Dieser Beitrag ist zuerst erschienen im "Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben".
Wir fahren im Geländewagen über einen holprigen Feldweg. Rechts von uns erstrecken sich üppige grüne Bergwiesen, dahinter dichter Wald. Ansonsten weit und breit nichts – Natur pur.
Norbert Böhmer öffnet das große massive Eisentor mit den beiden Stromlitzen obendrüber. Wir fahren in die Weide. Wieder geht es ruckelig hoch und runter. Dann sehen wir sie: Simmentaler mit ihren Kälbern bei Fuß. Die braunen Mutterkühe schauen uns erwartungsvoll an. Sie senken ihre weißen Köpfe und grasen weiter. Mehr Notiz nehmen sie nicht von uns.
Böhmer schaut zweimal täglich nach ihnen – morgens in der Früh und abends. Zwischen den Kühen steht ein großer schwarzer massiger Angusbulle. „Die Simmentaler passen als Rasse nicht mehr mit dem Klimawandel. Sie brauchen zu viel Futter“, erklärt er. Bis vor wenigen Jahren hielt er 1,4 Großvieheinheiten (GV) pro ha, nun nur noch 0,8 GV/ha. „Die Rasse Angus ist genügsamer und benötigt weniger Futter“, so der Rinderhalter. Allerdings sollen die Muttertiere Simmentaler bleiben. Sie geben mehr Milch, das ist wichtig für eine gute Entwicklung der Kälber.
Ganzjährig auf der Weide
Böhmer hält gemeinsam mit seiner Frau Andrea rund 100 Kopf Simmentaler, 40 Highlands und 20 Zebus auf seinem Betrieb in Plankenfels im Landkreis Bayreuth, Bayern. Die Kühe sind ganzjährig draußen, können bei Bedarf jedoch in den Laufstall am Hof. Sie weiden auf rund 95 ha Grünland, 35 ha davon sind eigen. Fast alles ist mit einem wolfsabweisenden Zaun eingezäunt. Bezahlt hat den Festzaun mit fünf Stromlitzen das Land Bayern – Arbeitsstunden inklusive. „Ich war der erste Betrieb hier im Landkreis, der einen Antrag gestellt hat. Dafür bin ich auch Demonstrationsbetrieb für das Herdenschutzkompetenzzentrum“, erklärt der Landwirt. Doch damit nicht genug. Hinter dem massiven Zaun laufen sieben Pyrenäenberghunde bei den Rindern. Die Herdenschutzhunde haben ein Körpergewicht von etwa 85 kg und fressen zusammen alle drei Tage 15 kg Futter. Sie wechseln sich mit dem Schutz der Herde ab. Damit sie immer wieder Zeit haben, zur Ruhe zu kommen.
Sieben Herdenschutzhunde
Auffällig: Die hellen großen Hunde lassen sich von mir als Fremde streicheln und sind regelrecht verschmust. „Ich nehme von Anfang an Leute mit auf die Weide und zu den Hunden. Wir machen viel Öffentlichkeitsarbeit, die Hunde müssen artig sein“, erklärt Böhmer. Für seinen Betrieb haben sich bisher die Hunde der französischen Rasse bewährt.
Doch auch der bayerische Landwirt kauft ausgewachsene, zweijährige Hunde von einem Züchter aus Brandenburg. Sie sind dann bereits ausgebildet und haben ein Zertifikat. „Die Kosten liegen bei etwa 8000 € pro Tier“, erklärt er. Mit Welpen kann er nicht in seiner Herde arbeiten. „Zu Beginn war es generell mit Hunden schwierig. Wir hatten schon mal Wölfe in der Herde, die Rinder fanden zu Beginn auch die Hunde bedrohlich.“ Böhmer musste alle Sackgassen aus dem Stall entfernen und das Fressgitter so gestalten, dass die Hunde hindurch können. Gerade zu Beginn haben die Kühe versucht, die Hunde zu erdrücken. In ihren Augen waren es Feinde.
Inzwischen sind Kühe und Hunde aber ein eingespieltes Team: „Kalbt eine Kuh, sind die Hunde sofort zur Stelle und lecken die Eihaut ab, sobald das Kalb herauskommt. Auch die Nachgeburt fressen die Hunde direkt auf.“ Denn das sind die Gerüche, die Wölfe als Erstes in die Nase bekommen. Akzeptieren einige Rinder die Hunde gar nicht, müssen sie weichen. Denn bisher garantieren die Hunde den Herdenschutz.
Männlich und weiblich
Wichtig ist in Böhmers Augen, dass männliche und weibliche Hunde in der Herde sind. Außerdem müssen sie kastriert bzw. sterilisiert sein. „Das Letzte, was wir wollen, ist Wolfshybriden zu erzeugen“, betont der Mutterkuhhalter. Außerdem sollen die Hunde verschiedene Charaktere haben: Einige müssen mutig sein und vorne am Zaun zur Abschreckung bleiben, einige halten sich mitten in der Herde auf und die Vorsichtigen bleiben hinter der Herde und schützen so die Rückseite.
„Bisher habe ich noch kein Rind verloren, aber schon mit eigenen Augen gesehen, dass Wölfe den Zaun überwinden.“ Vor allem in den vergangenen Wochen sehe er immer wieder Wölfe. Das sorgt den passionierten Landwirt: „Dann springt mein Puls auf 300. Aber was soll ich tun?“
Wünschen würde er sich, dass auch die deutschen Politiker das Schweizer Modell nutzen: Dort gibt es ein bis zwei Manager für jedes Wolfsrudel. „Sind einzelne Tiere auffällig, werden sie entnommen“, erklärt der Rinderhalter.
Naturschutz und -pflege
Insgesamt hält Böhmer in der Landschaft der fränkischen Schweiz elf verschiedene Rindergruppen auf der Weide, von Jung- über Masttiere bis hin zu den verschiedenen Rassen.
Böhmer betreibt für Naturschutzverbände und den Landkreis Landschaftspflege. Das macht er mit den Zebus. „Die kleine Rasse braucht quasi nur Schilf zum Fressen und ist extrem robust“, lobt der Mutterkuhhalter. Auf all seinen Wiesen sind viele Kräuter zu finden. Er wirtschaftet nach Biorichtlinien, genauer gesagt nach denen von Naturland. Sein neustes Projekt: Eine Waldwiese, die will er ebenfalls mit seinen Rindern beweiden. „Wir haben nur eine Natur. Wir brauchen sie, sie uns nicht“, so das Motto des 55-Jährigen.
Wie es künftig mit seinem Betrieb weitergeht, weiß er noch nicht. Seine beiden Töchter wollen nicht einsteigen. „Hoffentlich finden wir jemanden Motivierten“, sagt er und schaut nachdenklich zu seinen Rindern. Böhmer deutet auf eine Kuh weiter hinten. „Sie hat das 17. Kalb und ist unsere älteste. Die mag man gar nicht mehr zum Schlachter bringen.“
Die Glocken um den Hals der Kühe bimmeln gleichmäßig. Die Sonne geht unter und der Himmel ist farbig. Es ist 20.30 Uhr. Die letzte Herde ist umgeweidet und der Tag für heute beendet. Begonnen hat er für Böhmer bereits um 5 Uhr.