Am 12. März ist es wieder so weit: Bei der schon fünften Ausgabe von "Politik trifft Praxis" diskutieren Landwirte aus ganz Deutschland gemeinsam mit Politikern aus dem Bundestag und aus dem Brandenburger Landtag über die drängenden agrarpolitischen Fragen beim Thema Pflanzenschutz. Die Debatte verspricht, besonders lebhaft zu werden, immerhin werden die Karten nach der Bundestagswahl auch agrarpolitisch neu gemischt. Anmeldungen sind an dieser Stelle noch möglich, die Plätze werden aber knapp. Sollten Sie nicht persönlich teilnehmen, können Sie die Veranstaltung auch hier im Livestream verfolgen.
Im Vorfeld von "Politik trifft Praxis" haben wir mit den teilnehmenden Politikerinnen und Politikern Interviews geführt. Das sagt die grüne Bundestagsabgeordnete Christina-Johanne Schröder zum Pflanzenschutz, zu neuen Züchtungstechnologien und zum Ökolandbau.
"Natürlich ist ein Großteil der Bürokratie absurd"
Frau Schröder, die Halbierung des chemischen Pflanzenschutzeinsatzes bis 2030 ist eines der großen Projekte von Cem Özdemir gewesen. In der EU sind derartige Vorstöße bereits gescheitert. Muss das Ziel in der neuen Legislaturperiode weiterverfolgt werden? Wenn ja, warum?
Christina-Johanne Schröder: Wir werden das Ziel weiterverfolgen und das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) auch, bis es eine neue Strategie gibt, die etwas anderes sagt. Und das hat auch gute Gründe. Denn wie sich zuletzt bei den Pflanzenschutzmitteln gezeigt hat, die sich in die Ewigkeitschemikalie Trifluoressigsäure (TFA) abbauen, sind die Folgen für die Umwelt, die Wasserversorgung und die Gesundheit nur schwer vorherzusehen.
Es braucht also eine sehr valide Risikobewertung und das Vorsorgeprinzip der EU muss gelten. Sonst zahlen wir als Gesamtgesellschaft einen hohen Preis, um die Ernten zu sichern. Dabei gibt es neben den Klassikern der integrierten Landwirtschaft wie Fruchtfolgen heute viele Möglichkeiten, den Pflanzenschutzeinsatz zu reduzieren. Neue Technologien oder bessere Schadvorhersagen helfen dabei.
Ihr Fraktionskollege Karl Bär hält auch einen völligen Verzicht auf „Pestizide“ für machbar. Wäre das nicht mit teils extremen Ertragsausfällen und Qualitätsproblemen verbunden? Lohnt sich das Risiko für die deutsche Versorgungssicherheit?
Christina-Johanne Schröder: Am besten fragen Sie Kollege Bär selbst. Sie werden feststellen, dass er Opfer einer Klage geworden ist, die Aktivisten für pflanzenschutzmittelarme Landwirtschaft mundtot machen sollte. Karl Bär hat Gericht gewonnen. Aus demokratischen Grundsätzen ist das Vorgehen hochproblematisch. Karl Bär beruft sich mit dieser Aussage auf Berechnungen eines Thinktanks in Frankreich, der das für die gesamte Europäische Union (EU) einmal ausgerechnet hat. Dabei war eigentlich die Fragestellung, wie eine Landwirtschaft in der EU aussehen könnte, die unsere Probleme in den Bereichen Klima und Biodiversität löst.
Die Studie zeigt, dass sich die Importabhängigkeit der EU sogar etwas verringern würde, und das, obwohl kaum Pflanzenschutzmittel mehr eingesetzt würden. Klar ist aber auch, dass es bei der Aussage um ein Zielbild geht. Als GRÜNE wollen wir keine Revolutionen, sondern einen mittel- bis langfristigen Pfad, um Interessen von Landwirtschaft und Umwelt zu vereinen. Als Niedersächsin erlebe ich den Niedersächsischen Weg als vielversprechend.
Und was ist mit der Verantwortung Deutschlands bei der Versorgung des Weltmarktes mit Lebensmitteln? „Öko“ bedeutet auch etwa eine Halbierung der Felderträge. Würden tendenziell kleinere Ernten in Deutschland nicht andernorts zu Engpässen führen und vielleicht sogar Hunger befördern?
Christina-Johanne Schröder: Schade, dass Sie so tun, als sei Ökolandbau mit meinem Hobbygemüseanbau gleichzusetzen. Auch beim Ökolandbau geht es um Ertragssteigerungen. Deutschland trägt eine besondere Verantwortung, wenn es um die globale Ernährungssicherheit geht – und zwar nicht allein durch das Maximieren von Erträgen, sondern durch eine nachhaltige und ressourceneffiziente Landwirtschaft. Zwar weisen ökologisch bewirtschaftete Felder, insbesondere im Marktfruchtbau, häufig Ertragslücken auf, wie etwa bei Winterweizen, wo die Erträge teils nur um die 40–50 % des konventionellen Niveaus liegen. Allerdings zeigt die Forschung auch, dass in ökologischen Milchvieh-Gemischtbetrieben, die von intensiveren Stoffkreisläufen und einer optimierten Nutzung von Nebenprodukten profitieren, die Ertragsrelationen auf Fruchtfolgeebene deutlich höher liegen – teils zwischen 70 und 85 % des konventionellen Systems.
Zudem muss man berücksichtigen, dass in Deutschland von der gesamten Getreideernte nur ein kleiner Teil direkt in der Nahrungsmittelproduktion Verwendung findet – beim Weizen etwa rund 40 % –, während der Großteil als Futtermittel, für die industrielle Weiterverarbeitung oder energetische Zwecke genutzt wird. Das bedeutet, dass eine Verringerung der Erträge im ökologischen Sektor nicht automatisch zu globalen Versorgungsengpässen führt.
Vielmehr bietet sich hier die Chance, über eine effizientere Nutzung der landwirtschaftlichen Ressourcen und eine Umstrukturierung der Wertschöpfungsketten das Ernährungssystem insgesamt widerstandfähiger zu gestalten. Der wichtigste Punkt ist aber: In der Vergangenheit durfte ich unterschiedliche landwirtschaftliche Systeme im globalen Süden anschauen. Für die globale Ernährungssicherheit ist es wichtig, dass es lokale Strukturen und insbesondere Perspektiven vor Ort gibt.
Zurück zum Pflanzenschutz: In Deutschland haben drei, eigentlich sogar vier Behörden bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln ein Wörtchen mitzureden. Ist das zielführend oder sollte die Zulassung nicht besser verschlankt und damit beschleunigt werden?
Christina-Johanne Schröder: Natürlich ist ein Großteil der Bürokratie absurd. An der Stelle möchte ich immer darauf hinweisen, dass nicht die Grünen sie verursacht haben, sondern Unionsminister. Ich habe mich auch immer gefragt, warum das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) nochmal zwei Extrateams hat, um die Ergebnisse des Umweltbundesamtes (UBA) fachlich gegenzuprüfen.
Ich habe mich auch immer gefragt, warum das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) nochmal zwei Extrateams hat, um die Ergebnisse des Umweltbundesamtes (UBA) fachlich gegenzuprüfen.
Mir ist unbekannt, woher dieser Auftrag kommt. In Schweden wird die Pestizidzulassung zum Beispiel von der Umweltbehörde durchgeführt. Man könnte zum Beispiel zwei ganze Teams in der Abwicklung sparen, wenn man den Prozess beim UBA zusammenführen würde. Das Einvernehmen des UBAs kann man leider nicht einsparen. Die EU hat aus guten Gründen hohe Umweltanforderungen an die Pestizide. Das Einvernehmen des UBAs erhöht die Rechtssicherheit des Verfahrens in Deutschland. Wir sind doch alle froh, dass wir weniger Vertragsverletzungsverfahren haben.
Manchen gelten die Neuen Züchtungstechnologien (NGT) als Königsweg zur Senkung des Pflanzenschutzbedarfs. Warum sperren sich die Grünen so dagegen und unter welchen Bedingungen wären Sie für einen praktischen
Christina-Johanne Schröder: Auch bei der alten Gentechnik wurde versprochen, dass sie den Pestizideinsatz verringert. Fakt ist, dass der Pestizideinsatz dort gestiegen ist, wo diese Pflanzen angebaut werden. Sie können sicherlich verstehen, dass wir bei solchen Versprechen zurückhaltend sind – vor allem, wenn die Versprechen von Unternehmen kommen, die gleichzeitig Pestizide vermarkten. Eine Recherche des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) zeigt, dass in den Entwicklungspipelines der Züchtungsunternehmen Resistenzen gegen Erreger nur eine untergeordnete Rolle spielen.
Ja, wir sperren uns gegen den Vorschlag der Kommission. Aber das tun wir, weil er nicht gut ist. Sollen etwa die Landwirtinnen und Landwirte den Konflikt untereinander austragen, wenn eine Gentechnik einsetzen will und der andere nicht? Es ist keine Schlichtungsinstanz vorgesehen und die Haftungsfragen über die Lebensmittelwertschöpfungsketten bleiben ungeklärt. Am Ende schauen die Landwirtinnen und Landwirte wieder in die Röhre.
Am Ende schauen die Landwirtinnen und Landwirte wieder in die Röhre.
Sollen sich kleine und mittelständische Züchterinnen und Züchter in Zukunft eine Rechtsabteilung zulegen, damit sie sich durch den Patenten-Dschungel durchschlagen können? Zusätzlich wünschen sich die meisten Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland eine Kennzeichnung, und auch das ist in diesem Gesetzesvorschlag nicht enthalten. Uns geht es nicht um ein ideologisches Für und Wider über die Technologie, sondern darum, dass die Technologie wirklich so eingesetzt wird, dass sie der Landwirtschaft nicht schadet und der Umwelt schon gar nicht.
Vielen Dank für das Gespräch!