Der Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL), Prof. Urs Niggli, fordert eine Verzahnung der Landwirtschafts-, Umwelt- und Gesundheitspolitik. Ein Heraustreten des Ökolandbaus aus der Nische traut er der Branche zu. Im Vorfeld der Biofach rät er zu mehr Offenheit in der Pflanzenzüchtung.
Ein Wandel des Agrar- und Ernährungssektors in Deutschland und Europa zugunsten ökologischer und gesellschaftlicher Anforderungen erfordert spürbar andere Akzente in der Steuer- und Förderpolitik, ist der Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL), Prof. Urs Niggli, überzeugt. „Dass sich was ändern muss, sagen mittlerweile alle“, sagte Niggli im Interview mit Agra-Europe. Zukunftsfähige Ernährungssysteme hätten nur dann eine Chance, wenn „die EU und nationale Regierungen die eklatanten Widersprüche zwischen der Landwirtschafts-, Umwelt- und Gesundheitspolitik“ auflösten, so der Wissenschaftler.
Landwirtschaft verursacht hohe Reparaturkosten
Ein Symptom dieses Widerspruchs sieht der Pflanzenbauexperte in der Überproduktion ohne hinreichende Berücksichtigung der ökologischen, gesundheitlichen und sozialen Folgekosten. Der „zu niedrige Lebensmittelpreis“ ist aus Sicht des FiBL-Direktors eine Folge der großen Produktivitätssteigerung, des Strukturwandels und vor allem der Bedrängnis der natürlichen Produktionsgrundlagen. Auf diese Weise verursache die Landwirtschaft hohe Reparaturkosten, die „uns beim Klimawandel und bei der Biodiversität noch teuer zu stehen kommen werden“, sagt er. Das Argument, dass der Ökolandbau durch Steuern mitfinanziert wird, lässt Niggli nur teilweise gelten. Die Zahlungen an die Ökobetriebe machten nur einen kleinen Teil aller direkten und indirekten Unterstützungsmaßnahmen an die Landwirtschaft aus. Auf Dauer komme diese Bewirtschaftungsform den Steuerzahler „sehr günstig zu stehen“.
GAP als Hebelwirkung
Einen ersten und administrativ einfachen Ansatz hin zu einer „Kongruenz in der Politik“ zwischen Umwelt-, Agrar- und Gesundheitsbelangen sieht Niggli in der Einführung von Abgaben auf Pflanzenschutzmittel, Handelsdünger und Energie. Lenkungspotential durch Zuschüsse biete hingegen vor allem die Revision der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Wenn diese Gelder wirkungsorientiert ausbezahlt würden, ließe sich „in kurzer Zeit eine große Hebelwirkung zugunsten von gesellschaftlichen Zielen beobachten“. Mit neuen Methoden könne die ökologische, soziale und ökonomische Nachhaltigkeit eines Landwirtschaftsbetriebes innerhalb weniger Stunden bewertet werden. Die differenzierte Honorierung von öffentlichen Gütern durch öffentliche Gelder sei also machbar.
Ungesunde Ernährung muss teuer werden
Auch allzu fett- und zuckerhaltige Lebensmittel müssten nach Ansicht des FiBL-Direktors konsequent besteuert werden. „Sich ungesund ernähren sollte richtig teuer sein, weil die medizinischen Folgekosten sonst enorm hoch sind“, resümierte Niggli. Den Erfolg eines solchen Ansatzes hält er aber nur bei einer europaweit einheitlichen Lösung für möglich, die dem Einkaufstourismus zuvorkommt.
Aufbruch des Ökolandbaus aus der Nische
Der Ökolandbau bediene von China, über Europa bis nach Nordamerika rasch wachsende Qualitätsmärkte; um diesen zu einer globalen Ernährungsstrategie weiterzuentwickeln, bedürfe es aber noch einer „enormen technischen Entwicklung“. Dazu gehöre auch, dass die Branche die „sinnvollen Innovationen in der Pflanzenzüchtung“ zu nutzen lerne. Vorläufig sei die Bewirtschaftungsform noch die „perfekte Nischenstrategie“. Dass sie aufbaufähig ist, steht für Niggli außer Frage. „Eine starke Ausdehnung des Ökolandbaus funktioniert nur in Kombination mit einer Beschränkung des Fleisch- und Eierkonsums und einer Reduzierung der Lebensmittelverschwendung“, sagte Niggli.
Weiterentwicklung der Ökokontrolle
Weiterentwicklungen müsse es auch bei der Ökokontrolle geben; sie sei technisch noch auf dem Stand von vor 30 Jahren. Potential bietet dem Pflanzenbauexperten zufolge die Blockchain-Technologie als dezentrales Buchführungssystem. Sie könne die Sicherheit der Zertifikate „massiv verbessern“ und die Anbauprozesse besser dokumentieren als die Selbstaufzeichnungen der Akteure.
EU-Ökoverordnung auf gutem Weg
Die EU-Ökoverordnung sieht Niggli auf einem guten Weg. Er zeigte sich überzeugt, dass am Ende eine Verbesserung gegenüber der Ausgangsverordnung erzielt werde. Jetzt gehe es um die geschickte Umsetzung der nachgelagerten Rechtsverordnungen.