Dieser Beitrag ist zuerst erschienen im "Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben".
Sobald wie möglich den Führerschein zu haben, war Tinus Lühn aus Altenberge im Kreis Steinfurt enorm wichtig. Er wollte schnell mobil und unabhängig sein. Ständig bei Wind und Wetter kilometerweit mit dem Fahrrad fahren oder die Eltern in Anspruch nehmen: Das waren für ihn keine Optionen. Mit seiner jüngeren Schwester Ida, den Eltern und Großeltern lebt er im Außenbereich. Eine Bushaltestelle ist weit entfernt, bis zum nächsten Ort sind es 5 km.
Erst Mofa, dann Klasse T, B, BE und A1
Und so hat er keine Zeit verloren: Mit vierzehneinhalb startete er mit dem Fahrschulunterricht. Zunächst bestand er die Prüfung für die Mofa, die Jugendliche mit 15 fahren dürfen. Danach blieb er Dauergast in der Fahrschule. Innerhalb von drei Jahren machte er die Fahrerlaubnis der Klasse T für den Trecker, die Klassen B und BE für den Pkw samt Anhänger sowie die Klasse A1 fürs Motorrad. Seine Zielstrebigkeit hat sich ausgezahlt: Mit 18 Jahren hatte Tinus tatsächlich die Fahrerlaubnis für die Mofa und sechs Fahrzeugklassen „in der Tasche“. Denn die Klasse T beinhaltet auch die Klassen L für kleinere Trecker und AM für Roller und Leichtkraftfahrzeuge bis 45 km/h.
8300 € für Führerscheine
Und mit jedem Führerschein wurden die Wege für den Jugendlichen komfortabler. „Das hat sich gelohnt“, strahlt er. Seit dem Erwerb der Klasse T mit 16 war er viel mit „Elfriede“ – wie der 45 km/h fahrende Leichtkraftwagen der Familie liebevoll genannt wird – unterwegs zu Freunden, Schule oder dem Betrieb, bei dem er seine Ausbildung zum Fleischer machte. Nachdem er diese gerade abschließen konnte, startet er an der Meisterschule – und ist froh, dafür mobil zu sein.
Doch: Hätten seine Eltern die Kosten nicht übernommen, hätte er die Führerscheine trotz Ausbildungsgehalt nicht machen können. „Insgesamt haben wir knapp 8300 € dafür gezahlt“, überschlagen Cordula und Stephan Lühn, während sie in dem dicken Ordner mit all den Rechnungen blättern: Rund 180 € für die Mofaprüfung, 1600 € für den Trecker-, 2900 € für den Pkw- plus 1000 € für den Anhänger- sowie knapp 2600 € für den Motorradführerschein. Seit mehr als einem Jahr hat auch Ida die Fahrerlaubnis der Klasse AM, und „Elfriede“ erleichtert ihr manchen Weg zum Gymnasium nach Münster und zu Freundinnen in anderen Orten. In Kürze beginnt die 16-Jährige mit dem Pkw-Führerschein plus Anhänger. Damit kann die Hobbyreiterin dann selbst den Pferdeanhänger fahren.
Dass die Kinder den Führerschein früh machen, war ihren Eltern ein großes Anliegen. Keine Frage, dass sie die beiden finanziell dabei unterstützen. „Mobilität ist vor allem im Außenbereich nötig und fürs Berufsleben eine wichtige Voraussetzung“, ist das Ehepaar überzeugt. „Das kann ihnen erst mal keiner nehmen. Und später wird es eher teurer“, meint Vater Stephan.
Preise steigen seit einigen Jahren spürbar
„Die Kosten für den Erwerb eines Pkw-Führerscheins in Deutschland sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen“, erklärt Andreas Hölzel vom Allgemeinen Deutschen Automobil-Club (ADAC). 1100 Fahranfänger zwischen 17 und 25 Jahren, die in den vergangenen vier Jahren den Führerschein gemacht haben, beteiligten sich vor gut einem Jahr an einer Umfrage des ADAC. Dabei kam Folgendes heraus:
Rund 45 %, also fast jeder Zweite der befragten Fahranfänger, bezahlte zwischen 2500 und 3500 € dafür, den Pkw-Führerschein der Klasse B zu machen. Bei etwa 34 % waren es weniger als 2500 €, bei 13 % zwischen 3500 und 4500 €. Darin enthalten waren Fahrschulstunden, Gebühren für Antrag und Prüfung, Sehtest, Erste-Hilfe-Kurs und Passbilder. Die Kosten variieren vor allem nach Anzahl der Fahrstunden, aber auch nach Region und Fahrschule.
Wegen der Preissteigerungen konnten immer weniger der befragten Fahranfänger den Führerschein selbst finanzieren. Während das vor vier bis fünf Jahren noch 47 % von ihnen gelang, schafften es vor etwa anderthalb Jahren nur noch 22 %.
Der Führerscheinerwerb dauert laut ADAC länger als vor einigen Jahren. Die meisten Befragten (59 %) brauchten mindestens sieben Monate bis zur bestandenen Prüfung.
Zusätzlich zu den zwölf vorgegebenen Sonderfahrten auf Autobahn, über Land und bei Nacht benötigten 42 % der an der Umfrage beteiligten Personen bis zu 20 weitere Fahrstunden, 32 % bis zu 30 und 11 % bis zu 40 Extrastunden.
Gestiegene Fahrzeug-, Sprit- und vor allem Personalkosten infolge der Inflation bewirken, dass das Preisniveau in den Fahrschulen besonders seit zwei Jahren spürbar nach oben geht, weist Hölzel auf den stetigen Aufwärtstrend der vergangenen Jahre hin. So erhöhten sich die Kosten für Fahrschule und Prüfungen laut Statistischem Bundesamt 2023 um 7,6 % gegenüber dem Vorjahr, im Jahr zuvor sogar um 10,8 %.
Dennoch: Der Führerschein ist nach wie vor begehrt. Die Zahl derer, die ihn machen, nehme seit Jahren zu, berichtet Claas Alexander Stroh vom TÜV Nord. Die Menge der Prüfungen erreichte einen neuen Höchstwert.
Aber auch die Durchfall-Quote stieg: Knapp 42 % der Fahrschüler haben laut Kraftfahrtbundesamt 2023 die Theorieprüfung nicht bestanden, ein Plus von 8,5 % im Vergleich zu 2022. Bei der praktischen Prüfung fielen rund 30 % durch.
Kosten frühzeitig einplanen
„Wenn Eltern die hohen Kosten für den Führerschein nicht zahlen können oder möchten, haben die Kinder meist keine Chance, ihn zu machen, und sind im Berufsleben benachteiligt“, sieht Mutter Cordula die Entwicklung problematisch, vor allem für Familien mit mehreren Kindern in kurzen Altersabständen. Stephan Lühn rät, die Ausgaben früh einzuplanen. „Das ist sehr viel Geld, das man meist nicht so übrig hat, und es zieht sich über lange Zeit. Das zehrt“, blickt er zurück. Dass Tinus so früh mit dem Unterricht begonnen hat und sie ihn ständig motivierten, am Ball zu bleiben, habe Geld gespart. Hilfreich sei, den Nachwuchs vorab mit den Fahrzeugen vertraut zu machen, etwa sich gemeinsam hineinzusetzen und viel zu erklären. Das spare wertvolle Zeit in der Fahrschule, ist die Erfahrung von Familie Lühn. Die Fahrpraxis, die Tinus durch Mofa, Leichtkraftwagen und Trecker sammeln konnte, zahlte sich bei Dauer und Kosten für die Pkw-Fahrerlaubnis letztlich aus.
„Hauptgrund dafür, dass die Preise für den Führerschein so gestiegen sind, sind die höheren Personalkosten“, erklärt Alexander Leewe, der eine Fahrschule mit drei Standorten im Kreis Steinfurt betreibt. Die höheren laufenden Kosten etwa für Energie schlagen ebenso zu Buche.
Immer mehr fallen durch
Auch dass Fahrschüler zunehmend die Prüfungen wiederholen müssen, nicht selten auch mehrfach, treibt die Gesamtkosten teils stark hinauf, betonen Experten. Die Quote der nicht bestandenen Prüfungen ist hoch (siehe Kasten oben). Claas Alexander Stroh vom TÜV Nord führt das vor allem auf die komplexer gewordene Verkehrssituation, etwa durch die höhere Pkw-Dichte und zusätzliche Verkehrsteilnehmer wie E-Scooter, zurück. So hoch wie im bundesweiten Mittel sei die Durchfallquote hier in der eher ländlichen Region aber nicht, ordnet Leewe ein. Doch auch hier steigen die Zahlen.
„Die Theorieprüfung ist zudem anspruchsvoller geworden“, macht er weitere Ursachen deutlich. „Mit beinahe 1200 Aufgaben ist der Fragenkatalog viel umfangreicher als früher, jährlich kommen neue hinzu“, schildert er. Neben klassischen Multiple-Choice-Fragen, bei denen die Prüflinge Antworten ankreuzen, müssen sie in Videosequenzen das richtige Verhalten im Straßenverkehr finden. Ihr Wissen eignen sie sich nach wenigen Theorieeinheiten vor Ort über eine App zu Hause an. Wer genug übt und wenig Fehler macht, dessen Status springt von Rot über Gelb auf Grün. Die Fahrschule erhält eine Mitteilung und meldet den Schüler zur Prüfung an. „Die Kontinuität beim Lernen hat dadurch abgenommen“, sieht Leewe. „Der Besuch in der Fahrschule etwa an zwei Tagen pro Woche hatte früher auch eine soziale Komponente. Häufig traf man dort Freunde und war motivierter zu lernen“, erinnert er sich.
Orientierung im Wohnort fehlt zunehmend
Bei den Fahranwärtern beobachten er und sein Team Veränderungen. Immer mehr könnten sich schlecht über längere Zeit konzentrieren und mit Stress in Verkehr oder Prüfung umgehen. „Auffällig ist auch die zunehmende fehlende Orientierung im Wohnort“, so der Fahrlehrer. Gründe sieht er darin, dass viele junge Leute heute seltener zu Fuß und mit dem Rad unterwegs sind als früher. So fahren sie weniger vorausschauend und schlittern vermehrt in Situationen, in denen sie sich plötzlich neu zurechtfinden und reagieren müssen. Das führt zu Fehlern und erfordert mehr Übungsstunden, was wiederum die Kosten hochtreibt. Oft schauen Heranwachsende als Beifahrer auf ihr Smartphone statt aktiv am Verkehrsgeschehen teilzunehmen. So fehle das Gespür, wie in Situationen zu reagieren ist, beobachtet Claas Alexander Stroh vom TÜV.
Konzepte vergleichen
Viele Fahrschulen versuchen, den Preissteigerungen mit diversen Angeboten gegenzusteuern, weiß Leewe. So setzt er seit neun Jahren Fahrsimulatoren ein, an denen sich etwa das Schalten kostengünstiger üben lässt als in einer Fahrstunde. Auch Intensivkurse mit Blockunterricht helfen, schneller ans Ziel zu kommen. Sein Tipp: Eltern sollten nicht auf den letzten Euro beim Fahrstundenpreis schielen, sondern mit ihren Kindern vorab in die Fahrschulen gehen. Dort könnten sie sich dann die Konzepte erklären lassen und schauen, welche Klassen sinnvoll sind und sich zu einem Paket schnüren lassen. Einige Fahrschulen geben zum Beispiel Rabatte, wenn Jugendliche mehrere Prüfungen machen wollen.
Auf der Wunschliste von Tinus Lühn steht nur noch der Lkw-Führerschein. Den bräuchte er unter anderem, um im Job den Marktwagen fahren zu dürfen. „Das würde aber um die 9000 € kosten“, weiß er. Er hofft auf Unterstützung vom Arbeitgeber oder von der Freiwilligen Feuerwehr, bei der er aktiv ist. Kreative Ideen sind gefragt – bei Tinus und vermutlich auch bei vielen weiteren Jugendlichen auf dem Weg zum Autoführerschein. Denn: Durch die hohen Preise wird sich nicht jeder diesen mehr leisten können. Das lässt die Chancen für junge Leute bei Mobilität und im Job zunehmend auseinanderdriften. Wer die Mittel nicht hat, hat dann das Nachsehen.