Einloggen / Registrieren

Startseite

Schlagzeilen
Meinung & Debatte
Newsletter
Messen & Termine
Themen
Wir für Euch
Heftarchiv
Sonstiges

Waldumbau Seelische Gesundheit Steuern in der Landwirtschaft

topplus Klimawandel

Starkregen, Dürre, Frost: Welche Absicherung Landwirte in Zukunft brauchen

Ad hoc-Hilfen sind eine Notlösung, eine bezahlbare Erntepolice gibt es nur in einzelnen Bundesländern. Was sich ändern muss, diskutierten Praktiker und Experten bei einer Fachveranstaltung in Berlin.

Lesezeit: 7 Minuten

Brauchen Landwirte eine geförderte Mehrgefahrenpolice? Wenn ja, wie muss die aussehen? Soll die Umsetzung wie bisher bei den Ländern oder besser beim Bund liegen? Gibt es andere Alternativen?

Darüber diskutierten am 9.10.2024 Landwirte und Experten aus Wissenschaft, Verwaltung und Versicherungswirtschaft in Berlin im Rahmen eines Kolloquiums der Vereinigten Hagel und top agrar.

Das Wichtigste aus Agrarwirtschaft und -politik montags und donnerstags per Mail!

Mit Eintragung zum Newsletter stimme ich der Nutzung meiner E-Mail-Adresse im Rahmen des gewählten Newsletters und zugehörigen Angeboten gemäß der AGBs und den Datenschutzhinweisen zu.

„Wir brauchen ein praxistaugliches System, kosteneffizient und unbürokratisch, als Existenzsicherung für die Landwirte. Es geht darum, gemeinsam an Lösungen zu arbeiten“, betonte Thomas Gehrke, Vorstandsmitglied bei der Vereinigten Hagel, in seiner Begrüßung.

Landwirte geben Einblicke

Für Landwirt Bernd Günther, der in der Nähe von Würzburg (Bayern) einen 450 ha großen Ackerbaubetrieb bewirtschaftet, sind die zunehmenden Wetterextreme längst Realität. Aufgrund verschobener Frühsommertrockenheit, einer ungünstigen Verteilung der Niederschläge und mehr massiven Niederschlägen, hat er seine Bewirtschaftung mittlerweile auf Direktsaat umgestellt. Bisher kann der Landwirt damit die Extreme gut abpuffern. Außerdem betreibe er eine Rücklagenbildung, um mögliche Schäden abzufedern. Eine Ernteversicherung habe er bislang noch nicht abgeschlossen.

Dania Bornhöft, Landwirtin aus Holtsee in Schleswig-Holstein, bietet der divers aufgestellte Marktfruchtbetrieb mit vielfältiger Fruchtfolge, einer Biogasanlage und einem zu Wohnungen umgenutzten Stallgebäude den notwendigen Rückhalt für das zunehmend wechselhafte Wetter mit starken Stürmen und teilweise viel zu viel Niederschlägen. „Dieses Jahr waren es schon mehr als 1000 mm“, so die Landwirtin. Für die Marktfrüchte hat sie eine Hagelpolice abgeschlossen.

Dieses Jahr gab es schon mehr als 1000 mm Niederschlag.
Landwirtin Dania Bornhöft

Landwirt Uwe Matzke von der Agrargenossenschaft Uckermark, Brandenburg,  berichtete von zunehmender Frühjahrestrockenheit, die die guten Böden aber oft noch gut abpuffern würden. Es gebe aber auch mehr niederschlagsreiche Phasen. Für bestimmte Kulturen, z.B. Mais, habe er eine Mehrgefahrenpolice für Hagel und Starkregen abgeschlossen. Eine Entschädigung bekam er in sechs Jahren bereits drei Mal.

Mehr Dürre oder Starkregen?

Eine Umfrage unter den 70 Gästen zeigte ein ähnliches Bild: Die meisten erwarten zukünftig deutlich mehr Schäden in allen Kulturen und eine steigende Nachfrage nach Versicherungen für herkömmliche Feldfrüchte.

Dr. Philipp Schönbach, Vorstandssprecher der Vereinigten Hagel, bestätigte in seinem Vortrag,  dass Wetterrisiken und Schadenfälle in den letzten 20 Jahren deutlich zugenommen haben –  weit über die „klassischen“ Hagelschäden hinaus. Mittlerweile würden ca. 20 % der Versicherungsverträge das Starkregenrisiko (v.a. für Mais und Kartoffeln) enthalten, während die Vereinigte Hagel noch vor 10 Jahren hauptsächlich Hagel versichert habe.

Für die Zukunft erwartet Dr. Schönbach: mehr Niederschlag (v.a. im Winter)​, eine Zunahme an Extremereignissen und sehr große regionale Unterschiede, außerdem ein höheres Frostrisiko. Zwar nähmen die Frosttage im April ab, aber gleichzeitig sei die Blüte früher.

Ob am Ende extreme Hitzeperioden oder großflächige Starkregenereignisse die größere Herausforderung sind, ist auch unter Klimaforschern noch unklar, berichtete Fabian Ruhnau von der Kachelmann GmbH in seinem Vortrag.

Versicherungslösung notwendig?

Ist eine geförderte Mehrgefahrenpolice notwendig? Die Wissenschaft ist uneins in dieser Frage. Prof. Dr. Oliver Mußhoff von der Georg-August-Universität Göttingen sprach sich eher gegen die Förderung der Mehrgefahrenpolice aus.

Eine geförderte Police sei mit hohen Kosten verbunden, dafür müssten woanders Abstriche gemacht werden. Er rechnet zudem mit Mitnahmeeffekten und einer höheren Risikobereitschaft beim Anbau. Landwirte nähmen dann doch lieber den ertragsreichen Weizen, statt den wetterresistenteren Roggen, so seine Vermutung.

Er plädierte deshalb für die Zahlung eines Festbetrages, der gezielt für Risikomanagementmaßnahmen eingesetzt werden könne, wie z.B. Beregnungsanlagen oder bestimmte Rücklagen.

Staatliche Prämienzuschüsse können Wettbewerbsnachteile ausgleichen.
Prof. Dr. Michael Schmitz

Prof. Dr. Michael Schmitz von der Justus-Liebig-Universität Gießen verwies auf den Wettbewerbsnachteil deutscher Landwirte gegenüber Landwirten im Ausland, die vielfach hohe Zuschüsse und Steuerbefreiungen für Ernteversicherungen bekämen. Schon diese Wettbewerbsverzerrungen würden staatliche Prämienzuschüsse rechtfertigen, bei richtiger Dosierung würden die Förderung sogar volkswirtschaftliche Gewinne ermöglichen. Ein weitere Aspekt, so Prof. Schmitz:  Zuschüsse zur Mehrgefahrenversicherung würden deutlich weniger Verwaltungsauswand verursachen wie Ad-hoc-Hilfen in Katastrophenfällen.

Österreich macht´s vor

Während in Deutschland diskutiert wird, hat Österreich die geförderte Mehrgefahrenpolice schon umgesetzt. Darüber berichtete Dr. Kurt Weinberger, Vorstandvorsitzender der Österreichischen Hagelversicherung. Die Erfolgsfaktoren des österreichischen Modells sind aus seiner Sicht:

  • Eine breite Produktpalette: Es werden alle pflanzlichen und ausgewählte tierische Risiken gefördert.

  • Digital unterstütze Schadenergebung

  • Risikotransfer durch internationale Rückversicherung

  • Einsatz von KI

  • Ein gutes Zusammenspiel zwischen Landwirten, Versicherung und Staat im Rahmen eines sog. Private-Public-Partnershipmodells (PPP-Modell)

Im Rahmen des PPP-Modells bekommen Landwirte einen Prämienzuschuss von 55% aus Katastrophenfonds. Das Versicherungsunternehmen übernimmt die Abwicklung der Prämienförderung. Außerdem gibt es einen umfangreichen Datenaustausch zwischen staatlichen Stellen und Versicherung. Ziel sei es, 90% der Flächen in Österreich umfassend abzusichern. Ebenfalls wichtig: die umfassende Förderung von Risikominderungsmaßnahmen, z.B. von Hagelschutzanlagen und Frostberegnungen, sowie die schnelle Schadenermittlung und die Entschädigungszahlung nach durchschnittlich 1,9 Tagen nach Schadenerhebung.

Kaniber enttäuscht von Bundesregierung

Wie Bayern nach dem Dürrejahre 2018 mit den hohen ad hoc-Hilfen als erstes Bundesland eine umfassende Mehrgefahrenpolice einführte, berichtete Anton Hübl, Referatsleiter beim Bayrischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Bayerische Landwirte können seitdem auch für Ackerbau und Grünland mehrere Risiken in einem vorgegebenen Paket absichern. Dafür bekommen sie einen Prämienzuschuss von max. 50%. In 2024 haben bereits 6.500 Betriebe eine Police abgeschlossen, 7-8% der Fläche in Bayern ist versichert.

„Da sind wir schon stolz drauf“, so die zugeschaltete bayerische Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber. Enttäuschend sei dagegen, dass obwohl ¾ der EU-Länder eine umfassende staatliche Unterstützung für Landwirte bieten, die Bundesregierung untätig bleibe.

Frage der Ernährungssicherheit

In der abschließenden Diskussionsrunde unterstrich Erich Gussen, Vizepräsident des Rheinischen Landwirtschaftsverbandes, die Verantwortung der Landwirte, als Unternehmer Vorsorge zu treffen. Dennoch müsse es einen Basisschutz als Absicherung geben, zur Existenzsicherung. Thomas Thiele, Vizepräsident des Sächsischen Landesbauernverbandes ergänzte: Die Landwirte hätten sich schon angepasst und seien z.B. auf trockenresistente Sorten umgestiegen. Aber bei krassen lokalen Ereignissen helfe auch keine Direktsaat, so Thiele.

Aber, so der Tenor, es sei immer auch eine Sache des politischen Willens. Steffen Mark vom Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz in Baden-Württemberg berichtete z.B., dass in seinem Bundesland die hohen ad hoc-Zahlungen im Jahr 2017 das Thema politisch voran gebracht hätten. 2020 ging die umfassende Mehrgefahrenpolice für Sonderkulturbetriebe an den Start. 

Auch Andreas Rohm vom Rückversicherer Munich Re betonte, dass die Landwirte bereit seine, Risiko zu tragen und sich abzusichern, das sehe man beim Hagel. Aber das reiche nicht mehr. Grade bei Extremereignissen bräuchte es den Staat mit im Boot.

Als weiteren Punkt für die geförderte Mehrgefahrenpolice nannte Anton Hübl die Ernährungssicherung. Die Förderung sichere die Existenz der Betriebe und damit die Sicherheit der Ernährungslage. Dies lasse sich mittelfristig auch besser begründen als manch andere Zahlung, so Dr. Jürgen Wilhelm, Niedersächsisches Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.

Bundeseinheitliche Lösung?

Hinsichtlich der Ausgestaltung einer geförderten Mehrgefahrenpolice gab es unter den Experten unterschiedliche Auffassungen. Dabei ging es z.B. um die Frage, welche Kulturen und Risiken gefördert werden sollen. Oder darum, ob die verschiedenen Risiken als verpflichtendes Paket wie in Bayern oder auch einzeln angeboten werden sollen, wie die gerade neu aufgelegte Mehrgefahrenpolice in Niedersachsen. Diese Punkte handhaben die Bundesländer, soweit eine Mehrgefahrenpolice im Angebot, sehr unterschiedlich.

Eine bundeseinheitliche Regelung sei dringend erforderlich, so der Tenor der lebhaften Diskussion und einer weiteren Umfrage im Saal.

So konstatierte auch Thomas Gehrke in seinem Schusswort den Stillstand in Deutschland in dieser Sache: Bund und Länder schöben die Verantwortung hin und her. Dennoch zeigte sich Gehrke optimistisch, dass es insbesondere angesichts aktuellen Entwicklungen auf EU-Ebene in Sachen Klimarisikomanagement  zum Ende des Jahrzehnts auch in Deutschland Fortschritte bei der geförderten Mehrgefahrenpolice geben könnte. 

top + Bestens informiert zur EuroTier 2024

Über 60 % sparen + Gewinnchance auf einen VW Amarok sichern!

Wie zufrieden sind Sie mit topagrar.com?

Was können wir noch verbessern?

Weitere Informationen zur Verarbeitung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

E-Mail-Adresse

Vielen Dank für Ihr Feedback!

Wir arbeiten stetig daran, Ihre Erfahrung mit topagrar.com zu verbessern. Dazu ist Ihre Meinung für uns unverzichtbar.