Die Ukraine ist ein agrarwirtschaftlicher Riese, kein Wunder, dass sich Landwirte in der EU Sorgen machen, dass der europäische Markt nach einem Beitritt des osteuropäischen Landes mit Agrarrohstoffen von dort überflutet wird. Auf der Grünen Woche in Berlin bemühte sich der ukrainische Landwirtschaftsminister Witalij Kowal, diese Befürchtungen zu zerstreuen.
Exporte über Seehäfen statt EU-Festland
Die zurückliegenden Kriegsjahre und die Marktverwerfungen, die nicht zuletzt in Polen zu Demonstrationen von Landwirten geführt hatten, waren nach Darstellung des Ministers Sonderfaktoren geschuldet. Damals wurden wegen der Schwarzmeerblockade große Mengen an Ukraineware quer durch die EU transportiert, auch mit Folgen für die dortigen Märkte. „Das war eine klare Belastung für die Nachbarländer“, räumt Kowal ein. Das habe auch Ängste hervorgerufen. Inzwischen exportiert die Ukraine wieder über die Seehäfen und damit vorrangig Richtung anderer Weltregionen. Das soll auch so bleiben. Kowal: „2022 und 2023 werden sich nicht wiederholen.“
Fakt ist aber auch, dass im vergangenen Jahr nach Angaben des Kiewer Agrarressorts 57 % der ukrainischen Exporte in die Europäische Union gingen. Der Minister sieht das aber nicht als problematisch an. Er weist darauf hin, dass die meisten Waren, die von der Ukraine exportiert werden, unter 5 % des Marktanteils der Empfängerländer liegen. Marktbeeinflussung sei dadurch nicht zu erwarten.
Verlängerung der Handelserleichterungen bis Ende 2027?
Die Exporte seien das Eine, gleichzeitig importiere die Ukraine aber auch zahlreiche Waren aus der EU, argumentiert Kowal. Das betreffe beispielsweise gerade Produktionsmittel wie Diesel, Saatgut und Landtechnik. Allein 75 % der Produktionskosten im Mais stammten beispielsweise aus solchen importierten Vorprodukten.
Aktuell gelten für das Land die autonomen Handelsmaßnahmen (ATM). Dies bedeutet, dass für einen Großteil der ukrainischen Agrarprodukte Einfuhrzölle und -kontingente ausgesetzt sind. Diese Regelung läuft allerdings zum 5. Juni aus. Kowal plädiert für eine erneute Verlängerung der Sonderregelung bis Ende 2027. Das soll Zeit verschaffen, die Bedingungen für eine längerfristige Regulierung der EU-Zugangsbedingungen für die Ukraine auszuhandeln. Kowal will hier eine für beide Seiten tragfähige Lösung und betont: „Wir wollen den deutschen und europäischen Landwirten keine Probleme bereiten.“ Deshalb müsse man insbesondere bei Zucker und Mais genau hinschauen.
Spielregeln der EU einhalten
Aber wie wird das funktionieren, wenn das Agrarland Teil der EU beitreten sollte und dementsprechend frei liefern könnte? Auch hier sieht Kowal keine unüberwindbaren Hürden: Sollte die Ukraine Teil der Union werden, werde man hinsichtlich der Ernten und Exportmengen prognostizierbar sein und die Spielregeln der EU einhalten, verspricht der Minister.
Allerdings stellt der Beitritt der Ukraine die Europäische Union auch vor die Herausforderung, das Agrarland in die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) zu integrieren. Das würde das EU-Agrarbudget wegen der enormen Flächen in der jetzigen Förderstruktur wohl überlasten. Kowal zufolge ist sich die Ukraine der Bedeutung der europäischen Subventionspolitik im Bereich der Landwirtschaft bewusst. Er sagt: „Wir sind bereit, uns an die EU-Standards und -Regeln anzupassen, insbesondere an die Gemeinsame Agrarpolitik.“
Gemeinsam Ernährungssicherheit stärken
Hauptziel des Ukrainebeitritts ist nach Darstellung des Agrarministers jedoch nicht nur die finanzielle Unterstützung, sondern die Entwicklung eines wettbewerbsfähigen und nachhaltigen Agrarsektors, der zur Stärkung der Ernährungssicherheit der EU insgesamt beitragen wird: „Wir streben danach, für Europa keine Belastung zu sein, sondern im Gegenteil ein Partner, der einen Mehrwert bringt.“
Laut Kowal ist den Partnern in Kiew auch klar, dass der Integrationsprozess gegenseitige Verpflichtungen und einen Interessenausgleich aller Mitgliedsländer erfordert. Im Rahmen dieses Dialogs sei die Ukraine bereit, Fördermodelle zu diskutieren, die die Bedürfnisse sowohl der ukrainischen Landwirte als auch der europäischen Gemeinschaft im Allgemeinen berücksichtigen.