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Regierungswechsel US-Zölle auf Agrarprodukte Frauen in der Landwirtschaft

topplus Porträt einer Bäuerin

Diagnose Gaumenkrebs: Ein Leben zwischen Landwirtschaft, Mut und Motivation

Bäuerin Doris Wolken war lange für ihr Dorf und die Region im Ehrenamt und der Politik aktiv – bis der Krebs ihre Stimme nahm. Heute kann sie wieder sprechen und schlucken und will anderen Mut machen.

Lesezeit: 6 Minuten

Mit einem breiten Lächeln im Gesicht öffnet Doris Wolken die Tür zu ihrem Elternhaus im friesischen Schortens bei Jever. Die Seefahrerstadt Wilhelmshaven liegt nur 15 km entfernt. Und fast wäre sie als junge Frau auch von dort aus als Köchin auf einem Kreuzfahrtschiff in See gestochen. Aber eben nur fast. Stattdessen traf sie beim Tanzabend ihren späteren Ehemann Otto. Auf seinem Betrieb mit Milchvieh und Ackerbau entdeckte sie schließlich auch die Freude an der Tierhaltung, am Gärtnern und der Hauswirtschaft. Inzwischen hat ihr Sohn übernommen und auf bio umgestellt.

Doris Wolken spricht leicht verlegen, aber dennoch gerne über die Vergangenheit. 20 Jahre war sie Ratsmitglied, von 2000 bis 2003 Schortens stellvertretende, ehrenamtliche Bürgermeisterin. 2019 erhielt sie sogar das Bundesverdienstkreuz. Doch bei fast allem, was sie getan hat, verwendet sie stets die Vergangenheitsform.

Annehmen und weiterleben

In den letzten Jahren wäre das natürlich nicht mehr gegangen, erzählt sie, und meint damit ihre hörbar ungewöhnliche Aussprache. Die Bäuerin klingt, als ob sie ohne Zähne spricht: das Resultat eines Gaumentumors, der im August 2020 diagnostiziert wurde.

Die Ärztin meinte nach der OP zu mir, dass ich nie wieder sprechen oder schlucken könnte und mit einer Sonde ernährt werden müsste“
Doris Wolken

Mit beiden Daumen und Zeigefingern formt Doris Wolken einen Kreis, der die Größe des Tumors zeigen soll. Die Folgen: Der Gaumen und Teile des Unterkiefers wurden komplett entfernt und teils rekonstruiert. Doris Wolkens Zunge ist im Mund fixiert. „Die Ärztin meinte nach der OP zu mir, dass ich nie wieder sprechen oder schlucken könnte und mit einer Sonde ernährt werden müsste“, sagt sie. Für die 73-Jährige war das eine Diagnose, die sie nicht hinnehmen wollte. Selbstständig zu sein, war ihr immer wichtig und das Essen ein zu großer Teil im Leben, um ihn kampflos aufzugeben.

Beharrliche Optimistin

Doris Wolken spitzt Daumen und Zeigefinger und tippt sie immer wieder aufeinander: ihr damaliges Zeichen für „reden, reden, reden“. Ihr heutiges, fröhliches Antlitz stellt mit einer Teetasse in der Hand unter Beweis, dass sie dieses Schicksal erfolgreich abwenden konnte. Leicht war das wahrlich nicht immer. „An schlimmen Tagen bin ich in den Garten gegangen“, sagt sie. „Ich wurde aber auch von vielen lieben Menschen aus meiner Familie und meiner Umgebung unterstützt und getragen.“

Ihren Garten hat sie in den vergangenen fünf Jahren komplett umgestaltet. Einmal verzierte sie einen Baum mit einem Gesicht. An einem anderen Tag gestaltete sie eine Sitzecke neu, dekorierte die Bäume und Sträucher oder legte Hochbeete und einen Kräutergarten in Zinnwannen an. Auch die Familie gab Halt. Die Schwiegertochter kam täglich ins Krankenhaus. Ihr Sohn gab ihr nach der ersten Operation die Motivation, die Weihnachtsdeko vom Dachboden zu holen. „Eigentlich wollte ich nicht, aber das Haus wieder schön zu machen, hat mich glücklich gemacht“, sagt sie.

Heute, fünf Jahre und zehn Operationen später, ist es Doris Wolken ein Anliegen, ihre Geschichte zu erzählen. Sie möchte anderen Menschen mit Schluckbeschwerden oder Sprachproblemen Hoffnung machen und ihre Erfahrung weitergeben. „Im Internet habe ich kaum Infos oder Hilfe gefunden“, sagt sie. Dabei gebe es viele einfache Tipps, die sie mit der Zeit entdeckt hat. So spült Doris Wolken z. B. jeden Tag den Mund mit Coca Cola light aus. „Das reduziert die Schleimbildung, es muss aber light sein“, sagt sie. Auch durch einen dicken Strohhalm Luftblasen in ein Wasserglas zu blasen, habe geholfen.

Das Auf und Ab der Gedanken

Ihr Mantra in dieser Zeit – und noch heute: „Du bist nicht krank, das ist nichts Bedrohliches“, sagt sie. Auch wenn das eine Einsicht war, die etwas Zeit brauchte. Geholfen habe auch eine Kur, die auf HNO-Patienten spezialisiert ist. Dort lernte sie z. B., dass es flüssiges Brot gibt. „Das sind gefrorene Scheiben, die man mit Frischkäse oder Marmelade beschmieren kann“, sagt sie. Diesen Geschmack zurückzubekommen, war ein echter Erfolg.

Manchmal püriere ich Tomaten, um bunte Sprenkel auf mein Essen zu machen."
Doris Wolken

Das Essen hat für die Seniorin einen hohen Stellenwert. So hat sie z. B. noch Jahre nach dem Tod ihres Mannes in dem Hospiz, in dem er untergebracht war, ein kaltes Büfett gekocht oder Wünsche für Leibspeisen erfüllt. In Doris Wolkens Augen sollte niemand allein essen. So wäre ihr Tipp für Angehörige von Menschen mit Schluckbeschwerden, normal zu kochen, das Essen zu pürieren und die Mahlzeiten gemeinsam zu essen. Auch wenn es zunächst ungewohnt ist, hätte diese Normalität in ihrer Erfahrung einen hohen Stellenwert.

„Anfangs habe ich viel gehustet, das war vor allem für meine 95-jährige Mutter schwer“, sagt sie. Was ihr bis heute hilft, ist auch hier auf die eigenen Gedanken zu achten. „Ein Schweinebraten schmeckt auch püriert wie ein leckerer Schweinebraten“, sagt sie. Das müsse man sich immer wieder bewusst machen.

Deshalb verzichtet sie auch darauf, einfach alles in einen Mixer zu werfen. Fleisch, Gemüse und Beilage püriert sie einzeln. Auch das Essen immer appetitlich anzurichten, ist ihr ein Anliegen: Das Auge isst mit. „Manchmal püriere ich Kirschtomaten, um ein paar bunte Sprenkel auf das Essen zu machen“, sagt sie.

Woher kommt die Energie?

Wie schafft Doris Wolken es, so fröhlich zu bleiben? „Das weiß ich auch nicht“, antwortet sie. Doch ihre Stimme klingt dabei in sich gekehrter, ruhiger – nachdenklich. Ihr verstorbener Mann sei in vielen Belangen ihr Vorbild. Er hat ihr mitgegeben, die Welt ausgeglichen und mit Humor zu betrachten. Auch im Dorf hat sie, nachdem sie den Gesprächen der Freunde lange schweigend zugehört hat, irgendwann Mut gefasst, zu reden.

Wie schön, sie kann wieder schimpfen!"

Die Reaktion eines Bekannten, mit dem sie in der Vergangenheit viel und gerne diskutiert hat: „Wie schön, sie kann wieder schimpfen!“ Doris Wolken ist sichtlich zufrieden, während sie diese Anekdote erzählt und fügt hinzu: Auf dem Maiwagen habe sie im letzten Jahr auch wieder eine Rede gehalten. „In Schortens weiß jeder, wieso ich so rede“, sagt sie. Mittlerweile leitet sie wieder den Chronikkreis, arbeitet ehrenamtlich im Stadt- und Dorfarchiv. Auch in der Kirche, in der sie über 30 Jahre lang Führungen angeboten hat, ist sie wieder aktiv.

Schön solls sein

Zuhause hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, die Dinge schön zu machen: am Kaffeetisch eine Kerze anzuzünden oder die Wohnung hübsch zu gestalten. Außerdem ist sie ein Freund von motivierenden Zitaten. Sie hängen als Schilder im Garten und liegen im Haus als Postkarten verteilt herum. Auf dem Nachttisch lag viele Jahre lang eine Karte mit der Aufschrift „Sei mutig“ und einer wackeligen Holzbrücke im Grünen. „Das ist mein Weg“, sagt sie und legt die Karte in ihr Notizheft, das Sprüche, Rezepte und Alltagsgedanken enthält.

Die Geschichte, wie sie wieder das Schlucken und Sprechen lernte, soll noch ein Buch werden. So wie sie da sitzt und sprudelnd stundenlang spricht, wird es wohl eine kurzweilige Lektüre über Motivation und Durchhaltevermögen, gespickt mit Alltagstipps und Rezepten. Einen Titel gibt es schon: „Na denn, ich will.“

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