Die EU-Kommission verklagt Deutschland wegen jahrelanger Verstöße gegen geltendes Naturschutzrecht vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Unter anderem habe Deutschland eine „bedeutende Anzahl von Gebieten immer noch nicht als besondere Schutzgebiete ausgewiesen“, teilte die Brüsseler Behörde am Donnerstag mit. Dabei sei die „Frist für die Vollendung der notwendigen Maßnahmen für alle Gebiete in Deutschland“ in einigen Fällen schon vor mehr als zehn Jahren abgelaufen, begründete die EU-Kommission den Schritt weiter.
Vor allem FFH-Gebiete in Niedersachsen betroffen
Das Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen der fehlenden Schutzgebietsausweisung ist bereits seit 2015 eingeleitet. Damals hatte trotz Ablauf einer Frist im Jahr 2010 die Unterschutzstellung für 2.784 der 4.606 Natura-2000-Gebiete gefehlt. Zuletzt hatte die EU-Kommission Deutschland Anfang 2020 wegen einer fehlenden, rechtlich gesicherten Ausweisung von 129 der insgesamt 4.606 Natura-2000-Gebiete gerügt. Im Herbst 2020 hatte die Bundesregierung in einer Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion angegeben bis 2022 die von der EU bemängelte ungenügende rechtliche Ausweisung von Natrura-2000 Schutzgebieten nachzuholen. Zu dem Zeitpunkt waren von den ursprünglich beanstandeten 2.784 Natura-2000-Gebieten laut dem BMU noch immer 88 FFH-Gebiete nicht rechtlich gesichert gewesen. Sie liegen alle in Niedersachsen. Zuständig sind dafür laut dem BMU die Länder.
Ungenügende Erhaltungsmaßnahmen in allen Bundesländern
Neben der ungenügenden Ausweisung moniert die EU auch das Fehlen von spezifischen Erhaltungszielen und Maßnahmen, die einen günstigen Erhaltungszustand der vorhandenen Arten und Lebensräume gewährleisten oder wiederherzustellen sollen. Die EU-Kommission geht laut der Mitteilung vom Donnerstag davon aus, dass es in allen Bundesländern und auf Bundesebene Praxis war, „für alle 4606 Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung keine hinreichend detaillierten und quantifizierten Erhaltungsziele festzulegen“. Dies habe „erhebliche Auswirkungen auf die Qualität und Wirksamkeit“ der Maßnahmen, heißt es aus Brüssel weiter. Im Herbst 2020 hatte die Bundesregierung angegeben, mit der Festlegung der Erhaltungsmaßnahmen in allen Ländern im Jahr 2023 fertig zu sein.
Niedersachsen begründet Verzögerungen mit Corona
Noch an diesem Dienstag hatte der zuständige niedersächsische Umweltminister Olaf Lies (SPD) angekündigt, bis zum Sommer mit den noch fehlenden Ausweisungen von FFH-Gebieten fertig zu sein. Das Umweltministerium habe bereits im Frühjahr 2020 die noch säumigen Landkreise und Städte angewiesen, die in Ihrem Gebiet befindlichen FFH-Gebiete bis Mitte Juli 2020 und dann wegen der Corona-Pandemie bis Mitte Oktober 2020 zu sichern. „Auf Grund der Corona-Pandemie sind wir hier zunächst kulant verfahren“, erläuterte Lies. Mit Blick auf das seit dem Jahr 2015 laufende EU-Vertragsverletzungsverfahren habe es für die Landkreise und Städte genug Zeit gegeben, sich auch angesichts der Herausforderung auf die abzuschließende Sicherung der Gebiete vorzubereiten. „Hier sind wir mit allen Beteiligten im engen Austausch. Mit Blick auf den Natur- und Artenschutz und genauso die drohende Klage der Europäischen Kommission beim Europäischen Gerichtshof werden wir hier mit großer Konsequenz vorgehen und dafür Sorge tragen, dass die Sicherung bis zum Sommer abgeschlossen wird“, sagte Lies noch am Dienstag.
Häusling zieht Parallele zur Nitrat-Klage
Kritik an der Bundesregierung äußert wegen der Klage der agrarpolitische Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament, Martin Häusling. „Die Klage der EU-Kommission belegt erneut, wie wenig die Bundesregierung sich um den Erhalt unserer Lebensgrundlagen, um den Natur- und Artenschutz kümmert: Sie ignoriert fast alle Vorgaben der EU zum Naturschutz und Deutschland riskiert damit, ähnlich wie bei der Klage wegen nicht Umsetzung der Nitratrichtlinie, wieder erhebliche Strafzahlungen“, sagte er. Aus seiner Sicht ignoriert die Bundesregierung, dass Europa sich mit seiner EU-Biodiversitätsstrategie für 2030 ehrgeizige Ziele gesetzt habe.