Åsmund Asdal koordiniert den globalen Saatgut-Tresor im norwegischen Spitzbergen rund 1.300 km vom Nordpol entfernt. Alle Genbanken der Welt können hier ausgewählte Saatgutsorten kostenlos lagern, um sie zu sichern. Die Kosten übernimmt der norwegische Staat. Kürzlich stellte die deutsch-norwegische Thriller-Serie „Die Saat“ die Person des Koordinators als naiv und korrupt und den Saatgut-Tresor als leicht zu sabotieren dar.
Ob das wirklich so leicht funktioniert und wie der Arbeitsalltag in dem Saatgut-Tresor aussieht, berichtet Åsmund Asdal im Interview mit uns.
Info: Der Saatguttresor wird in Zusammenarbeit zwischen NordGen, dem norwegischen Ministerium für Landwirtschaft und Nahrungsmittel und der internationalen Organisation Global Crop Diversity Trust geleitet/geführt. Letztere sitzt in Bonn und unterstützt sowohl finanziell als auch mit Öffentlichkeitsarbeit dieses Projekt sowie die Genbanken in Entwicklungsländern, z.B. mit der Finanzierung des Versendens der Proben nach Svalbard.
top agrar: Herr Asdal, seit neun Jahren sind Sie bei NordGen als Koordinator des Saatgut-Tresors, des Svalbard Global Seed Vault angestellt. Waren Sie in die Serienproduktion des deutsch-norwegischen Thrillers „Die Saat“ eingebunden? Schließlich ist der Saatgut-Tresor somit einem breiten Publikum bekannt geworden.
Asdal: Nein, ich wurde nur darüber informiert, das ein Krimi gedreht werden soll, dessen Handlung mit dem Saatguttresor zu tun hat.
Ist der Saatgut-Tresor wirklich so gefährdet, durch z.B. Anschläge, wie im Film gezeigt?
Asdal: Für Außenstehende ist es nicht möglich in den Saatgut-Tresor zu gelangen. Er ist mit verschiedenen Sicherheitssystemen ausgestattet, wie z.B. schweren Stahltüren, Verriegelungen, Kameraüberwachung und Alarmsystemen. Seit 2018 dürfen auch keine Besucher mehr ins Innere der Anlage. Das Saatgut liegt also an einem sehr sicheren Ort.
Sie haben den Film selber im norwegischen Fernsehen gesehen. Ihr Fazit?
Asdal: Es war schon eine spannende Serie, die auch dazu beigetragen hat, den Saatgut-Tresor und seine Bedeutung für den Erhalt von Saatgut bekannter zu machen. Was mir natürlich nicht gefallen hat, war, dass die Person, die den Koordinator gespielt hat, als naiv und korrupt dargestellt wurde.
Was sind Ihre Aufgaben als Koordinator?
Asdal: Ich bin verantwortlich für alles, was mit der Erhaltung von Saatgut im Tresor zu tun hat. Ich stehe im Kontakt mit den internationalen Genbanken und koordiniere die Einlagerung ihres Saatgutes. Dafür schließen wir zunächst einen Vertrag mit der Genbank. Ich verfolge anschließend das Versenden und die Logistik des Saatgutes, lege es nach Ankunft in Spitzbergen in den Saatgut-Tresor und aktualisiere unsere Datenbank. So wissen wir zu jeder Zeit, was dort gelagert ist.
Auch das Schreiben von Berichten, Arbeits- und Finanzplänen, das Verfassen von Richtlinien und die generelle Dokumentation zählen zu meinen Tätigkeiten. Ich kümmere mich außerdem um die Öffentlichkeitsarbeit im Rahmen von Vorträgen und Interviews.
Wie wird man denn Koordinator der weltweit größten Aufbewahrungsanlagen für Saatgut, und der einzigen ohne Forschungsauftrag?
Asdal: Mit pflanzengenetischem Material beschäftige ich mich beruflich bereits seit meiner Abschlussarbeit an der landwirtschaftlichen Universität. In der Arbeit ging es übrigens damals um die genetische Vielfalt von wilden Johannisbeeren in norwegischen Berggebieten. Seit den 1980ern habe ich dann in verschiedenen nationalen, skandinavischen und internationalen Projekten zusammen mit der nordischen Genbank (heute: NordGen) gearbeitet und mich dann auf deren Stelle als Koordinator erfolgreich beworben.
Gibt es weitere Mitarbeiter, oder ist der Job eher einsam?
Asdal: Ich bin der einzige Angestellte, der sich in Vollzeit mit dem Saatgut-Tresor beschäftigt. Ich habe aber noch weitere Kollegen bei NordGen, die mir bei den administrativen Aufgaben und bei der Öffentlichkeitsarbeit helfen. Zudem ist immer ein Kollege dabei, wenn ich neues Saatgut in den Tresor lege.
Wie viel Saatgut lagert überhaupt im Saatgut-Tresor?
Asdal: Derzeit lagern bei uns knapp 6.300 Arten, die für die Ernährung und Landwirtschaft von Bedeutung sind. Insgesamt sind es mehr als 1,3 Mio. Saatgutproben! Die meisten davon sind Weizen, Reis und Gerste, aber auch Hirse, Mais, Gräser und Klee.
Das ist eine Menge! Warum ist diese Lagerung so wichtig?
Asdal: Die Lagerung auf Spitzbergen sichert zusätzlich die verschiedenen nationalen Genbanken. Ein Beispiel dafür ist die Genbank des Internationalen Institutes für Agrarforschung in Trockengebieten in Syrien, die im Zuge des Bürgerkrieges verloren ging. Mithilfe der Sicherungskopie ihres Saatgutes auf Spitzbergen konnten sie ihre Genbank wieder aufbauen. Die Lagerung des Saatguts in Genbaken ermöglicht es zudem, pflanzengenetisches Material der Forschung und Züchtung zur Verfügung zu stellen. Und letztlich erhöhen wir damit auch das Bewusstsein für den Erhalt von Pflanzenvielfalt und Genressourcen.
Dann wäre es gut, wenn der Saatgut-Tresor auch langfristig erhalten bleibt. Inwieweit bedroht der Klimawandel den Tresor und die Arbeit?
Asdal: Der Saatgut-Tresor ist mit einer fortschrittlichen Gefrieranlage ausgestattet, sodass das Saatgut auch weiterhin bei minus 18 Grad gekühlt bleibt. Durch die steigenden Außentemperaturen entstehen nur höhere Kosten für die Energie, die für die Anlage nötig ist. Anders sieht es für die Bevölkerung auf Spitzbergen aus. Die Menschen dort stellt der Klimawandel vor große Probleme, da der Permafrost verschwindet. Häuser müssen daher vermehrt abgerissen werden oder ein neues Fundament bekommen, Straßen bekommen Risse, es treten vermehrt Schneelawinen auf und nicht zuletzt leiden die besondere Flora und Fauna.
Den Saatgut-Tresor besuchten sicherlich viele Menschen über die Jahre. Wer war der spannendste Besucher in Ihrer Zeit?
Asdal: Bis 2018 durften die Vertreter der Genbanken und internationalen Organisationen, Journalisten und Forscher den Saatgut-Tresor von innen besuchen. Hochrangige Politiker, Künstler und Komponisten, Fotografen und Schauspieler waren auch darunter und die thailändische Prinzessin. Den größten Eindruck haben aber immer die Vertreter von Genbanken aus Entwicklungsländern gemacht.
Warum ausgerechnet diese?
Asdal: Weil sie viel geringere finanzielle Mittel zur Verfügung haben! Die Vertreter haben berichten, wie sie sich abgemüht haben, das Saatgut überhaupt zu produzieren und zu verpacken. Dann hatten sie mit der Bürokratie ihres Landes, den norwegischen Visabestimmungen und den unmöglichen Transportmöglichkeiten zu kämpfen. Am Ende haben sie es aber dennoch geschafft, mit dem wertvollen Saatgut ihrer Genbank nach Spitzbergen zu gelangen.
Gab es ein spezielles Ereignis in Ihrem Arbeitsleben, was Sie nicht vergessen werden?
Asdal: Jedes Mal, wenn ich nach Spitzbergen fahre, treffe ich großartige Menschen, die einen großen Eindruck hinterlassen. Ich werde jedoch nie Innocent Dossou Aminon von der Genbank GRIGADEB in Benin vergessen, der zum 15. Jahrestag des Saatgut-Tresors im Februar 2023 Saatgut nach Spitzbergen brachte.
Das westafrikanische Benin und Spitzbergen klaffen klimatisch gesehen sehr weit auseinander!
Asdal: In der Tat! Wahrscheinlich war Innocent Dossou Aminon daher nicht klar gewesen, dass zu dieser Zeit Temperaturen von minus 15 Grad herrschten und Schnee lag (den er noch nie gesehen hatte). Er kam mit viel zu wenig Kleidung und ohne Socken in seinen Schuhen. Zum Glück konnten wir ihm mit warmer Kleidung aushelfen.
Ich werde auch nicht vergessen, wie er mir beim Abendessen an jenem Abend von all den Schwierigkeiten erzählte, mit denen er konfrontiert war, als er mit dem Saatgut nach Norwegen reiste: mehrere Reisen in die Nachbarländer, um ein Visum zu erhalten, die Bürokratie in seinem Heimatland, und als er am Flughafen ankam, musste er sich einen Koffer leihen, um das Saatgut umzupacken, damit sein Gepäck das zulässige Gesamtgewicht nicht überschritt. Aber am Ende hat sein Saatgut es nach Spitzbergen geschafft und ist jetzt sicher im Saatgut-Tresor.
Sie selbst gehen bald in den Ruhestand. Wie werden Sie diesen verbringen? Und werden Sie vorher noch Ihren Nachfolger einarbeiten?
Asdal: Einen Nachfolger für mich gibt es noch nicht. Ich arbeite noch bis Sommer 2026 und danach mache ich das, was alle Rentner machen: genieße die Zeit mit Familie und Enkelkindern, gehe in den Bergen wandern oder fahre aufs Meer, und arbeite im Haus und Garten.
Zuletzt: Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Saatgut-Tresors?
Asdal: Unser Ziel und meine Hoffnung ist es, dass alle einzigartigen Sorten und Genotypen, die in den Genbanken auf der ganzen Welt aufbewahrt werden, eine Sicherungskopien im Saatgut-Tresor haben. Gleichzeitig hoffe ich auf eine friedliche Welt, in der keine Genbank Saatgut aus dem Tresor entnehmen müssen.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Anne Borchert