Familie Tobaben hat die Gesundheit ihrer Nachzucht schon länger in den Fokus gerückt. Auf dem Milchviehbetrieb mit 300 melkenden Kühen in Ahlerstedt (Niedersachsen) hat Heidi Tobaben daher seit 2020 allein die Verantwortung für die Kälber übernommen. Sie hat z.B. Routinen zur Kolostrumversorgung und eine Kälber-TMR eingeführt. „Vorher haben wir die Kuhration gefüttert und hatten immer mal wieder ältere Kälber, die aufgebläht waren“, erinnert sie sich. Seit September 2023 impft der Betrieb außerdem alle Kälber gegen Kälbergrippe.
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Die Kälbergesundheit konnte Familie Tobaben mithilfe neuer Routinen deutlich verbessern.
Eine frühere Kolostrumfütterung, mehr Milch und Milchaustauscher in höherer Konzentration sowie Impfungen gehörten zu den Erfolgsfaktoren.
Probleme mit Durchfall- und Lungenerkrankungen gibt es bei den Kälbern kaum noch.
„Trotzdem hatten wir in den vergangenen Jahren immer wieder Phasen, die gut liefen und Zeiten, in denen Kälber an Durchfall verendet sind, ohne dass wir etwas machen konnten“, sagt Heidi Tobaben.
Einstieg in die Muttertierimpfung
Im Herbst 2023 kam die betreuende Tierarztpraxis auf Tobabens zu und fragte, ob sie einen neuen Mutterschutzimpfstoff testen wollen, um so gegen die Durchfallerkrankungen vorzugehen. „Wir hatten vor einigen Jahren bereits über eine längere Zeit Muttertierimpfungen eingesetzt. Das brachte aber nicht den gewünschten Erfolg“, erinnert sich Heidi Tobaben.
Jetzt sollte die Vorgehensweise aber anders sein, denn die Impfung ist nur ein Baustein des sogenannten „Kälberprojektes“ der Tierärztlichen Gemeinschaftspraxis Heeslingen. Es richtet sich an Milchkuhbetriebe, die vermehrt Probleme mit der Kälbergesundheit haben. Die Tierarztpraxis informierte die Betriebsleiter vorab über Aufwand und Umfang des Projektes.
Dann startete dieses Anfang Januar 2024 mit einer Bestandsaufnahme auf dem Betrieb. Gleichzeitig begann Heidi Tobaben mit der Dokumentation der Erstversorgung, um die Entwicklung später nachvollziehen zu können. Sie notiert neben dem Geburtsverlauf auch die Dauer bis zur ersten Kololstrumfütterung, die Kolostrummenge, das Datum der Blutprobenahme und das Ergebnis der Untersuchung, also den Gesamteiweißgehalt im Blutserum.
Bestandsaufnahme: So lief es bisher
Kolostrumversorgung: Die Kälber erhielten nach der Geburt 3,5 l Biestmilch. Diese gewinnt Familie Tobaben bei der ersten Melkzeit nach der Geburt.
Bei einer Muttertierimpfung kann das Kalb die Antikörper nur aufnehmen, wenn es ausreichend Kolostrum einer geimpften Kuh erhält. Die Tierärzte bestimmten daher die Kolostrumversorgung aller Kälber, indem sie zwischen dem zweiten und achten Lebenstag Blutproben nahmen und den Gesamteiweißgehalt im Serum mit einem Refraktometer ermittelten.
Demnach waren 62 % der Kälber gut oder sehr gut mit Kolostrum versorgt. Das heißt, sie hatten einen Gesamteiweißgehalt im Blutserum von mindestens 58 g/l.
Haltung: „An der Haltungsform der Kälber hat sich hier seit vielen Jahren eigentlich nichts verändert“, erklärt Jörg Tobaben. Alle Iglus stehen im Freien. In den ersten zwei Lebenswochen hält die Familie die Kälber in Einzeliglus. Danach wechseln sie bis zur elften Woche in ein 5er-Iglu und dann, bis sie abgesetzt sind, in ein 14er-Iglu. In diesem sind jedoch nur zehn Kälber untergebracht. Mit rund 15 bis 16 Wochen sind die Kälber von der Milch abgesetzt und stehen in Kleingruppen auf Stroh. Das Entwöhnen erfolgt über zwei bis drei Wochen.
Fütterung: In den ersten zwei Lebenswochen erhalten die Kälber zweimal täglich 3 l Milchaustauschertränke, ab der dritten Lebenswoche 4 l. Der Milchaustauscher hat 52 % Magermilchanteil und Tobabens setzen ihn in einer Konzentration von 144 g/l Wasser ein.
Im Einzeliglu trinken die Kälber aus einem Nuckeleimer und in der Gruppenhaltung aus Milkbars. „Den Nuckel drücke ich nach einer Mahlzeit immer leer. So merke ich, ob ein Kalb überhaupt angefangen hat zu trinken“, sagt die Betriebsleiterin. Die Nuckel und die Dichtungen der Tränkeeimer sowie die Sauger in den Milkbars erneuert die Landwirtin nach jedem Durchgang. In der Tränkephase erhalten die Kälber eine Kälber-Trocken-TMR und zum Ende der Tränkezeit zusätzlich die Mischration der Kühe. Wasser haben die Kälber ab der dritten Lebenswoche zur freien Verfügung.
Einstreu: Teilweise sind Iglus defekt und nicht immer genug eingestreut.
Durchfallerreger: Von allen Kälbern mit Durchfall nahmen die Tierärzte zu Beginn der Durchfallerkrankung, zwischen dem dritten und 16. Lebenstag, Kotproben, um die Erreger im Labor der LUFA Nordwest ermitteln zu lassen. Von 17 im Labor untersuchten Kotproben fanden sich in dreien Rotaviren und in zweien E.coli Bakterien. Bis auf ein Tier waren jedoch alle gering- bis hochgradig mit Kryptosporidien belastet.
Grippeimpfung: Alle Kälber des Betriebs erhalten seit September 2023 ganzjährig eine Impfung gegen Erreger von Atemwegserkrankungen. Die erste Impfung erfolgt intranasal in den ersten Lebenstagen. Um eine vollständige Immunisierung zu erhalten, lässt Heidi Tobaben die Tiere noch zwei weitere Male subkutan im Abstand von drei Wochen impfen. „
Bevor wir damit angefangen haben, musste ich die meisten Kälber bald nach dem Umstallen aus den Großgruppeniglus ins Altgebäude wegen Grippe behandeln“, erinnert sich Heidi Tobaben. Jetzt gehörten die Impfungen zur Betriebsroutine und Behandlungen bei den Kälbern seien fast nicht mehr nötig.
Ziele festlegen: Was soll sich ändern?
Auf Basis der Bestandsaufnahme machten die Tierärzte der Gemeinschaftspraxis sowie eine Tierärztin von Boehringer Ingelheim Vorschläge, um die Kälbergesundheit weiter zu verbessern. Heidi und Jörg Tobaben setzten um, was für sie machbar erschien:
Die Kolostrumversorgung der Kälber ist bereits sehr gut strukturiert und erfolgreich. Das zeigt die Dokumentation der Landwirtin, die sie in Zukunft weiterführen möchte. „Diese ausführliche Dokumentation ist nur möglich, wenn man bei den Kälbern den Rücken frei hat und nicht Katastrophen hinterherläuft. Vor zwei Jahren wäre das nicht denkbar gewesen“, sagt Daniela Wagner, die bestandsbetreuende Tierärztin.
Ab jetzt soll Heidi Tobaben das übrige Kolostrum lagern, um so tagsüber die Zeit von der Geburt bis zur ersten Kolostrumtränke zu verkürzen. Das Kolostrum steht in 4 l-Edelstahlkannen mit Deckel im Kühlschrank. „So kann ich die Biestmilch bis zu fünf Tage lagern und wärme sie bei Bedarf im Wasserbad auf“, erklärt sie. Die Versorgung mit Antikörpern hat sich dadurch verbessert. Nachdem vorher 62 % der Kälber gut bzw. sehr gut mit Kolostrum versorgt waren, sind es jetzt 77 %.
„Veränderungen sind nur möglich, wenn man dafür den Rücken frei hat.“
Die Dokumentation der Kolostrumversorgung zeigte auch, dass eine gute Grundlage für eine Impfung vorhanden ist. Da in den Kotproben Rotaviren und Coronaviren nachgewiesen wurden, begann Familie Tobaben im April 2024 deshalb, alle Kühe mit einem Muttertierimpfstoff zu impfen. Dieser schützt vor Rota-, Coronaviren und E-coli-Infektionen. So sollen die Kälber auch Infektionen mit Kryptosporidien besser überstehen. Diese Impfung hat Heidi Tobaben in ihre Wochenroutinen integriert – immer mittwochs, wenn trockengestellt wird.
Die Tierärzte empfahlen außerdem, die Konzentration des Milchaustauschers von 144 g auf 166 g pro l Wasser zu steigern. Auch die Milchmenge hat Heidi Tobaben erhöht: In den ersten beiden Lebenswochen erhalten die Kälber jetzt zweimal täglich 5 l Milch und ab der dritten Lebenswoche 6 l Milch pro Mahlzeit. Die höhere Milchmenge merkt Heidi Tobaben im Milchpulververbrauch: „Aber wenn ich wieder eine Palette Milchpulver bestelle und Jörg mich schief anguckt, sage ich: Kälber sind die Zukunft, da muss die Milch rein.“
Die Kälberhütten streuen sie so ein, dass die Sprunggelenke der Kälber beim Liegen nicht zu sehen sind. Für die Neugeborenen schafften sie Kälberdecken an, denn Frieren führt zu Energieverlust und schwächt die Abwehr. Defekte Kälberhütten sortierten sie aus. Wasser steht den Kälbern ab dem ersten Lebenstag zur freien Verfügung.
Viele Schritte zum Erfolg
Heidi und Jörg Tobaben sind mit der Entwicklung sehr zufrieden. Behandlungen sind kaum noch nötig und im vergangenen Jahr haben sie nur ein Kalb wegen Durchfall verloren. „Früher haben Tiere, die als junges Kalb Durchfall hatten, später oft noch Lungenprobleme bekommen“, sagt Heidi Tobaben. Vor der Teilnahme am Kälberprojekt setzten Tobabens den antibiotischen Wirkstoff Paromomycin bei Durchfallerkrankungen ein. „Jetzt verstaubt die Flasche im Regal. Die Kälber trinken einfach weiter, wenn sie mal Durchfall haben“, sagt sie.
Wir sind gespannt auf das nächste Jahr, wenn die ersten Färsen aus der neuen Routine kalben.
Insgesamt hat das Hinterfragen von Prozessen mehr Routinen in den Betrieb gebracht. Das zeigt sich auch an der Milchleistung, die im vergangenen Jahr kontinuierlich von 10.200 auf 10.700 kg pro Kuh gestiegen ist. „Wir sind gespannt auf das nächste Jahr, wenn die ersten Färsen aus der neuen Routine kalben.“