Nach 25 Jahren Verhandlungsdauer hat die EU-Kommission mit den vier Mercosur-Ländern ein Freihandelsabkommen abgeschlossen - trotz vehementer Widerstände aus der Landwirtschaft und einigen EU-Mitgliedstaaten.
Damit das Freihandelsabkommen in Kraft tritt, müssen sowohl das Europaparlament als auch die 27 EU-Mitgliedstaaten zustimmen.
Vehemente Proteste kommen aus Frankreich, Österreich und Polen. Auch Italien hat Bedenken angemeldet. Ob die Gegner tatsächlich gegen das Abkommen stimmen und eine Sperrminorität bilden, bleibt fraglich. Die deutsche Politik und Wirtschaft will das Abkommen unbedingt. Auch Spanien profitiert in beachtlichen Umfang.
Autos gegen Rindfleisch?
Die Mercosur-Staaten verpflichten sich, rd. 90 % der Zölle auf gelieferte Autos (zurzeit 35 % Zollsatz), Maschinen und Maschinenteile (zurzeit 14 - 20 % Zollsätze) und auf Pharmaprodukte (zurzeit 18 % Zollsatz) aus der EU zu streichen bzw. erheblich zu senken. Demzufolge werden europäische Exporteure jedes Jahr mehrere Milliarden Euro an Zöllen einsparen. Die wachsenden Märkte Südamerikas versprechen steigende Absatzchancen für eine auf Export angewiesene EU-27.
Die Zugeständnisse erkaufte sich Brüssel vor allem durch Importzollerleichterungen bei den Agrarprodukten. Dabei handelt es sich vornehmlich um EU-Einfuhren von Rind-, Schweine-, Geflügelfleisch, Zucker und Bioethanol. Die zoll-begünstigten Liefermengen aus Mercosur sind jedoch nicht unbegrenzt, sondern grundsätzlich kontingentiert. Die Übergangsfristen für die Zollerleichterungen reichen von sechs bis 15 Jahren. Erste Maßnahmen werden frühestens in der 2. Jahreshälfte 2025 erwartet.
Rindfleischmarkt besonders umstritten
Die Mercosur-Staaten haben 2023 rund 196.300 t Rindfleisch in die EU geliefert . Der größte Teil davon ist mit 12,8% Wertzoll plus 1,77 €/kg Festzoll in die Gemeinschaft gekommen.
Ein Beispiel: Bei einem Preis frei Einfuhrhafen von 4,25 €/kg Schlachtgewicht (SG) + 0,54 €/kg Wertzoll +1,77 €/kg Festzoll ergibt sich ein Mindestimportpreis von 6,56 €/kg. Das rechnet sich für höherwertiges Rindfleisch.
Daneben gibt es schon seit langer Zeit ein zollbegünstigtes Einfuhrkontingent für die Mercosur-Staaten von 55.000 t mit 20 % Wertzoll. Das nutzen die Südamerikaner vor allem für hochwertige Ware (sog. Hilton Beef).
Tritt das neue Abkommen in Kraft, könnten künftig 99.000 t Rindfleisch – also 80 % mehr als unter der Hilton-Regelung – zollbegünstigt in die EU kommen. Der Wertzoll wird in mehreren Stufen auf 7,5 % sinken. Für darüber-hinausgehende Mengen bleibt es beim alten Regelzollsatz (12,8% Wertzoll plus 1,77 €/kg Festzoll).
Das klingt aus hiesiger Erzeugersicht zunächst bedrohlich. Bei genauerer Betrachtung ist allerdings festzustellen, dass die Rindfleischimporte aus Südamerika in den letzten Jahren zurückgegangen sind. Dabei wurden in zunehmenden Maße hochverzollte Mengen zurückgenommen und die zollvergünstigten Einfuhrkontingente besser ausgeschöpft.
Mercosur könnte Fleisch aus Neuseeland und Australien verdrängen
Darüber hinaus ist zu erwarten, dass die bisherigen EU-Rindfleischeinfuhren aus Neuseeland und Australien durch die Mercosur-Importe zurückgedrängt werden. Da der EU-Rindfleischverbrauch stagniert bis rückläufig ist, gäbe es für höhere Importmengen keine dringliche Nachfrage, sodass die Gesamt-EU-Einfuhren nicht zwingend höher ausfallen. Der Importanteil ist auch nach der neuen Regelung mit 1,2 % des EU-Rindfleischverbrauchs recht überschaubar.
Schweinefleischmarkt: Wenig Probleme
Wenig dramatisch sind die Auswirkungen auf den Schweinemarkt. Die 25.000 t Schweinefleisch, die laut Mercosur-Abkommen zum Vorzugszoll von 83 €/t in die EU wandern könnten, entsprechen 0,1% des gemeinschaftlichen Verbrauchs und dürften den Markt kaum stören. Ohnehin sind aus veterinärrechtlichen Gründen Einfuhren zurzeit nicht zugelassen.
Geflügelfleisch aus Brasilien
Größere Dimensionen erreichen da schon die Geflügelfleischlieferungen aus Brasilien mit 225.000 t im vergangenen Jahr zu einem reduzierten Zollsatz von 10,9 bzw. 15,4%. Im neuen Abkommen wird eine Quote von 180.000 t Geflügelfleisch genannt, die mit nur 7,5% verzollt werden soll. Gemessen am EU-Verbrauch sind das rund 1,46 %.
Auch in diesem Falle wird bei einem tendenziell eher rückläufigen EU-Gesamtimport in erster Linie ein Mengenaustausch zu den niedrigen Zollkategorien stattfinden. Für nichtquotierte Einfuhrmengen gilt weiterhin ein allgemeiner Zolltarif von 276,50 €/100 kg.
Brasilianischer Billig-Zucker aus Brasilien
Zu den hohen Regelzöllen von 419 €/t für Weiß- bzw. 339 €/t für Rohzucker kommt bisher kaum Ware zu uns. Brasilien hat aber bereits ein Kontingent von 180.000 t, das mit 98 €/t verzollt wird. Dem Abkommen entsprechend fällt dieser Vorzugszoll künftig ganz weg.
Außerdem erhält Paraquay einen zollfreien Zugang für 10.000 t Zucker. Die Einfuhrmengen sind bei einem EU-Zuckerverbrauch von rd. 17 Mio. t mit einem Anteil von 1 % relativ klein. Die Zuckerwirtschaft ärgert sich deshalb eher über die grundsätzliche Wettbewerbsverzerrung. Die Verbände kritisieren, dass Brasilien die Zuckererzeugung subventioniert.
Milchbranche mit begrenzten Aussichten
Die europäische Milchbranche hat mit dem Mercosur-Abkommen hingegen wenig Probleme. Die Südamerikaner eröffnen den Europäern zollfreie Einfuhrkontingente für 30.000 t Käse, 10.000 t Milchpulver und 5.000 t Babynahrung. Die bisherigen Importzölle von bis zu 28 % werden stufenweise auf Null abgebaut. Diese Regelung gilt für beide Seiten. Dem zukünftigen Käse-Export aus der EU bieten sich möglicherweise günstige Erfolgsaussichten.
Weitere Vorteile für die EU-Agrarbranche könnten durch den Wegfall der südamerikanischen Importzölle auf Wein, Spirituosen, Honig, Olivenöl und weiteren Einzelprodukten entstehen. Außerdem sind 350 regionale Marken-produkte wie Schwarzwälder Schinken, Nürnberger Würstchen u.ä. vor Nachahmung geschützt.
Ausgleichsmaßnahmen für Agrarsektor
Sollte es zu kurzfristigen Belastungen auf einzelnen Agrarmärkten durch zunehmende Südamerika-Importe kommen, sollen 1 Mrd. € zum Ausgleich abrufbar sein. Davon ist allerdings in jüngster Zeit wenig bis gar nichts zu hören. Schutzklauseln erlauben wirtschaftliche Nachteile zu beheben, die durch unerwartete oder erhebliche Erhöhungen der Einfuhren aufgrund des Abkommens entstehen. So können Kontingente für bis zu maximal vier Jahre ausgesetzt werden.
Strategische Weichenstellung für Jahre
Gegenüber dem misslungenen Versuch eines Vertragsabschlusses im Jahre 2019 sind jetzt drei drängende Aspekte übergeordneter Art verstärkt in den Vordergrund getreten:
Mit dem kommenden Jahr wird unter dem neuen US-Präsidenten mit vermehrten Zöllen und Handelsrestriktionen und entsprechenden Nachteilen für die EU-Exportwirtschaft gerechnet. Ein schlagkräftiges wirtschaftspolitisches Gegengewicht ist angebracht.
China drängt sich im Welthandel immer weiter in den Vordergrund und besetzt mögliche Absatzchancen in den südamerikanischen Ländern. Während die EU verhandelte, hat China seinen Anteil am Außenhandel der Mercosur-Staaten von 2 Prozent im Jahr 2000 auf aktuell 24 Prozent erhöht. Der Anteil der EU ging in demselben Zeitraum von 31 auf 15 Prozent zurück.
In Südamerika sind große Vorkommen an Lithium und sonstigen seltenen Erden sowie Graphit, Mangan, Nickel zu bekommen, die für eine zukünftige Wirtschaftsentwicklung u.a. mit Elektro- und grünen Wasserstoffantrieb unentbehrlich sind.
Ein Fünftel der Weltwirtschaft betroffen
Für den Vertragsabschluss sprechen überwiegend Argumente einer rechtzeitigen strategischen Weichenstellung für die zukünftige EU-Wirtschaftsentwicklung in einer Welt mit zunehmenden Handelsrestriktionen durch Russland, China, USA u.a..
Der Vertrag schafft mit über 700 Millionen Menschen die größte Freihandelszone der Welt. Betroffen ist ca. ein Fünftel der Weltwirtschaft. Für die exportorientierte deutsche Wirtschaft, vor allem den Auto- und Maschinenbau sowie Dienstleistungsunternehmen ist es ein unschätzbarer Vorteil, wenn die Märkte von Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay geöffnet und nicht von anderen großen Exportländern vereinnahmt werden. 2023 bestand der größte Teil der Mercosur-Exporte in die EU-27 aus Nahrungsmitteln und Vieh mit 32 % des Gesamthandels. Mineralprodukte erreichten knapp 30 % des Geschäftsvolumens.
KOMMENTAR:
Wo bleibt die Ausgewogenheit zwischen Industrie und Landwirtschaft?
Das Mercosur-Abkommen eröffnet den Industrie- und Dienstleistungsunternehmen der EU erhebliche Absatzchancen. Für den Agrarsektor sind überwiegend Einschränkungen festzustellen. Die mit Mercosur vereinbarten zollbegünstigten Agrargüterimporte werden den EU-Markt zwar nicht überschwemmen. Denn die Gesamtimporte werden durch die neuen Kontingente kaum steigen. Die quotierten Einfuhren aus Südamerika kommen durch Zollsenkungen günstiger ins Land.
Das Abkommen bietet keien Grund für Katastrophenszenarien. Kritisieren kann man das neue Freihandelsabkommen aus einem anderen Grund: Auch wenn es nur kleine Mengen sind, die künftig in die Gemeinschaft kommen, ist deren Herstellung kaum mit europäischen Standards zu vergleichen. Und die EU-Kommission hat bisher wenig überzeugende Instrumente vorzuweisen, um für eine effiziente Kontrolle von Zertifikaten hinsichtlich Produktion und Verarbeitung in den Ausfuhrländern zu garantieren. Im Gegensatz dazu wird die heimische Landwirtschaft mit Auflagen und Bürokratie überfrachtet.