückmeldung eher angebracht, wenn ich davon betroffen bin – etwa wenn die Kühlschranktür häufig offen bleibt?
Im Alltag kritisieren wir tendenziell eher, als dass wir würdigen.“
Hier kann die sogenannte VW-Regel helfen: Demnach sollten wir uns darin üben, einen Vorwurf in einen Wunsch umzuwandeln. Während Erster sich auf die nicht mehr veränderbare Vergangenheit bezieht, ist Letzter in die Zukunft gerichtet. Ein Wunsch erhöht die Chance, dass das Gegenüber zuhört und nicht zum Gegenvorwurf ausholt. Anstatt dem Ehemann zu sagen, „Immer geht es bei Dir nur um den Betrieb“, ist es hilfreicher, das eigentliche Bedürfnis zu äußern: „Ich würde gerne mal wieder mit Dir tanzen gehen.“
Feedback annehmen
Je näher die Beziehung zu einer anderen Person ist, desto empfindsamer sind wir meist. Dann nehmen wir Feedback rasch persönlich und geraten in Verteidigungsmodus oder gehen in Rückzug. Folgende Punkte können helfen, anders damit umzugehen:
Zuhören und ausreden lassen, möglichst nicht in Abwehrhaltung gehen. Auf Rechtfertigung verzichten.
Sich überlegen: Ist die Kritik berechtigt? Kann ich mich in diesem Aspekt verbessern? Gerade im beruflichen Kontext ist es förderlich, Kritik als Chance zur Entwicklung zu sehen. Denn Fehler sind keine Makel, sie sind Helfer.
Nachfragen und wiedergeben, z. B.: „Habe ich Dich richtig verstanden? Du findest meinen Hygieneplan zwar in der Sache korrekt, aber in der Praxis nicht umsetzbar? Könntest Du bitte Deine Bedenken konkretisieren?“
Sagen: „Ja, das kann ich nachvollziehen. Das leuchtet mir ein.“ Oft ist es auch gut, sich einen Zeitpuffer zu schaffen, indem man ankündigt: „Ich werde darüber nachdenken und gebe Dir bis … eine Rückmeldung.“
Aber: Neigt der Kritisierende zu emotionalem Kontrollverlust, wird persönlich und abwertend, sollte man Einhalt gebieten und deutlich machen, dass ein Gespräch so keinen Sinn ergibt: „Ich möchte nicht, dass Du in diesem Ton mit mir sprichst.“ Für ein ruhiges, sachliches Gespräch muss ein neuer Termin gefunden werden.
Verhältnis von Kritik und Lob
Eins sollten wir jedoch nicht vergessen: Im Alltag kritisieren wir tendenziell eher, als dass wir würdigen – nach dem Motto: „Nichts gesagt, ist genug gelobt.“ Das kann menschliches Miteinander jedoch hemmen. Denn jeder sehnt sich nach Anerkennung und Wertschätzung. Wie bei einem Klettverschluss bleibt Kritik in unserem Gehirn nämlich länger haften; Lob perlt – wie bei einer Teflonpfanne – schneller ab.
Deshalb empfehlen Psychologen die 5:1 Regel. Das heißt, man sollte fünfmal so viel würdigen wie kritisieren. Vor allem gilt es, Wertschätzung nicht nebenbei zu äußern, sondern in einem angemessenen Rahmen. Und: Anerkennung stärkt umso mehr, wenn sie echt gemeint ist und eine konkrete Qualität benennt. Nicht „Du bist toll“, sondern „Danke, dass Du bereit warst, länger zu arbeiten. Jetzt konnten wir das Heu noch vor dem Unwetter einbringen.“
Viele Studien zeigen: In Familien oder Betrieben, die ein Klima der Wertschätzung leben, wird Kritik eher angenommen – eben weil die Beteiligten ein wohlwollendes Fundament haben und sich gegenseitig wertschätzen.
Regeln konstruktiver Kritik
Ein Thema frühzeitig ansprechen, bevor Emotionen hochkochen.
Auf einen geeigneten Zeitpunkt und eine ruhige Atmosphäre achten.
Sachlich und anständig bleiben.
Auf Machtspiele und Abrechnung verzichten. Keine Kritik vor versammelter Mannschaft.
Sich sorgfältig vorbereiten.
Mit und ohne Worte zum Ausdruck bringen, dass man es gut meint und dem Kritisierten wohlgesinnt ist.
Es kann hilfreich sein, wenn am Beginn eine konkrete, ehrlich gemeinte Würdigung steht – aber nicht als strategisches Spielchen! Wird nämlich immer nur dann Anerkennung geäußert, wenn danach Kritik folgt, geht das Gegenüber verständlicherweise in „Hab-Acht-Stellung“.
In Ich-Botschaften präzise das Problem und eine konkrete Situation benennen. Auf Formulierungen wie „typisch“, „immer“, „nie“ und Vorwürfe verzichten.
Beim Thema bleiben. Humor, nicht Ironie, ist ein wunderbarer Begleiter.
Ein Aspekt, der oft vernachlässigt wird: Fragen, wie der Kritisierte es sieht, gemeinsam nach Ursachen suchen und Lösungen andenken.