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topplus Ukraine im Krieg

Ukraine-Politiker Haidu: Importbeschränkungen durch die EU nicht hinnehmbar

Die Ukraine sehe sich als Partner der EU, nicht als Konkurrent, betont der ukrainische Parlamentspolitiker Oleksandr Haidu im top agrar-Interview. Agrarexport bleibt ihm zufolge aber eine Priorität.

Lesezeit: 8 Minuten

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine dauert bereits rund 1.000 Tage und wechselt in eine neue entscheidende Phase. top agrar sprach am Rande eines Berlin-Besuches mit dem Leiter der Arbeitsgruppe Ernährung und Landwirtschaft im ukrainischen Parlament, Oleksandr Haidu, über die Lage der Landwirtinnen und Landwirte vor Ort, die agrarpolitischen Hürden eines Beitritts in die EU und den Blick nach vorne in herausfordernden Zeiten.

"Die Vereinigten Staaten und Deutschland sind strategische Partner der Ukraine"

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine dauert nun schon fast drei Jahre an. In der ersten Phase hörten wir von vielen Problemen in der ukrainischen Landwirtschaft, wie z. B. dem Mangel an Treibstoff, Saatgut und Düngemitteln. Seitdem sind diese Berichte verschwunden. Wie kommen Ihre Landwirte mit den derzeitigen schwierigen Bedingungen zurecht?

Oleksandr Haidu: Der Krieg gegen die Ukraine dauert nun schon seit rund 1.000 Tagen an. Im Vergleich zu den großen Problemen zu Beginn des Krieges sind unsere Bedürfnisse nicht mehr so groß, aber sie sind nicht völlig verschwunden. Treibstoff ist immer noch teuer, Pestizide sind teuer, Düngemittel sind teuer. Die Strompreise sind gestiegen - wegen des Krieges und der Inflation.

Sie haben sicherlich mitbekommen, dass die Raketenangriffe in den letzten Monaten zugenommen haben, insbesondere im Westen des Landes. Unsere Exporthäfen, die Logistik- und Verarbeitungsindustrie sowie die Energieanlagen werden ständig angegriffen. Vor diesem Hintergrund sind unsere Landwirte für mich echte Helden. Sie kämpfen - wenn ich das so sagen darf - an der Agrarfront. Das ist unsere eigene Front, unabhängig von der Frontlinie im Osten. Ihre Aufgabe ist es, unsere Lebensmittelversorgung zu sichern.

Die Gesamtproduktion von Waren und Gütern im Agrarsektor betrug 134 Mio. t im Jahr 2021, 94 Mio. t. im Jahr 2022 und 103 Mio. t im Jahr 2023. Das heißt, wir sind noch nicht in der Lage, das Vorkriegsniveau zu erreichen, und die Produktion im Jahr 2022 ist im Vergleich zum Vorkriegsjahr 2021 um 30 % zurückgegangen. Die Situation bleibt schwierig. Vergessen Sie nicht, dass die von den russischen Invasoren besetzten Gebiete unbeackert bleiben müssen.

Was erwarten Sie diesbezüglich in den kommenden Monaten und wie hat sich die Situation für die Ukraine durch die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten verändert? Was braucht die Ukraine jetzt?

Oleksandr Haidu: Es gab Wahlen in den USA, es wird Wahlen in Deutschland geben. Unabhängig von den Wahlen in diesen beiden Ländern haben wir in der Ukraine noch eine Menge zu tun. Die Vereinigten Staaten und Deutschland sind strategische Partner der Ukraine.

Noch einmal: Wir müssen zuallererst die Versorgung unserer Bürger mit Lebensmitteln sicherstellen. Wir sind jedoch zuversichtlich, dass sich in den Handelsbeziehungen mit den Vereinigten Staaten etwas ändern kann. Die USA sind ein interessanter Markt für uns. Die USA könnten unter der neuen Regierung an einer Ausweitung des Handels mit der Ukraine interessiert sein. Traditionelle Exportprodukte nach Nordamerika könnten Zucker und Geflügel sein.

Stärken die europäische Ernährungssicherheit

Dennoch ist die Ukraine ein landwirtschaftlicher Riese, wie viele Betriebe in Ihrem Land. Deshalb sind viele Landwirte in der EU besorgt über den Beitritt der Ukraine zur EU. Besteht nicht die reale Gefahr, dass unsere Länder mit riesigen Mengen an Getreide und Ölsaaten aus der Ukraine überschwemmt werden?

Oleksandr Haidu: Wir stehen in ständigem Kontakt mit der EU-Kommission und den Mitgliedstaaten, um unseren Standpunkt zu erläutern. Wir sehen die Ukraine als Partner der EU, nicht als Konkurrenten. Als Partner stärken wir die europäische Ernährungssicherheit. Die Ukraine hat das Potenzial, die europäischen Importe für die meisten landwirtschaftlichen Produkte, die in unserer Klimazone produziert werden können, zu diversifizieren.

Kurzfristig sind dies natürlich pflanzliche Erzeugnisse und deren Verarbeitungsprodukte: Getreide und Ölsaaten, Mehl und Pflanzenöle, Obst und Beeren sowie Säfte, die derzeit aus anderen Ländern eingeführt werden. Die Schlüsselworte sind hier die Verkürzung der Lebensmittelversorgungsketten und die Stärkung der Widerstandsfähigkeit Europas. Wir glauben, dass wir unsere westeuropäischen Nachbarn stärken und sie unabhängiger machen, insbesondere in einer politisch unsicheren Zeit wie heute.

Mittelfristig hoffen wir, Waren zu ersetzen, die traditionell aus Belarus und Russland kommen. Trotz der Sanktionen haben die Länder der Europäischen Union in den ersten beiden Jahren des Krieges landwirtschaftliche Erzeugnisse im Wert von über 6,8 Milliarden Euro aus Russland und Belarus bezogen. Aus der Liste der gekauften Produkte geht hervor, dass die Ukraine selbst im Falle eines Krieges in der Lage wäre, EU-Importe im Wert von mindestens 3,8 Mrd. EUR zu ersetzen, was mehr als der Hälfte aller europäischen Importe aus den Aggressorländern entspricht.

Die EU-Länder haben Höchstmengen für bestimmte Waren festgelegt, die die Ukraine zollfrei in die EU ausführen darf. Was halten Sie von diesen Beschränkungen? Haben Sie Verständnis für die Bedenken und was sagen Sie Kritikern, die die Lieferungen aus der Ukraine weiter einschränken wollen?

Oleksandr Haidu: Als Vorsitzender des ukrainischen Agrarausschusses im Parlament sage ich es deutlich: Es ist nicht hinnehmbar, dass in unserem Land, das sich im Krieg befindet, weiterhin mengenmäßige Beschränkungen gelten. Unsere Landwirte kämpfen ums Überleben. Sie machen kaum Gewinn. Sie arbeiten unter schwierigsten Bedingungen. Sie bewirtschaften das Land auch, um die landwirtschaftliche Infrastruktur für die Nachkriegszeit zu erhalten.

Wir wollen den Rückkehrern aus Deutschland und Europa attraktive Arbeitsplätze bieten. Das liegt doch auch im Interesse der EU-Mitgliedsstaaten, oder?

Wir wollen den Rückkehrern aus Deutschland und Europa attraktive Arbeitsplätze bieten. Das liegt doch auch im Interesse der EU-Mitgliedsstaaten, oder?
Oleksandr Haidu

Wir haben jeden Tag mit Schwierigkeiten zu kämpfen, die Sie sich gar nicht vorstellen können. Unsere Mähdrescherfahrer werden bevorzugt eingezogen und zu Panzerfahrern umgeschult. Es gibt einen Mangel an Fachkräften. Wir bilden jetzt zunehmend Frauen für traditionelle Männerberufe aus. Fachkräfte in der Landwirtschaft erhalten erhebliche Gehaltserhöhungen, um sie hier zu halten. Aber diese Mehrkosten müssen auch erwirtschaftet werden.

Während die europäische Politik über die Ausweitung des Freihandels mit der Ukraine und die Einführung mengenmäßiger Beschränkungen diskutieren, sollten sie ehrlich sein und die Konsequenzen solcher Entscheidungen anerkennen, mit denen der EU-Markt in diesem Jahr konfrontiert war – rekordhohe Preise für Geflügel und Zucker, getrieben durch das, was passieren könnte. Man spricht von einer durch diese Maßnahmen geschaffenen künstlichen Verknappung. Letztendlich ist es der europäische Verbraucher, der den Preis zahlt, dessen Rechnungen teilweise aufgrund dieser Beschränkungen steigen.

Was ist mit unserer Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP)? Ein Teil davon sind Subventionen, die eine wichtige Einkommensquelle für Landwirte sind, besonders in Jahren mit schlechten Ernten. Viele Experten sagen, dass es keine Möglichkeit gibt, diese Subventionen mit der Ukraine in der EU aufrechtzuerhalten. Stimmen Sie dieser Meinung zu?

Oleksandr Haidu: Wir befinden uns in Gesprächen mit dem Europäischen Parlament zu diesem Thema. Unsere aktuelle Priorität ist und bleibt der ungehinderte Export.

Unsere aktuelle Priorität ist und bleibt der ungehinderte Export.
Oleksandr Haidu

Unsere Landwirte arbeiten unter schwierigsten Bedingungen, ohne jegliche staatliche Subventionen. Vor diesem Hintergrund sind Exportmöglichkeiten die beste Unterstützung, die unsere Landwirte bekommen können.

Wie sollte die GAP gestaltet werden, um den Bedürfnissen der Landwirte in der EU und der Ukraine gerecht zu werden?

Oleksandr Haidu: Die Aufgabe ist anspruchsvoll, da die Unterschiede in der wirtschaftlichen Entwicklung, den institutionellen Kapazitäten, der Größe der Betriebe, den klimatischen Bedingungen und den kulturellen Besonderheiten berücksichtigt werden müssen. Mögliche Grundsätze und Richtungen für die künftige Integration der GAP in der EU und der Ukraine könnten lauten:

  • Erstens ist es für die Ukraine wichtig, die EU-Fördermodelle so anzupassen, dass sie den finanziellen Zwängen und Bedürfnissen der Kleinbauern Rechnung tragen. Die EU kann technische und finanzielle Unterstützung für die Modernisierung der Produktion bereitstellen.

  • Zweitens: Harmonisierung von Normen und Vorschriften. Die ukrainischen Landwirte stehen vor der Herausforderung, die EU-Standards in Bezug auf Produktqualität, Umweltfreundlichkeit und Arbeitsschutz zu erfüllen. Gemeinsame Ausbildungsprogramme, die Finanzierung der Modernisierung der Infrastruktur und ein schrittweiser Übergang zu europäischen Standards könnten die Grundlage dafür bilden.

  • Drittens: Gegenseitiger Nutzen durch Handel. Die EU ist ein großer Markt für die ukrainischen Landwirte, aber die Ukraine muss ihre Produktpalette erweitern, indem sie einen Mehrwert schafft (z. B. Bioprodukte, intensive Verarbeitung usw.).

  • Viertens sollte sich die Ukraine in den Green Deal der EU integrieren, der darauf abzielt, Treibhausgasemissionen zu reduzieren und natürliche Ressourcen zu erhalten. Die GAP könnte den ukrainischen Landwirten „grüne“ Zuschussprogramme anbieten, die den Einsatz von grünen Technologien, organischen Düngemitteln und erneuerbaren Energiequellen fördern.

Wann glauben Sie, dass die Ukraine tatsächlich der EU beitreten kann?

Oleksandr Haidu: Im Agrarsektor gibt es bereits eine Art Annäherung zwischen uns und der EU.

Im Agrarsektor gibt es bereits eine Art Annäherung zwischen uns und der EU.
Oleksandr Haidu

Wir arbeiten bereits nach den EU-Qualitätsstandards. Natürlich halten wir uns an alle Normen und Gesetze. Als Parlamentarier kann ich Ihnen sagen, dass wir unsere Agrargesetzgebung bereits an die EU-Gesetzgebung angepasst haben. Dies ist auch eine Voraussetzung für die schnellstmögliche Annäherung an die EU.

Wie erleben Sie die Unterstützung aus Deutschland?

Oleksandr Haidu: Mitte November, habe ich mich mit Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir in Berlin getroffen, ebenso wie mit Mitarbeitern seines Ministeriums und Mitgliedern des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft des Deutschen Bundestages. Wir erhalten von deutscher Seite tatkräftige Unterstützung, wofür wir sehr dankbar sind. Der Bundesminister versicherte uns, dass sich die Grundsätze der deutschen Agrarpolitik gegenüber meinem Land trotz der aktuellen politischen Veränderungen nicht ändern werden.

Ich habe Herrn Özdemir gebeten, dass Deutschland uns auch weiterhin unterstützen soll. Zum Beispiel bei den so genannten autonomen Handelsmaßnahmen (ATMs). Sie sind die Hauptstütze der EU-Unterstützung für die ukrainische Wirtschaft und ermöglichen uns den Zugang zum EU-Markt angesichts der unerbittlichen Aggression Russlands. Und die Ukraine braucht einen jährlichen, konstanten Handel mit der EU, ohne große Abweichungen. Wir brauchen Deutschland als Stimme der Vernunft in Brüssel für die künftige Integration der Ukraine, sei es in der ATM-Frage oder als Vollmitglied.

Abschließend möchte ich im Namen der Ukraine den Bürgern Deutschlands meinen aufrichtigen Dank aussprechen. Jeder Beitrag, auch der kleinste, macht einen Unterschied.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

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